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Film über verlorenen FigurenWie Spachtelmasse

"Utopians" ist das Regiedebüt von Zbigniew Bzymek. Es handelt von einer Vater-Tochter-Beziehung und gesellschaftlicher Integration – ohne Klischees zu bemühen.

Regisseur Bzymek setzt eher auf das Erzeugen von Stimmungen denn aufs Erzählen. Bild: Arsenal Distribution

Ein Mann, ein Hund, die Tochter des Manns, deren Freundin: das ist das Kernpersonal von "Utopians". Der Mann, Roger, ist Yogalehrer, der Hund ein von der Straße aufgelesener Streuner, die Tochter Zoe ist dunkelhäutig und sieht aus wie ein Mann, trägt Militäruniform, kommt aus dem Krieg. Die Freundin der Tochter, Maya, ist manisch-depressiv, wird aus der Anstalt geholt. Sie sind dann zu viert.

Der Mann ist als Yogalehrer ein Versager: kommt zu spät, verstört die Schülerinnen und Schüler, indem er den Hund mitbringt, bleibt am Ende fast allein im Studio zurück, wird eingesperrt und wieder befreit, begibt sich in die Hund-Haltung, die Kamera steht dabei Kopf. Zoe und Maya, der Mann und der Hund, haben, wie es scheint, keinen festen Wohnsitz. Auch sonst keinen Plan, keine Ziele. Es irritiert freilich der Titel, denn Menschen mit einer Vision oder Utopie sind Roger, Zoe, Maya ganz sicher nicht.

Ein Freund bittet sie, sein Haus zu renovieren. Da machen die vier sich dann breit und lassen den Freund nicht mehr rein. Sie schleifen eher lustlos die Farbe von der Tür. Sie schleppen nach einer Weile Baumaterial und Utensilien ins Haus. Sitzen und liegen aber viel rum, treiben recht freudlose Späße, sehen fern, ziehen sich aus und wieder an, sprechen miteinander nicht viel. Beginnen dann damit, Spachtelmasse anzurühren, die Kamera beobachtet das fasziniert, angerührte, sich verdickende Spachtelmasse in Großaufnahme im Eimer, wieder und wieder: Spachtelmasse, Spachtelmasse, Spachtelmasse.

Auch der Film selbst wird angedickt, mit Schwarzblenden zum Beispiel. Schwarzblende, Spachtelmasse, indolentes Rumliegen, Yogakurs, dazu Improgitarrenmusik, die durch den Soundtrack streunt, attraktiv anzuhören, aber gleichfalls sehr ziellos. Angedickte Musik, Schwarzblende, Spachtelmasse, Yoga mit Hund, Rückblenden, die Zeit franst aus, der Film hat einen Rhythmus sehr viel eher als eine Struktur, fängt einen ein nicht durch Erzählen, sondern durch Stimmung, Vibes, Einschwingen auf sein sehr eigenes, diffuses, aber sehr präzise diffuses Sein.

Gängige Formeln des amerikanischen Indiekinos

"Utopians" ist das Debüt von Zbigniew Bzymek. Er kommt aus Polen, lebt in New York, in Brooklyn hat er mit HD-Cam und sichtlich geringem Budget diesen Film gedreht. Sein Geld verdient Bzymek als Videoartist im Performancemilieu, als Mitarbeiter etwa der legendären Wooster Group. Deren Mitglied Kate Valk tritt kurz auf im Film, spielt eine Ärztin. Auch Jim Fletcher, der Darsteller des Roger, ist als Performer bekannt bis berühmt. Eigentlich performance- oder theaterhaft ist "Utopians" jedoch nicht.

Mit den gängigen Formeln des amerikanischen Indiekinos hat der Film aber auch und erst recht nichts zu tun. Denn im Indiekino werden oft die großen Geschichten ins vermeintlich Authentischere abgespeckt: Milieurealismus, angeschlagene Charaktere, Schwundstufen der Hollywoodformeln bei Wahrung der Erzählkonventionen.

"Utopians" speckt nicht ab, sondern dickt an, schert sich einen Dreck um Erzählkonventionen. Bewegt sich irgendwann kaum noch voran, die lineare Zeit- und Erzählstruktur löst sich ohne Ankündigung auf, aber auch wieder nicht ganz, Spachtelmasse, Schwarzblende, Yogakurs.

Man sieht sich im Übrigen keineswegs genötigt, mit einer dieser Figuren sonderlich zu sympathisieren. Als Yogalehrer ist Roger wirklich erbärmlich, an einer der gar nicht so wenigen Stellen, an der mit Absicht der Film ins verzweifelt Komische umkippt, beobachtet er mit berechtigtem Neid einen sehr viel erfolgreicheren Kollegen.

Was Zoe und Maya aneinander finden, was sie alle zusammenhält, abgesehen davon, dass sie jeder für sich noch viel verlorener wären: wer weiß. Dieser Film erzählt kaum eine Geschichte, ist eher ein Zustand auf der Suche nach seiner Darstellbarkeit. Er sucht und er findet und man weiß nicht recht, wie.

Man erlebt vielmehr mit, wie er für diesen Zustand und seine Darstellung eine Form sozusagen aus sich selbst heraus generiert. Das Andicken, die Schwarzblenden, die Impromusik, das Kreisen, die Rückblenden, falls sie Rückblenden sind, das Driften, der gezielte Verlust von Struktur: Etwas entsteht da, gewinnt seine Logik, entwirft sich, ohne auf Klischees und Formeln zurückgreifen zu müssen.

Das ist ein Seherlebnis eigener Art: Man schwingt sich ein auf die Form der Entstehung der Logik des Films – oder, versteht sich, man lässt es. Wer aber mitzumachen bereit ist, wird sozusagen selbst mit angedickt und durch den Spachtelmassenpürierstab püriert. Am Ende identifiziert man sich irgendwie dann doch mit diesen verlorenen Figuren. Der Psychologe sagt dazu, glaube ich, Stockholm-Syndrom. (Schwarzblende, Impromusik.)

"Utopians". Regie: Zbigniew Bzymek. Mit Jim Fletcher, Courtney Webster, Lauren Hind u. a. USA 2011, 84 Min.

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