Datenschutz gilt für alle: Die Rechte eines Betrügers
Parlamentarier dürfen keine Fallakten aus dem Sozialamt bekommen - auch dann nicht, wenn der Betroffene die Behörde um 100.000 Euro gebracht hat.
Der Datenschutz, er gilt auch für Betrüger. Ja, sogar dann, wenn die sich am Sozialamt bereichert haben. Das zumindest hat gerade eben die Landesdatenschützerin offiziell festgestellt - und damit zugleich die oppositionelle CDU deutlich in die Schranken gewiesen. Dabei geht es auch um die Frage: Was eigentlich dürfen Abgeordnete?
Der Fall, um den es geht, ist der von Rolf D. Fast zwei Jahre lang hat er sich eine unübersehbare Zahl von Taxifahrten von Bremen nach Bad Bevensen oder Hannover zu Untersuchungen in Krankenhäusern bezahlen lassen, mitunter drei, vier Mal pro Woche. Fahrten, die so gut wie nie stattfanden. Das Sozialamt zahlte dafür regelmäßig Tausende von Euro an Vorschüssen aus. Ohne genauer hinzusehen, wofür. Gut 100.000 Euro kamen so am Ende zusammen. Die genaue Summe ist bis heute ungeklärt. Statt sich selbst daran zu bereichern, habe er das Geld gespendet, behauptet D. - an Heime in Ungarn. Für ihn war das eine Art der Wiedergutmachung für jahrelang erlittenes Leid. Das Amtsgericht Bremen verurteilte den Mann im vergangenen Jahr für diese Form der Selbstjustiz zu zwei Jahren Haft wegen Betruges.
"Hier hat praktisch keine Kontrolle stattgefunden", hatte der Richter in seinem Urteil über die Praxis des Sozialamtes gesagt. Deren Arbeit sei "abenteuerlich" gewesen. Niemand habe gefragt, ob die ständigen Fahrten sinnvoll, ja, notwendig waren, niemand geprüft, ob D. überhaupt je in den fraglichen Kliniken war. "Das Sozialamt hat versagt", sagte Sven Sommerfeldt, der Anwalt des D. Die Behörde selbst sprach damals von einem Einzelfall.
Die CDU schlug, zu Zeiten des Wahlkampfes, dennoch Wellen, trat an, die fehlende Kontrolle nachzuholen. Spitzenkandidatin Rita Mohr-Lüllmann forderte offensiv eine Kopie der gesamten Fallakte aus der Sozialbehörde ein: Die besteht aus 36 Bänden, davon allein 22 Hauptakten mit durchschnittlich 200 Seiten, zum Teil beidseitig beschrieben, wie der Weser-Kurier zu berichten wusste. Als die CDU-Politikerin nur eine mehrstündige Akteineinsicht bekam, gemeinsam mit Fraktionskollege Wilhelm Hinners, drohte sie gar mit rechtlichen Schritten. Ihre Rechte als Parlamentarierin würden mit Füßen getreten hieß es. "Wir bestehen darauf, die Akten komplett zu erhalten. Das ist unser Recht" wurde Mohr-Lüllmann im Weser-Kurier zitiert.
Ist es nicht - sagt die Landesdatenschützerin jetzt unmissverständlich. "Übermittlungen von Sozialdaten an Bürgerschaftsfraktionen sind grundsätzlich nicht zulässig", heißt es in einem Schreiben, das der taz vorliegt. "Es fehlt hierfür an einer gesetzlichen Grundlage." Zwar dürften Rechnungshöfe und andere Stellen zu Kontrollzwecken solche sensiblen Daten bekommen, wenn es um Dienst- oder Fachaufsicht geht. Städtische Deputationen und Ausschüsse der Bürgerschaft gehörten jedoch nicht dazu. Dem stünden "überwiegend schutzwürdige Belange" des Betroffenen entgegen. Dass der selbst mit der Presse gesprochen und dabei Inhalte aus seiner Fallakte preisgegeben habe, sei "unerheblich", so die Datenschützerin: Die fehlende Rechtsgrundlage könne das keinesfalls ersetzen.
Rolf D. selbst übrigens hatte schon seit September vergangenen Jahres Einsicht in seine eigene Sozialhilfeakte begehrt - ohne sie zu bekommen. Ganz im Gegensatz zu Mohr-Lüllmann und Hinners. Auf seine wiederholten Anfragen beim Amt für Soziale Dienste habe er nicht mal eine Antwort bekommen, versichert er. Und die Auszüge aus der Akte, die er im April sehen durfte, seien nicht jene Teile gewesen, die ihn interessiert hätten. Auch dazu vertritt die Datenschutzbehörde eine klare Meinung: "Es sind keine Gründe ersichtlich, die der Gewährung einer unverzüglichen Akteineinsicht entgegen stehen."
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