Protest gegen Gentrifizierung: Rabatz beim Adventsshopping
Mit Aktionen in mehreren Stadtteilen demonstrierten Hunderte gegen Wohnungsnot, Wuchermieten, Verdrängung und Privatisierung öffentlicher Räume.
Es knallten am Samstag Welten aufeinander: Die einen, die gern unbeschwert auf den Weihnachtsmarkt ihren Glühwein trinken wollten, die Ordnungsmacht, die den Einzelhandel hüten wollte und mehrere hundert Aktivisten des Netzwerks Recht auf Stadt, die im Rahmen des bundesweiten Aktionstages "Access all Areas" gegen Gentrifizierung, Mietwucher und Vertreibung in fünf Stadtteilen demonstrierten.
"Häuser und Plätze denen, die sie bewohnen - Besetzungen legalisieren", prangte es von einem Wohn-Bauwagen auf dem Hachmann-Platz. Ein Vertreter des Wilhelmsburger Bauwagenplatzes Zomia berichtete, dass nicht nur der Chef des Bezirksamt Mitte, Markus Schreiber, (SPD), ihre Räumung betrieben habe, sondern dass der gesamte SPD-Senat damit gedroht habe, Zomia "aus der Stadt zu vertreiben", sofern sie nicht zum Not-Areal am Holstenkamp in Altona umsiedelten.
Auch Michael Joho vom Einwohnerverein St. Georg ließ kein gutes Haar an Bezirksfürst Schreiber. Beim Richtfest des entkernten Klockmannhauses, in dem ein Jugendhotel entstehen soll, habe Schreiber drei Gründe für die Umwandlung des traditionellen Geschäftshauses genannt. "Standort, Standort, Standort", sagt Joho. Ein Jugendhotel gehöre an den Hauptbahnhof. Schon jetzt habe St. Georg mehr Hotelbetten als Einwohner. Um für den Tourismus ein gutes Bild zu bereiten, solle der Hansaplatz "clean" gemacht und Sexarbeiterinnen, Stricher und Obdachlose verdrängt werden, sagte Joho.
Im Anschluss entwickelte sich ein kleiner Laternenumzug auf der Mönckebergstraße zur lautstarken Spontandemo. "Nehmt ihr uns die Flora ab, machen wir die City platt" oder "Mieten verweigern, Kündigung ins Klo, Häuser besetzen sowieso" und "Schreiber aus der Traum, Bambule unterm Weihnachtsbaum" skandierten die Protestler.
Die Weihnachtseinkäufer reagierten irritiert. "Müssen denn solche Leute immer Rabatz machen, wenn ich beim Shoppen den beruflichen Stress vergessen möchte", sagte eine gestylte Passantin genervt. Die Polizei schien zwar nicht überrascht, aber unvorbereitet: Reiter wurden vorgeschickt, beinahe kam es zu einem Unfall, weil ein Pferd wegen des Topfschlagens scheute und zu straucheln drohte. Das Rutschen der Hufe des nervösen Pferdes auf dem Asphalt erzeugte einen Funkenflug. "Die kommen nicht auf dem Rathausmarkt", schrie ein Polizeiführer seine Leute an, die dann ein Spalier bildeten, um Protestler vom Weihnachtsmarkt fernzuhalten.
Inmitten vom Weihnachtsmarkt-Trubel verschafften sich die Gegner von Umstrukturierungsplänen für St. Pauli später aber auf der Reeperbahn Raum. "Weil der öffentliche Platz vor den Esso-Häusern für kommerzielle Zwecke genutzt wird, müssen wir auf die Straße ausweichen", klagte Zlatko Bahtijarevic, Gewerbetreibender in den vom Abriss bedrohten Esso-Häusern am Spielbudenplatz. Die Esso-Häuser sind nach wie vor heiß umkämpft: Ein Gutachten soll klären, wie es baulich um die 60er Jahre Bauten bestellt ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Unwetterkatastrophe in Spanien
Vorbote auf Schlimmeres
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln
BSW in Thüringen auf Koalitionskurs
Wagenknecht lässt ihre Getreuen auf Wolf los
Jaywalking in New York nun legal
Grün heißt gehen, rot auch
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn
Schließung der iranischen Konsulate
Die Bundesregierung fängt endlich an zu verstehen