: Bildungsurlaub für einen Tag
GESETZE Um die Hemmschwelle zum Bildungsurlaub zu senken, erlaubt Bremen jetzt auch kleinere Freistellunsgzeiten. Forscher plädiert alternativ für berufsqualifizierenden Urlaub von bis zu einem Jahr
Kerstin Schumann
VON MART-JAN KNOCHE
Wie stets am Jahresanfang werden auch jetzt wieder Programme für interessante Bildungsurlaube aufgelegt. Angenommen wird dies nur von einer Minderheit von bildungsinteressierten Festangestellten.
Das Instrument Bildungsurlaub ist keine Erfolgsgeschichte. Zumindest nicht, wenn man es an den Zielen misst, die die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung bei seiner Einführung vor 30 Jahren vorgab: Eine Quote der Inanspruchnahme von 15 Prozent erwarteten die Politiker damals. Seither dümpelt sie im Bundesschnitt bei etwa einem Prozent.
Damit mehr teilnehmen, reformiert Bremen derzeit sein Bildungsurlaubsgesetz: Im Frühjahr 2010 erhält das Bundesland ein neues und löst damit auch eine alte Forderung der Wirtschaftsverbände ein.
Die Bildungsurlaubsgesetze im Norden sollten modernisiert werden, moniert seit Jahren der Zusammenschluss aller norddeutschen Industrie- und Handelskammern. Zu weit gehe das Recht auf jährlich fünf Tage frei wählbare Weiterbildung, die sich über Zeiträume zwischen zwei bis vier Jahren auf bis zu vier Wochen ansparen lassen, während der Arbeitgeber den Lohn zahlt.
Auf Initiative der Grünen beschloss die Bremische Bürgerschaft im Herbst eine Novellierung des Gesetzes von 1974. „Durch die Grünen hatten wir die Chance, auch unsere Position einzubringen“, berichtet Martha Pohl von der Bremer Handelskammer. Künftig gilt: Besagte Übertragbarkeit wird auf zwei Jahre beschränkt; ein Bildungsurlaub muss dem Arbeitgeber vier Wochen vorher mitgeteilt werden. Es dürfen auch rein gewerbliche Bildungsanbieter auf den Markt treten. Und statt einer Woche darf ein Bildungsurlaub auch nur ein Tag dauern.
Die Bremer Politik will das im Völkerrecht verankerte Bildungsinstrument schlicht retten, bevor es in die Bedeutungslosigkeit abdriftet. „Diese Reform senkt die Hemmschwelle für Beschäftigte“, hofft die Grüne Arbeitsmarktpolitikerin Silvia Schön. Denn indem die Mindestdauer auf einen Tag reduziert wird, wolle man erreichen, „dass sich mehr Menschen wenigstens ab und an für ein Tagesseminar anmelden.“
Obwohl in Bremen die Bildungsurlauber-Quote mit etwa vier Prozent noch über dem Bundesdurchschnitt liegt. Überall nehmen immer weniger ihr Recht in Anspruch. Ablesbar ist dieser Trend auch beim Bildungswerk von Ver.di Niedersachsen: Die Angebote schrumpften im letzten Jahrzehnt von 200 auf 45. „In Krisenzeiten ist es für Arbeitnehmer besonders schwierig, Bildungsurlaub im Betrieb zu rechtfertigen“, sagt Kerstin Schumann vom Anbieter Arbeit und Leben Hamburg. Chefs und Kollegen sei die zusätzliche Freistellung schwer vermittelbar, „gerade wenn alle anpacken müssen“. Heute seien es vor allem bildungsnahe Schichten, die ihr Recht nutzen würden. Schumann: „Beamte und Angestellte in krisensicherer Stellung.“
Doch es sollten „vor allem bildungsbenachteiligte und in der Weiterbildung unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppen die Möglichkeit zur Teilnahme“ erhalten. So steht es in der Festschrift „Bildungsurlaub – Totgesagte leben länger“, die Arbeit und Leben jüngst verfasste.
„Es ist eigentlich unser Kind“, sagt Lothar Jansen vom Bildungsanbieter Arbeit und Leben, den die Gewerkschaften und Volkshochschulen nach dem Krieg gründeten. Aus dem Faschismus sollten Lehren gezogen und jedem arbeitenden Bürger auch eine demokratische Bildung ermöglicht werden. „Als man in den 50er Jahren noch 48 Stunden arbeitete, musste dafür Raum geschaffen werden“, sagt Jansen.
Anfang der 60er forderte Arbeit und Leben erstmals Bildungsurlaub. Gut zehn Jahre später, am 24. Juni 1974, verpflichtete sich die Bundesrepublik völkerrechtlich, einen bezahlten Bildungsurlaub zum Zwecke der Berufsbildung, der politischen und der gewerkschaftlichen Bildung einzuführen.
Die SPD-geführten Nordländer verabschiedeten als erste Bildungsurlaubsgesetze – gegen heftigen Widerstand der Wirtschaftsverbände. Nur Baden-Württemberg, Bayern und später auch Sachsen und Thüringen lösten ihre Verpflichtung nie ein.
Um das Potenzial des Instruments auszuschöpfen müsse es reformiert werden, sagt Reinhold Weiß, Forschungsleiter beim Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Bonn. Nach skandinavischem Vorbild würde er einen radikalen Schritt wagen. Die Freistellung müsse auf bis zu 12 Monate verlängert werden, „um anerkannte Abschlüsse zu ermöglichen“, so Weiß. Überbetrieblich finanzieren könnte dies ein Fonds, den Bund, Länder und Wirtschaft füllen würden. Weiß: „Damit die wachsenden bildungsbenachteiligten Schichten vom Bildungsurlaub profitieren können.“
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