piwik no script img

„Romantik ist meine Krankheit“

YETIS Er will immer dort sein, wo er nicht ist. Reinhold Messner über die Schönheit der Felsen, den Kamelfetisch seines Sohns und den Fluch vom Obersalzberg

„Weinen, das konnte ich schon immer. Im Kino bin ich tränenfähig. Oder wenn ich Mitgefühl habe“

INTERVIEW MARTIN REICHERT

taz: Herr Messner, ein Jahr ist wie ein Berg. Stimmt dieser Satz?

Reinhold Messner: Nein. Ein Leben ist wie eine Bergtour.

Aber mit einem neuen Jahr ist das ja ein bisschen wie mit einem Berg: Man hat schon auch Angst.

Man muss den Berg nur respektieren. Die Angst ist unser Regulativ.

Wenn Sie auf die andere Seite eines Berges wollen – warum gehen Sie eigentlich nicht außen herum?

Die Aborigines in Australien würden sagen, nur ein Dummkopf geht auf den Ayers Rock, die anderen gehen außen herum.

Ein Dummkopf oder ein Europäer.

Alle westlichen Kulturen. Natürlich ist der Berg für unser westliches Verständnis ein akzeptiertes Hindernis. Mit dem heroischen Getue der Dreißigerjahre hat das nichts mehr zu tun.

Mit Heldentum wie in Luis Trenkers Film „Der Berg ruft“ ist es vorbei?

Der Berg ruft natürlich nicht. Ich bin ja mit diesem Satz mit dem Trenker das erste Mal zusammengekracht, weil mich ein Journalist gefragt hat, ob ich auch den Berg rufen höre, und da habe ich gesagt: Ich habe den Berg noch nie rufen hören.

Sie haben ihn schon als Kind bestiegen.

1949 bin ich auf den ersten Berg gestiegen, genau vor sechzig Jahren, bevor ich in die Schule kam. Damit hat meine Leidenschaft begonnen, ich wusste von da an: Von oben schaut die Welt anders aus. Das hat ja auch zu tun mit dieser Südtiroler Enge nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Täler waren arm, kaum mobil erschlossen. In unserem Tal hatte niemand ein Auto.

Sie sind eigentlich Bergsteiger geworden, weil es in Ihrem Tal kein Schwimmbad gab?

Keinen Fußballplatz. Die eigentliche Möglichkeit bestand darin, im Wald zu spielen. Auf Bäume klettern. Auf Felsbrocken herumklettern.

Als Stadtkind wären Sie nie Bergsteiger geworden?

Ich glaube nicht.

Dann hätten Sie sich vielleicht andere Grenzerfahrungen gesucht.

Ich glaube, dass die Veranlagung da ist auszubrechen, in die Wildnis zu gehen, dort seine Erfahrungen zu machen. Weniger in der Stadt. Das steckt in mir drin. Dass es der Berg geworden ist, liegt an meiner Kindheit.

Es gibt ja noch andere Möglichkeiten, Grenzerfahrungen zu machen, Grenzgänger zu sein. Drogen?

Sie können sich auf die U-Bahn drauflegen, sich im Rotlichtmilieu durchschlagen.

Wären Sie auf diesen Wegen womöglich auch so weit gekommen?

Das glaube ich nicht. Die Erfahrungen über die Menschennatur – nicht über die Bergnatur, ich bin kein Wissenschaftler, kein Geologe –, die hole ich mir über die wilde Natur. Wobei es die wilde Natur ja so gar nicht mehr gibt, allein schon weil man sich alles über Satellit anschauen kann. Aber dort, wo die Gefahren nicht herausgenommen worden sind, wo ich jeden Moment umkommen könnte, das ist mein Erfahrungsraum.

Fortsetzung Seite 16

„Der Berg ruft nicht“

ÜBERWINDUNG Reinhold Messner beklagt, dass im Bergsteigen 1968 die Revolution ausgefallen ist

Fortsetzung von der sonntaz-Titelseite

Sie sprechen vom „Gefahrenraum“.

Das Gegenstück dazu ist der „Als-ob-Gefahrenraum“. Pseudoabenteuer: Die Leute klettern in einer Turnhalle, aber so, dass sie nicht runterfallen können. Das ist dann eine Sportart.

Aber wenn jetzt alle machen, was Sie gemacht haben, fänden Sie das ja auch nicht gut, oder?

Ich hätte nichts dagegen, aber es macht ja kaum jemand. Dann hätte man die Berge erhalten, aber man hat ja nun jedem Menschen die Möglichkeit gegeben, auf den Mont Blanc oder die Zugspitze zu kommen, indem man eine Infrastruktur errichtet hat. Damit hat man den Bergen die Kraft genommen.

Bungee-Jumping?

Vorbei. Aber Klettern in der Halle, das ist ein Hype. Es ist immer noch besser als Fitnessstudio. Aber wenn so jemand ins Gebirge geht, muss er lernen, dass der Berg ein natürlicher Organismus ist. In der Halle ist alles sicher, muss es auch sein, der Veranstalter muss dafür sorgen. In der Natur muss ich damit rechnen, dass mich ein Stein erwischt oder ein Gewitter kommt. Die Natur ist nicht berechenbar. Das glauben nur die Naturwissenschaftler.

Die anderen Menschen möchten eben auch gern die Erfahrungen machen, die Sie gemacht haben.

Die Veranstalter verkaufen ihre Reisen damit, dass der Messner schon mal auf diesen Berg geklettert ist. Und dann präparieren sie alles, damit nichts passieren kann. Die Leute bekommen vom Basislager bis zum Gipfel eine Infrastruktur, sie sind immer in eine Sicherheitskette eingebettet. Klar, sie sind oben und es ist kalt, aber das Prinzip Abgrund haben sie nicht. Meinen Everest können die sich gar nicht vorstellen, die würden verrückt werden, wenn plötzlich jemand diese Infrastruktur wegziehen würde. Die würden vor Angst verrückt werden.

Sie beschreiben in Ihrem jüngsten Buch Ihre Angst.

Wenn ich keine Angst hätte, wäre ich nicht mehr am Leben. Die Angst sagt mir, bin ich jetzt in der Lage, Schritt für Schritt weiter nach oben gehen? Die Angst kommt aber nur, wenn ich ausgesetzt bin. Wenn ich weit weg bin von jeder Hilfestellung und Rettungsmöglichkeit. Unsere Zivilisation haben wir nur geschaffen, weil wir sicher sein wollten. Kleine Städtchen mit Mauer drum herum, damit die Feinde nicht hereinkommen. Das musste der Mensch machen, sonst hätte er nicht überlebt. Aber er wird auch immer ungeschickter dabei.

Der Mensch ist ein Mangelwesen, so nennen Sie es.

Ja. Die Menschen sind ja bald nur noch fähig, in München zu leben. Dann geht man mal einen Kaffee trinken. Auch unter der Brücke geht das – die sind mir übrigens am nächsten, die Menschen, die unter der Brücke leben.

Aber es ist doch auch schön, wenn man wie Sie eine Wohnung in München hat. Da muss man ja auch gar nicht auf den Berg rennen.

In meiner besten Zeit konnte ich beides, das eine heute leider nur noch auf sehr niedrigem Level.

Aufgrund Ihres Alters?

Ich würde nie mehr an mein früheres Level herankommen. Aber was in erster Linie nachlässt, ist die Geschicklichkeit, das Reaktionsvermögen.

Ist das für Sie ein Problem?

Ich habe mir Ausreden gesucht, warum ich nicht mehr am Everest rumklettern muss. Zum Beispiel die Museen, die ich jetzt aufbaue, in den Dolomiten. Das ist auch spannend. Am Beginn habe ich das nur als Herausforderung begriffen – ich glaube, das wurde mir von meinem Unterbewusstsein im richtigen Moment zugeschoben.

Um noch mal auf die Jungen zurückzukommen …

Es gibt vielleicht ein Prozent der jungen Kletterer, die meinen Weg gehen wollen. Unsere Latte, die wir damals gelegt haben, die ist längst genommen. Die jungen Leute gehen den nächsten Schritt, die bauen auch keine Lagerketten.

Aber die meisten wollen doch an das Sein heran.

Sie müssen an Grenzen gehen. Meine Erfahrung beginnt knapp unterhalb des Limits, das ich erreichen kann. Und entschieden oberhalb der Langeweile.

Was passiert dort? Sie beschreiben das als Fließen.

Das ist nur eine Erfahrung, der Flow-Zustand, der entsteht durch die absolute Konzentration. Ich kann nicht beim Klettern an meine Freundin denken, ich sehe nur Tritte und Griffe, Gleichgewichtssituationen. Das geschieht alles nicht bewusst, es ist im Grunde eine tierische Bewegung. Weil das alles am Abgrund stattfindet, bin ich absolut konzentriert. Ein gefühlter Schwebezustand. In meinem Wesen, in meinem Gehirn ist dann kein Platz mehr für etwas anderes.

Der Verstand ist ausgeschaltet?

Der Verstand ist ein Korrektiv, der aber nicht so wichtig ist wie der Instinkt. Ich bin mit jeder Faser gefordert, aber in erster Hinsicht der Instinkt. Darin werde ich immer besser, weshalb ich mir immer größere Herausforderungen suche. Und wenn die Angst kommt, dass ich es nicht mehr beherrsche, das ist eine ganz gefährliche Situation.

Und wie kommt man aus der Angst wieder raus?

Wenn Sie wirklich über dem Abgrund sind, werden Sie ganz ruhig. Wenn Sie dann paniken, sind Sie verloren. Es ist ein unterbewusstes, aufgezwungenes Sichruhigstellen. Und dieses Wesen, das zwischen tierischen Instinkten und einem intellekten Korrektiv besteht, das ist dabei erfahrbar. Ein kluger Mensch wäre natürlich gut beraten, das früher oder später sein zu lassen.

Man muss Ruhe geben.

Warum soll ich mit 65 noch irgendwo herumklettern? Aber ich bin immer noch neugierig. Ich habe gerade ein paar schwierige Wanderungen gemacht, kein Klettern. Und da habe ich gemerkt, dass ich die Felsen jetzt auch anders sehen kann. Ich sehe einfach ihre Schönheit.

Andere Leute versuchen ihren Verstand anderweitig auszuschalten, zum Beispiel mit Sex.

Das hat mit Sex auch was zu tun. Der Verstand schaltet aus, das ist ja der Trieb dahinter. Wenn wir das nicht hätten, dann wäre die Menschheit längst ausgestorben. Wie die Natur das gesteuert hat, das hängt auch damit zusammen, dass man sich verliert, ja. Aber ich muss mir das erarbeiten, beim Sexualtrieb ist es automatisch.

Aber wenn „sich verlieren“ erstrebenswert ist, bedeutet das doch, dass das bewusste Erleben belastend ist.

Nein. Eine unendliche sexuelle Erregung wäre ja unerträglich, und dann ist es auch keine Ausnahmesituation mehr. Ich habe ja kein Problem damit, nach dem Abstieg wieder ein bürgerliches Leben zu führen. Eine Zeit lang habe ich wie ein Outlaw gelebt, draußen in der Wildnis, und das war auch kritisierbar, weil es egoistisch war. Den Eltern, der Frau, den Kindern gegenüber, weil es mit Gefahren verbunden ist.

Empfinden Sie das heute als Egoismus?

Das ist es eindeutig, ja. Ich war sehr egoistisch. Die Mutter hatte immer Sorgen, wenn wir gingen, in den Himalaja.

Was hat sie getan, um das zu verhindern?

Bei der Tour, als mein Bruder gestorben ist, wollte sie, dass nur einer von uns beiden klettert, wenn schon. Mein Vater hingegen wollte, dass wir beide gehen, weil wir beide gleich gute Kletterer waren. Mein Bruder sollte auch eine Chance bekommen.

Und Ihre Kinder?

Mein Sohn klettert sehr gut. Hat aber spät angefangen. Er hatte zunächst andere Interessen, die Wüste, er war ein Kamelfetischist, heute nicht mehr. Das Klettern hat das alles aufgelöst.

Wie alt ist er?

Achtzehn. Aber er geht auch brav in die Schule.

Ist das eine gute Idee, wenn der Sohn von Reinhold Messner auch klettert?

Nein, das ist keine gute Idee. Aber er hat das angefangen. Er reitet gut, hat ein Pferd, aber das ist alles sekundär geworden, er will klettern. Er will auch studieren, möchte sich aber eine Auszeit nehmen. Er lässt sich von mir auch nicht sagen, wo er klettern darf und wo nicht.

Sie sich von Ihrem Vater ja auch nicht.

Genau. Und wenn ich mit ihm klettere, Weihnachten 2008 waren wir in Jordanien, dann habe ich ein gutes Gefühl. Aber wenn er alleine oder mit anderen klettert, mache ich mir Sorgen. Da bricht dann irgendwo über ihm ein Stein ab …

Das ist Ihr Schicksal.

Vielleicht hört er ja auf. Er weiß, dass er kein Profibergsteiger werden kann, das hätte ja keinen Zweck. Natürlich kann er heute besser klettern als ich. Aber zu meiner Zeit, da war das Level anders, auch die Möglichkeit herauszuragen. Ich habe ja keine Profikarriere gemacht, ich habe das vielmehr erfunden, wie man das macht, Expeditionen finanzieren, sein Leben finanzieren.

Ein modernes Konzept des Kampfs mit dem Berg. Sie haben damit in den Sechzigerjahren begonnen – da war das Heroische eigentlich gerade vorüber, oder?

Nein, es war immer noch da. Die Revolution von 1968 hat es im Bergsteigen nicht gegeben. Da gab es nur einige wenige, die ganz anders geschrieben und gedacht haben, sonst ist das noch lange lebendig geblieben – das war auch einer der Gründe, warum es um meine Bücher so viel Streit gab. Ich habe mit der Sprache aufgeräumt und gesagt: Das ist Kriegssprache aus dem Ersten Weltkrieg. Und Goebbels war ein Genie im Nutzen dieser bergsteigerischen Dramen.

Die Riefenstahl …

Ich habe ja mit der Riefenstahl, als sie hundert wurde, 2002, einen Film gemacht über ihre Kletterleidenschaft. Sie ist gut geklettert. Durch diese Naturfilme und mit dem Trenker ist sie in das Filmen gekommen, das waren damals die erfolgreichsten Filme im deutschen Sprachraum. Und diese ganze Romantik, das wurde von den Nazis genutzt, sie waren Vorläufer für deren Bilder – weshalb man das den Machern der Naturfilme aber nicht vorwerfen kann.

Die Nazis haben alles Mögliche integriert.

Notfalls die Philosophen umgeschrieben. Die Riefenstahl kam aus dieser Schule, hat dann einen eigenen Bergfilm gemacht, der im Grunde Gegenbilder hat, man kann auch sagen: Kitsch.

„Das blaue Licht“?

Haben Sie den mal gesehen? Das ist so eine esoterische Geschichte. Da bin ich nie dahintergekommen, was sie damit eigentlich wollte. Mit ihrer Ästhetik hat sie die besten Bilder geliefert, die je ein faschistisches Regime zur Verfügung hatte. Goebbels hätte das nie hinbekommen. Sie hat noch genialer, als sich die Nazis das hätten ausdenken können, Propaganda gemacht. Und da hat sie eine Verantwortung.

Die hätte sie ja auch übernehmen können.

Ja. Aber sie hat es nach dem Krieg auch schwer gehabt. Man hat alles auf sie geschoben. Die anderen haben sich zurückgezogen, der Trenker nach Südtirol, war dort nicht angreifbar. Der Trenker hat ja dann das Tagebuch der Eva Braun erfunden, das wurde in einer deutschen Illustrierten veröffentlicht. Das erfundene Tagebuch der Eva Braun – 1948 war das, lange vor Schtonk. Und da stand zum Beispiel drin, dass die Riefenstahl nackt vor dem Führer getanzt habe. Ich weiß von ihr, dass ihr die Nazis widerlich waren, sie hatte kein sexuelles Verhältnis zu ihnen. Der Führer war ihr großer Führer, aber er war ihr widerlich.

Sie stand auf andere Typen?

Mehr auf Abenteurer und Kletterer. Ich habe sie ja ausfragen können, auch weil ich sie nicht zur Politik befragt habe – davon verstehe ich auch nichts. Ich habe sie vom Klettern erzählen lassen. Sie ist ja damals eine schwierige, senkrechte Kante, 200 Meter hoch, barfuß raufgeklettert.

Der Berg ist seit dem Nationalsozialismus politisch kontaminiert. Der Obersalzberg, Hitlers Sitz in Berchtesgarden …

Ich bin ja selbst Bergbauer. Und da habe ich mittlerweile komische Gefühle im Bauch, wenn ich sage: mein Berghof. Alles Bilder, die mit Blut und Boden, Heroismus verbunden sind.

„Mein Sohn klettert sehr gut. Er war Kamelfetischist, heute nicht mehr. Das Klettern hat das aufgelöst“

Sie sagen, es gab kein Achtundsechzig im Bergsteigen. Haben Sie denn einen Beitrag geleistet?

Ich war damals Student. In Italien war das damals noch lebendig, das hat stagniert, die Universität. Ich bin einfach in die Dolomiten gefahren und bin geklettert. Ich habe meine Pubertät in die Wände gesteckt. Später habe ich Daniel Cohn-Bendit kennengelernt. Auch Joschka Fischer, in den Siebzigerjahren, da war er noch kein Turnschuhminister.

Wie das?

Weil er irgendwo in Südtirol mit einem Freund von mir eine politische Veranstaltung gemacht hat. In den Siebzigern und Achtzigern kam ich zu einer politischen Haltung, weil man mich immer angegriffen hatte. Mir wurde heroischer Nationalismus unterstellt, nachdem ich am Everest war. 1978 hatte ich den Everest ohne Maske bestiegen – und das alles selbst finanziert. Als ich zurückkam, wollte man das in Südtirol politisch nutzen. Die Mehrheitspartei hatte ein Fest ausgerichtet, und ein Minister hat eine Rede gehalten, der Reinhold hätte das für Südtirol getan, für seine Heimat. Ich habe in der Dankesrede gesagt, dass ich das für gar keine Nation gemacht habe. Ich bin mir meine eigene Heimat und mein Taschentuch ist meine Fahne – das habe ich dann auch herausgezogen. Dann ging ein Krieg los.

Die waren sauer?

Monatelang. Nestbeschmutzer. Heimatverräter. Man hat mir Scheiße in Briefkuverts geschickt. Da wurde mir erst klar, was die Leute vom Bergsteigen im Kopf haben. Und wie sie es nach wie vor gern genutzt sehen. Von da an habe ich radikal dagegen angeschrieben.

Vorher waren Sie unpolitisch?

Absolut. Und in der Zeit bin ich mit Alexander Langer, der ist nun verstorben, zusammengekommen, der war im EU-Parlament. Der wollte, dass ich ihm nachfolge. Später habe ich das eine Zeit lang angenommen.

Sie waren von 1999 bis 2004 im EU-Parlament, für die Grünen.

Wir haben in den Siebzigern eine grün-sozialdemokratische Liste für ein anderes Südtirol erarbeitet und haben sogar zwei Parlamentarier in den Landtag gebracht. Ein eigenes Mandat wollte ich erst mal nicht.

Ihre politische Karriere ist später gescheitert. Das konnte doch auch nicht gut gehen.

Am Ende haben ja die deutschen Grünen versucht, mich in Bayern auf die Liste zu bringen. Und dann habe ich das kurz mitgemacht, dem Cohn-Bendit zuliebe. Aber ich war im Parlament nicht so ganz glücklich. Mir war das zu viel alte DDR bei den Grünen. Ich bin ein liberaler Grüner. Am liebsten hätte ich eine schwarz-grüne Regierung. Die Grünen wären das beste Korrektiv zur Merkel-Regierung, viel besser als die FDP. Die Merkel würde das auch mitmachen, wenn die Grünen die entsprechenden Zahlen hätten.

Was verbindet CDU und Grüne?

Sehr ähnliche Wähler. Die Grünen haben wohlhabende, intellektuelle Wähler – die haben die besseren Wähler, Nachhaltigkeit und Globalisierung. Da sind die CDU-Wähler provinzieller. Und die Grünen haben ja eine große wirtschaftliche Potenz beizutragen. Der Umbau von einer Wirtschaft mit fossilen Brennstoffen auf eine andere Energiewirtschaft, das bringt sehr viele Arbeitsplätze. Mit den Sozialdemokraten geht das nicht. Und die Grünen könnten auch der Atomwirtschaft ein Ende bereiten.

Aber Sie haben nicht in die Politik gepasst.

Ich war ein völliger Außenseiter, ein Hinterbänkler.

Sie haben einmal gesagt, dass Politik sowieso nicht funktioniert.

Die Parteiendemokratie! Es geht nur, wenn man den Politiker direkt wählen kann. In Deutschland wird er auf eine Liste gehoben. Ich wähle also die Liste, um die Platzierung gab es eine Rauferei. Ich will aber einer Persönlichkeit mein Vertrauen geben.

Wo wir bei nicht funktionierenden Eliten sind: Ein Exbanker der Lehman Brothers geht klettern, um „wieder Mensch zu werden“. Wie finden Sie das?

Nun ja, das ist jetzt wohl auch wieder nicht zuträglich für das Image des Kletterns. Er wird jedenfalls auf keinen Fall ein besserer Mensch – nur weil er hoch oben ist, steht er nicht über den Menschen. Bergsteiger sind keine besseren Menschen und auch keine besseren Kameraden. Niemand bleibt bei einem Mitkletterer sitzen, der gestürzt ist, um mit ihm zu sterben. Das ist Nazi-Propaganda.

Sie müssen ja gleich weg. Sind Sie ein Romantiker?

Das Glück liegt immer hinter dem Horizont. [Sein Mobiltelefon gibt ein Hahnenkrähen von sich. Joseph Vilsmaier ist dran, der gerade einen Film über Messner gedreht hat. Er redet lautstark auf den Regisseur ein.] Der Vilsmaier.

Man darf Sie also als Romantiker bezeichnen?

Ja. Aber ich schäme mich dafür. Weil diese ganze Romantik auch vom NS missbraucht wurde. Romantik als Krankheitsbild, also immer dort sein zu wollen, wo man gerade nicht ist – das trifft auf mich zu. Als Naturschwärmerei nein.

Leben als Roman – das sind doch Sie.

Ich sehe mich eher als Renaissance-Menschen, der das Leben auskostet. Aber mein Leben ist kein Roman. Man kann mein Leben ja als Film machen, machen wir ja gerade.

Der Romantiker zeichnet sich durch Gefühl und Leidenschaft aus. Können Sie weinen?

Ja.

Haben Sie sich das erarbeit: Ein Mann, der auf den höchsten Bergen war, die Wüste Gobi und die Arktis durchwandert hat, darf ja auch mal weinen.

Nein, das konnte ich schon immer. Ich kann das natürlich nicht zu jeder Gelegenheit, jetzt zum Beispiel. Aber im Kino, wenn mich ein Film mitnimmt, dann bin ich tränenfähig. Oder wenn ich sehr viel Mitgefühl mit anderen Menschen habe. Nicht Mitleid, sondern Mitgefühl.

Martin Reichert, 36, ist sonntaz-Redakteur. Er mag Extreme, aber nimmt trotzdem gern die Seilbahn

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen