Modedesigner Andreas Remshardt: Der Adelsausstatter
Hier ein bisschen länger, da ein wenig kürzer: Andreas Remshardt entwirft Kleider. Maßgeschneidert und mit Papagei im Atelier. Seine Kundschaft: Fürstinnen und Gräfinnen.
Wenn wir es recht überdenken, so stecken wir doch alle nackt in unseren Kleidern. (Heinrich Heine)
Wenn er es sich denn aussuchen könnte, hätte der Berliner Modedesigner Andreas Remshardt am liebsten zur Zeit Marie Antoinettes gelebt, als adelige Frau am französischen Hof von Versailles. Rauschende Bälle, hochgedrückte Brüste, Kleider so breit, dass man nur seitlich durch die Türen passte, weiß gepuderte Gesichter mit Schönheitspflastern und seidene Stoffmassen, mit denen man über den Parkettboden schwebte. "Als ob das Leben eine großartige Inszenierung sei," sagt Andreas Remshardt, "aber bitte ohne all die abgehackten Köpfe am Ende dieser Epoche."
Andreas Remshardt ist 38, trägt Brille und gestutzten Vollbart, hat vor neun Jahren sein eigenes Modelabel gegründet und wirkt, im Gegensatz zu seiner historischen Wunschzeit, dem Rokoko, alles andere als extrovertiert und dekadent. Die Inszenierung überlässt er seinem sechsjährigen Kongo-Grau-Papageien Lola, der insbesondere von den adligen Kundinnen heiß geliebt wird. Lola sitzt auf einem Türrahmen und sagt mit leicht mechanisch klingender Papageienstimme: "Hübscher Papagei, hübsche Lola."
Nicht das Objekt, sondern der Name weckt das Begehren; nicht der Traum, sondern der Sinn ist verkäuflich. (Roland Barthes)
Nach dem Studium an der Universität der Künste in Berlin hatte ihm eine alte Schulfreundin aus Heilbronn den Kontakt zu adligen Kreisen hergestellt. Seitdem kreiert Remshardt Hochzeitskleider und extravagante Abendroben für Gräfinnen und Fürstinnen. An der Hochschule war er ein Schüler von Vivienne Westwood, der "Queen Mom of Punk". Diese unterscheidet zwischen wirklicher Mode und "grauenvoller" Massenproduktion. Sie findet, dass die Welt so amerikanisiert sei, dass die Menschen hässlicher aussehen als jemals zuvor. "Die Leute kaufen sich schreckliche Klamotten, die nichts mit ihrer Persönlichkeit zu tun haben."
Die Vivienne-Westwood-Verbindung wird Remshardt bei seiner aristokratischen Kundschaft wohl einige Pluspunkte eingebracht haben - auf einer Hochzeit nur so im Nebensatz fallen zu lassen, dass das eigene Kleid von einem Vivienne-Westwood-Schüler designt wurde, hinterlässt gewiss Wirkung.
Von Westwood hat Andreas Remshardt gelernt, ein Gespür für historische Epochen und gutes Design zu entwickeln. Eine der Aufgaben im Studium bestand zum Beispiel darin, sich alles über die Charaktereigenschaften und den Modestil einer historischen Person anzulesen - und diese dann in einem Theaterstück mit selbst geschneiderten Kostümen originalgetreu zu spielen. Seine Figuren waren Marie Antoinette und Sissi, die Kaiserin von Österreich und Königin von Ungarn.
"Mich hat das Bizarre an Sissi fasziniert," erzählt Andreas Remshardt. "Sie hat nichts mit der Romy Schneider aus den Filmen zu tun. Die wahre Sissi war zickig, bösartig und verrückt. Sie war die erste Kaiserin mit Tattoo und hat sich zum Geburtstag eine komplett eingerichtete Psychiatrie samt Insassen gewünscht." Sissi bewegte sich auf einem schmalen Grat zwischen Normalität und Irrsinn, und diesen Zwischenraum modisch zu gestalten sei eine große Herausforderung gewesen. Lola indes scheint das Gespräch über Verrücktes sehr gut zu gefallen, unentwegt improvisiert sie Melodien und trällert sie vor sich hin.
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Im Atelier von Andreas Remshardt steht ein großer Zuschneidetisch, dazu ein Art-Déco-Stuhl, ein kleines geschwungenes Sofa und einige Schneiderpuppen - mit eleganten Abendkleidern behängt. Etwas abseits gibt es einen Raum zum Nähen und Bügeln und an der Wand ein sinnlich-kühles Frauenportrait von Tamara de Lempicka. Trotz adliger Kundschaft ist das Gemälde eine Kopie. Neben der Eingangstür hängen ein paar ausgefallene Accessoires: eine Hundezahnkette, ein Skelettohrring und galvanisierte, mit Feinsilber überzogene fliegende Ameisen und Hirschkäfer.
Ein Kundin betritt den Laden mit ihrer besten Freundin. Letzte Anprobe des Hochzeitskleides. Alle sind sehr nervös. Wird das Kleid passen? Lola wird immer munterer und sagt die ganze Zeit "Hallo".
Ein Tuch wird ausgebreitet, damit das Kleid nicht schmutzig wird. Die Kundin hat zum ersten Mal ihr fertiges Hochzeitskleid an. Es sitzt. Die Braut in Weiß strahlt. Ein feierlicher Moment. Andreas Remshardt erläutert der Freundin, wie man die meterlange Schleppe nach der Trauung hochbindet. Die Freundin scheint noch nervöser als die Braut. "Worauf genau muss ich nochmal beim Zubinden der Korsage achten?", fragt sie. Danach wird auch das lilafarbene Abendkleid anprobiert - ein maßgeschneidertes Einzelstück. An der Länge muss noch ein bisschen gefeilt werden. Aber ansonsten perfekt, Chapeau! Zur Feier des Tages wird eine Flasche Sekt entkorkt. In vier Tagen ist die Hochzeit. Ich frage die Braut, ob sie denn schon Albträume hat. "Ja", antwortet sie, "gestern bin ich mit meinem Mann in einem Flugzeug abgestürzt. Muss mal googeln, was das zu bedeuten hat." Der Sekt ist ausgetrunken, die Kundinnen gehen. Lola sagt: "Tschüss und auf Wiedersehen."
An der Farbe lässt sich die Sinnesweise, an dem Schnitt die Lebensweise des Menschen erkennen. (Johann Wolfgang von Goethe)
Einmal, erzählt Remshardt, habe eine adlige Kundin aus dem Frankfurter Raum ganz am Anfang eines Auftrages zu ihm gesagt: "Wenn es schiefgeht, war das Ihr letzter Auftrag." Dieser Satz hat ihn so sehr unter Druck gesetzt, dass er schließlich alles total verhauen hat. Es war Winter, er hat geraucht und vor dem Einpacken des Kleides vergessen, es noch einmal zu lüften. Die Kundin habe ihn völlig aufgelöst angerufen und gesagt, dass das Kleid nach Rauch stinke und die Korsage nicht passe. Der Körbchenumfang war zu groß für ihre Brüste. Das war Andreas Remshardt natürlich sehr peinlich, er ist sofort nach Frankfurt gefahren, um den Fehler zu korrigieren.
Glücklicherweise hat dieser Fauxpas seinem Geschäft nicht nachhaltig geschadet. Die Kundin aus Frankfurt war zwar verloren, aber die anderen Adligen sind ihm treu geblieben. Überhaupt sei der heutige Adel gar nicht so speziell. Oft erfahre er erst nach der Überweisung des Geldes, dass seine Kundin eine Gräfin gewesen ist. Keine seiner aristokratischen Damen möchte mit ihrem Titel angesprochen werden. Understatement ist das Zauberwort.
Dennoch versteckt sich hinter diesem Understatement auch ein sublimes Überlegenheitsgefühl. Die Adligen achten auf Konventionen, heiraten unter sich, gehen auf die Jagd und sagen am Mobiltelefon, während einer Anprobe in Remshardts Atelier: "Oh, ich bin gerade bei meinem Schneider." Sie sind anspruchsvoll und akribisch, und mitunter übertreiben sie es mit ihrer Akribie ein wenig. Dann wird zum Beispiel moniert, dass der Saum einen halben Zentimeter zu lang sei, obgleich man dies bei einer meterlangen Schleppe überhaupt nicht sehen könne, meint Remshardt. Aber ansonsten sei der Adel so normal oder verrückt wie alle anderen Kundinnen auch.
Die im objektiven wie im subjektiven Sinn ästhetischen Positionen, die ebenso in Kosmetik, Kleidung oder Wohnungsausstattung zum Ausdruck kommen, beweisen und bekräftigen den eigenen Rang und die Distanz zu anderen im sozialen Raum. (Pierre Bourdieu)
Andererseits bewundere Remshardt die Schlösser, die einige Kundinnen immer noch besitzen. Doch darauf angesprochen, sagen die nur: "Ach, Herr Remshardt, glauben Sie mir, Sie wollen kein Schloss haben. Ein Schloss macht nur Arbeit und verschlingt Unsummen an Unterhaltskosten."
Das Gespräch ist beendet. Andreas Remshardt zündet sich eine Zigarette an. Ob das wegen dem Rauch eine gute Idee ist? Er sieht die Skepsis in meinem Gesicht: "Machen Sie sich wegen dem Rauch keine Sorgen. Den bekomme ich schon wieder problemlos aus den Kleidern raus" - während er dies sagt, drängt Lola wieder in den Mittelpunkt des Interesses. "Hübscher Papagei, hübsche Lola", sagt sie.
Und ich denke: "Ja, hübscher Papagei, hübsche Lola und so ein Schloss ganz für dich wäre, ungeachtet der aristokratischen Warnung, auch nicht das Schlechteste, das dir im Leben passieren könnte!"
Man glaubt gar nicht, wie schwer es oft ist, eine Tat in einen Gedanken umzusetzen. (Karl Kraus)
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