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Streit um britisches Traveller-CampBehörden setzen zur Räumung an

Nach zehn Jahren Streit um das Wohnwagendorf Dale Farm haben die örtlichen Behörden am Montag Beamte zur Räumung geschickt. Doch diese stoßen auf Barrikaden und angekettete Traveller.

Vollzugsbeamte auf Hindernisparcours. Bild: reuters

LONDON dpa/dapd | Nach langem Streit um ein Wohnwagendorf irischer Traveller haben die Behörden am Montag mit der Räumung der Anlage begonnen. 20 von der zuständigen Gemeindeverwaltung bestellte Vollzugsbeamte seien auf das Gelände vorgedrungen. Nach kurzer Diskussionen seien sie aber zunächst wieder zurückgewichen, berichtete die Nachrichtenagentur PA. Gegen 16.00 Uhr Ortszeit (17.00 MESZ) wurde dann der Strom gekappt. Zuvor hatte der Behördenchef der zuständigen Gemeinde, Tony Ball, gesagt, es werde eine geordnete Räumung des Geländes geben. Die Polizei von Essex stünde bereit, um die Ordnung aufrecht zu erhalten.

In dem Camp befinden sich 200 sogenannte Irish Travellers und ihre Unterstützer. Sie haben sich zum Teil auf dem Gelände verbarrikadiert. Die Hauptbarrikade war mit Kinderzeichnungen geschmückt und einem Transparent mit der Aufschrift: "Menschenrechte für Dale Farm".

Einige der Bewohner ketteten sich an Fässer, an Autos und andere Gegenstände, um nicht weggetragen werden zu können. "Sie können das Tor nicht öffnen, ohne uns beide zu töten", sagte ein 29-Jähriger, der sich in Handschellen zusammen mit einer 18-Jährigen an einen Pfahl hinter dem Eingangstor gekettet hat.

Die Travellers hatten das Gelände der Dale Farm in der Nähe der Stadt Wickford in der Grafschaft Essex vor zehn Jahren gekauft und lebten dort ein vergleichsweise normales Leben. Als die Wohnwagensiedlung immer größer wurde, begannen die Proteste von Anwohnern. Sie mündeten schließlich in Klagen wegen Verstößen gegen das Bau- und Planungsrecht.

Nach einem Bericht des Guardian hatten die Behörden ein Vermittlungsangebot der Vereinten Nationen abgelehnt. "Wir hatten angeboten, Teil von Verhandlungen zu werden, um eine weniger dramatische Lösung für die Dale Farm zu finden", sagte der Europa-Gesandte des UN-Hochkommissars für Menschenrechte, Jan Jarab, der Zeitung.

Am Montag lief die Frist für die Traveller aus, das Gelände freiwillig zu verlassen. Auch die letzte Berufung einer 72-jährigen Frau aus dem Wohnwagendorf scheiterte. "Wir werden nicht gehen, wir werden einfach nicht gehen", sage Kathleen McCarthy, eine der Travellerinnen. "Wir werden uns anketten an alles, was wir finden."

Die Traveller, die ihren Lebensunterhalt meist über Gelegenheitsarbeit finanzieren, fürchten um ihre Existenz. Sie wissen nach eigenen Angaben nicht, wo sie sonst hinsollen. Unter die Menschen in der Wohnwagensiedlung haben sich inzwischen zahlreiche Unterstützer gemischt. Einige hat sich angekettet, um so Widerstand gegen eine mögliche Räumung zu leisten.

Die Irish Travellers sind ein Nomadenvolk mit Wurzeln in Irland. Ihre Zahl wird auf rund 50.000 geschätzt. Die meisten der überwiegend streng katholischen Travellers leben in Irland, Nordirland und Großbritannien, rund 10.000 auch in den USA. Die Dale Farm, gut 50 Kilometer von London entfernt, gilt als das größte Camp der Traveller in Großbritannien.

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2 Kommentare

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  • IH
    Interbeigadas Hamburg

    Das ist auf jeden Fall wichtig und berichtenswert, aber wo bleiben die Berichte über das geräumte Kulturzentrum Kukutza in Bilbao? Dort herrscht Quasi Krieg, die Polizei schießt mit Gummischrot auf alles, was in der Straße unterwegs ist, Menschen werden systematisch verprügelt und eingeknastet, unter anderem zwei Aktivisten aus Hamburg. Wo bleibt die Empörung darüber?

  • P
    Pavee

    Warum verwendet die TAZ den antipaveeistischen Begriff Traveller? In der TAZ war zu lesen, die Bezeichnung Zigeuner wäre diskriminierend. Begründung: Zigeuner ist eine Fremdbezeichnung, stattdessen müsse die Eigenbezeichnung Sinti und Roma verwendet werden. Die Eigenbezeichnung des im Artikel beschriebenen Volkes lautet Pavee. Ebenfalls in der TAZ wurde die in Italien übliche Bezeichnung nomadi für Roma kritisiert. Traveller hört sich für mich sehr nach Nomade an. Der Artikel spricht ja selbst von Nomadenvolk. Dabei tun sich die Italiener verständlicherweise schwer mit dem Wort Roma. Denn es gibt ja schon Roma (Stadt Rom), romani (Römer), romeno (rumänisch, Rumäne) etc. Wenn man dann noch die Roma als solche bezeichnen soll, blickt wirklich keiner mehr durch.