Kolumne Bio: Nach den Sternen greifen
Ist der Mercedessternabbrecher der kleine Autoanzünder? Immerhin mutmaßen sogar Mitglieder der Grünen Jugend bei Sternverlust, das seien "die Linken hier" gewesen.
Das waren bestimmt diese Linken hier". Für die Mädels ist die Sache klar. Sie waren mit Papis Mercedes zur Mitgliederversammlung der Grünen Jugend gekommen – und nach der Party war der Stern dann weg.
Liegt wohl auch daran, dass man beim Knicken nicht erwischt wird. Das geht ja auch schnell: Anfassen, ein bisschen nach oben ziehen, drehen bis zum Anschlag, knick-knack. Bei ganz alten Mercedessen geht das noch einfacher, denn der Stern ist bei ihnen nicht mit einem Kugelgelenk, sondern starr angebracht. Auch ich habe abgebrochen. Mitten auf der Kölner Partymeile zum Beispiel. Nicht gerade unauffällig – doch reagiert hat keiner. Das muss heute niemanden mehr jucken, solche Delikte verjähren nach fünf Jahren.
Und wenn man doch erwischt wird, wird das Verfahren wahrscheinlich eingestellt. Der "klassische Knickstern", wie Mercedes auf Anfrage mitteilte, kostet beim Hersteller etwa 40 Euro - nicht mehr als eine Bagatelle. Und was ist das Täterprofil? Der Pressesprecher der Berliner Polizei meldet sich auf den detaillierten Fragenkatalog nicht mit einer Antwort zurück. Wo häufen sich eigentlich die Fälle? Hierzu wollen weder Polizei noch Mercedes Angaben machen.
ist Online-Redakteurin bei der taz.
Ein Spaziergang im schönen Kreuzberg brachte hervor: Hier ist es friedlich, viele Mercedesse recken ihr Statussymbol in die Luft. Moderne, mit dem Kugelgelenk. Auch ältere Wagen scheinen sicher, sogar im laut CDU besonders gefährlichen Kreuzberg 36 – zum Beispiel dieser wunderschöne alte Wagen, gelblich-grün im Sommerabendlicht.
Irgendwo müssen die Sterne doch herkommen
Dabei müssen die Sterne doch irgendwo herkommen! Es gibt viele, die Sammlungen haben: Sterne als Armreifen. Der typische Schüler-Stern am Rucksack. Einer soll alle seine Sterne im Garten vergraben haben, als die Polizei nahte. Wo kommen die her? Sollen die etwa alle im Internet, bei eBay für 23 Euro oder bei Mercedes für 40 Euro gekauft worden sein?
Bestimmt wird das Thema totgeschwiegen, weil eine Vandalismusdebatte reicht: nämlich die über die Autoanzünder. Und da gibt es ja auch welche, die sich wie die Mercedes-Mädels bei der Grünen Jugend mit unbekannten Tätern genau auskennen: CDU, FDP und Bild.
Für die ist klar: Es sind die Linken, die in Berlin die Autos anzünden. Praktisch für diejenigen Linken in dieser Stadt, die sich für eine bessere Wohnungsbaupolitik einsetzen. Oder, wie es auf Neudeutsch heißt: sich gegen Gentrification einsetzen.
Danke an die CDU, die das Thema Gentrification setzte
Man muss nicht mal mehr ein Bekennerschreiben verfassen – die beste Öffentlichkeitsarbeit für linke Inhalte machen die CDU und Konsorten. Und das auch noch ungefragt! Deswegen an dieser Stelle ein dickes Danke an den CDU-Spitzenkandidaten Frank Henkel, die Berliner FDP und Bild, dass sie das Thema Wohnraum und soziale Spaltung in Berlin auf die Tagesordnung gesetzt haben. Ohne euch würden wir in diesem Wahlkampf immer noch darüber sprechen, was sich Renate Künast zum Mittagessen kocht.
Bleibt noch die Frage, welche Bedeutung sich in das Abbrechen von Mercedessternen hineinlesen lässt. Ist der Mercedessternabbrecher der kleine Autoanzünder? Aber ach was – fragen wir doch einfach die Berliner CDU.
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