Wege aus der Dauerkrise: "Wir brauchen mehr Europa"
Carsten Sieling, Bremer Bundestagsabgeordneter und Haushaltspolitiker, plädiert für die Transaktionssteuer - und fordert dass die Nationalstaaten Kompetenzen an die EU und ein europäisches Finanzministerium abtreten.
taz: Herr Sieling, es wirkt fast, als wüssten Bundespolitik und die Kanzlerin nicht, wie mit der kombinierten Schulden- und Finanzkrise umzugehen ist.
Carsten Sieling: Es ist wirklich so. Die ursprüngliche Reaktion der G 20 nach dem Crash 2008 war doch, man müsse jeden Akteur, jedes Produkt auf dem Finanzmarkt regulieren. Daraus ist nicht viel geworden.
Und wer jagt da die Politik alle paar Jahre übern Hof?
Carsten Sieling, 52, hat seit der Wahl 2009 das Bremer Direktmandat im Bundestag, wo er für die SPD im Finanzausschusses und im parlamentarischen Finanzmarktgremium sitzt. Zuvor war der promovierte Wirtschaftswissenschaftler Vorsitzender der SPD-Bürgerschaftsfraktion.
In den letzten 20 Jahren hat sich der Finanzsektor aufgebläht und verselbständigt gegenüber dem, was man Realwirtschaft nennt. Das führt zu einer Realkrise nach der anderen.
Seit langem wird vor Griechenlands Überschuldung gewarnt…
Diese Krise haben wir schon im Frühjahr 2011 kommen sehen - aber die Kanzlerin machte sich Sorgen um die NRW-Wahl und vertagte alles andere. Damals hätte man handeln müssen. Wenn man hinterherläuft, wird es teurer.
Und was ließe sich in dieser Lage wirklich tun?
Es ist eine völlig neue Situation: Wir stehen vor einem großen Integrationsschub in der EU und die nationalen Handlungsmöglichkeiten erweisen sich als begrenzt. Man müsste den Sektor der Finanzwirtschaft unter Kontrolle bekommen …
Das hat nichts mehr zu tun mit der Überschuldung der Staaten.
Die wird gern als Ursache in den Vordergrund gestellt, in Wirklichkeit ist sie ein abgeleitetes Problem: Die Blase muss verkleinert werden, Investitionen in realwirtschaftliche Projekte müssen besser gestellt werden als solche in Finanzspekulationen. Darum ist die Einführung einer Finanztransaktionssteuer wichtig.
Sie gehören auch dem Soffin an, dem Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung. Ist die Arbeit da erledigt?
Der Ausschuss hat noch viel zu tun, aber es kommen derzeit keine neuen Institute mit Rettungsbitten.
Wie teuer war der Spaß?
Das wird wohl erst in Jahrzehnten endgültig beantwortet werden. Zwar sind von den 500 Milliarden Euro, die anfangs zur Verfügung standen, derzeit nur etwa 50 Milliarden gebunden. Aber die Banken-Abwicklungsanstalten tauchen in dieser Rechnung nicht auf - und allein die der Hypo Real Estate ist 173 Milliarden schwer. Da schlummern noch erhebliche Risiken.
Bremens Schuldenproblem scheint im Vergleich zu Griechenland klein.
Wir haben eine Fiskal-Union in Deutschland, alle stehen füreinander ein. Auch real gibt es Unterschiede: Bremen ist Exportweltmeister, Griechenland hat Strukturprobleme. In Griechenland liegen die Schulden bei 142, in Bremen deutlich unter 100 Prozent im Verhältnis zum Brutto-Inlandsprodukt.
Brauchen wir für Europa so ein bündisches Prinzip?
Ja.
Die Nationalstaaten müssten Kompetenzen abgeben?
Eindeutig. Ich bin dafür, dass wir ein europäisches Finanzministerium bekommen. Das Europa-Parlament muss gestärkt werden, wir haben ein Demokratie-Problem in der EU. Bisher wird der Präsident der Kommission gewählt, der Finanzkommissar nicht. Aber er bestimmt mehr, als mancher nationale Finanzminister. Die nächste Bundesregierung wird die Aufgabe haben, die europäische Integration nach innen voranzutreiben.
Bei der SPD sind viele nicht gut auf Europa zu sprechen!
Die gibt es überall. Aber unter den Parteien im Bundestag sind wir mit den Grünen die europäischste. Ich sehe bei uns die Mehrheit dafür wachsen, dass Europa in Teilen eine eigene Steuerhoheit bekommt.
Welche Steuern?
Kommissionspräsident Manuel Barroso hat die Finanztransaktionssteuer vorgeschlagen. Die wird nur an Finanzplätzen wie London, Frankfurt und Luxemburg anfallen. Die kann man schlecht als nationale Steuer behandeln.
Bremen soll seinen Haushalt bis 2020 in Ordnung bringen. Ist das nicht illusorisch?
Ich halte das für ein realistisches Ziel. Die erste Voraussetzung ist, dass es konjunkturell nicht zum Einbruch kommt. Und zweitens darf sich die schwarz-gelbe Koalition nicht mit ihren Steuersenkungsplänen durchsetzen. Jeder Euro Steuersenkung kostet den Bund nur 42,5 Cent - Land und Kommune zahlen den Rest. Der Bund hat also die geringere Last. Zugespitzt gesagt: CDU und FDP wollen politisch profitieren - und Bremen soll bezahlen.
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