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US-SchuldenkriseJeder gegen jeden

Die Republikaner verschieben eine Abstimmung und die Linke protestiert. Doch über Obama sprechen nur wenige. Seine Art zu verhandeln missfällt vielen.

Allein auf weiter Flur? John Boehner. Bild: reuters

"Hört auf die Weisheit des heiligen Wortes", ruft Welton Gaddy am Donnerstagmittag in eine Runde aus linken DemokratInnen, GewerkschafterInnen und Frauengruppen. Sie haben sich direkt vor dem Kapitol in Washington versammelt, um im allerletzten Moment zu verhindern, dass die Sozialversicherung und die beiden staatlichen Krankenversicherungen für Bedürftige gekürzt werden.

Auf ihren Transparenten steht: "Schickt die Rechnung an die Wall Street". Und: "Besteuert die Reichen". Während Reverend Welton Gaddy draußen zu den Linken spricht, versammeln sich ein paar andere religiöse Würdenträger von der Interfaith Alliance im Inneren des Kongresses zum Gebet. Ihre Zielgruppe sind die Abgeordneten, sie wollen sie zu Mitgefühl und Fürsorge bekehren. Die Geistlichen werden abgeführt.

Unterdessen legt im Inneren des Repräsentantenhauses John Boehner, der republikanische Speaker der Kammer, letzte Hand an einen neuen Gesetzentwurf, der tatsächlich massive Streichungen bei Sozialversicherungen und Krankenversicherungen vorsieht. Ohne die Steuern zu erhöhen. Es ist klar, dass das Gesetz nicht durch den demokratisch beherrschten Senat kommen wird. Aber es erscheint wahrscheinlich, dass die RepublikanerInnen im Repräsentantenhaus dafür stimmen werden.

Am späten Abend zeigt sich, dass Boehners Kalkül nicht aufgegangen ist. Die Tea-Party-Fraktion im Inneren seiner eigenen Partei hat ihn auflaufen lassen. Michele Bachmann, gegenwärtig die starke Frau der Tea Party und Kandidatin für die Staatspräsidentschaft, wiederholt, dass sie gewählt worden ist, um den Staatshaushalt zu schrumpfen, nicht um ihn zu erhöhen. "Ich werde dem Boehner-Vorschlag nicht zustimmen", sagt Bachmann am Nachmittag. Zahlreiche Tea-Party-Leute folgen ihr. Boehners Leute versuchen bis zum letzten Moment, ihren rechten Rand für das Gesetz zu gewinnen. Es klappt nicht. Am späten Abend verschiebt der Republikaner die Abstimmung.

Erste direkte Auswirkungen der Republikaner-Blockade

Es ist der fünfte Tag vor der Deadline. Vor Dienstag, wenn entweder ein Gesetz über eine höhere Schuldendecke vorliegen muss oder die USA zahlungsunfähig werden. Es sei denn, Präsident Barack Obama macht einen Durchmarsch.

Vor der Tür des Kapitols spricht Ralph Rendall, ein Mitglied der Luftfahrtgewerkschaft. In seiner Branche sind, weil bereits am Montag von den Republikanern im Kongress ein neues Budget blockiert wurde, tausende Beschäftigte ohne Lohn nach Hause geschickt worden.

"Das ist teuer, gefährlich und falsch", sagt Rendall. Der Chef der Gewerkschaft AFGE, John Gage, wütet ins Mikrofon: "Brüder und Schwestern. Dies ist die falsche Debatte. Wir haben keine Schuldenkrise. Wir haben eine Jobkrise. 9 Millionen Jobs sind in den vergangenen Jahren in diesem Land vernichtet worden."

Die DemonstrantInnen skandieren gemeinsam: "Wir gehen nicht zurück." Und: "Wir geben unsere großen Drei nicht auf." Gemeint sind die Sozialversicherung und die beiden Krankenversicherungen.

Die soziale Lage wird sich definitiv verschärfen

Von den zahlreichen empfindlichen anderen Sparplänen, die selbst im günstigsten Fall - wenn sich doch noch ein demokratischer Gesetzentwurf durchsetzen sollte - eintreten werden, spricht bei den DemonstrantInnen niemand mehr. Sie wissen, dass die soziale Lage in den USA nach dem kommenden Dienstag auf jeden Fall härter werden wird.

"Der amerikanische Traum droht zum Albtraum zu werden", sagt Van Jones, Chef des American Dream Movement, das die Demonstration organisiert hat.

Der Name des US-Präsidenten fällt bei der Demonstration kein einziges Mal. Ein paar TeilnehmerInnen tragen Obama-T-Shirts vom vergangenen Wahlkampf. Auf manchen Transparenten der linken Gruppierungen ist bittere Kritik an seiner Verhandlungsführung zu spüren. "Stoppt die Republikaner und die Quisling-Demokraten", hat David Barrows auf seines geschrieben. Sagt: "Dafür haben wir ihn nicht gewählt."

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