Kommentar Arabische Revolutionen: Revolution in der Armutsfalle
Vor einem Jahr stürzte der tunesische Diktator Ben Ali. Jetzt zeigt sich, dass ohne die Bekämpfung der Armut keine Demokratie entstehen kann.
V or einem Jahr stürzten die Tunesier ihren Diktator Ben Ali und lösten einen gewaltigen Flächenbrand in der arabischen Welt aus: Ägypter und Libyer bekämpften erfolgreich ihre übermächtigen Patriarchen, und in Syrien riskieren Demonstranten ihr Leben für die Beendigung der Ära al-Assad.
Das Ende der Patriarchen ist der Anfang des Arabischen Frühlings, der Hoffnung auf Demokratie, Gerechtigkeit, auf Gleichberechtigung von Mann und Frau und immer wieder auf Würde.
Im Dezember 2010 löste die Selbstverbrennung des tunesischen Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi die Proteste gegen den damaligen Präsidenten Ben Ali aus. Weil ihm ein Treffen mit dem tunesischen Arbeitsminister verweigert wurde, hat sich letzte Woche erneut im Süden des Landes ein arbeitsloser Mann selbst verbrannt. Seine tödliche Verzweiflungstat wird keine Revolution, kein Heldentum, kein Gedenken mehr auslösen. Aber sie dokumentiert drastisch die unverändert hoffnungslose ökonomische Realität breiter Schichten.
ist Reise-Redakteurin der taz.
Die wirtschaftliche Situation - hohe Arbeitslosenquoten und Perspektivenmangel - ist die Achillesferse der arabischen Revolutionen. Die Entwicklung demokratischer Reformen wird langfristig nur von grundlegenden Maßnahmen gegen die Armut getragen werden. Armutsbekämpfung wird das entscheidende soziale und politische Argument sein.
Das wissen die islamischen Parteien. Sie engagieren sich in den traditionellen Armutsvierteln, im vernachlässigten Hinterland und mobilisieren dort ihre Anhänger. Mit Erfolg: Sowohl in Tunesien wie in Ägypten gewannen die Islamisten die Wahlen. Und wenn sie sich auch wie in Tunesien gemäßigt konservativ-religiös gerieren, so zeigt sich ihre Basis doch häufig radikal und fanatisch. Kein Wunder, dass vor allem säkulare Frauen ihr Erstarken fürchten.
Das Tauziehen im demokratischen Prozess, beim Entwurf einer neuen Verfassung wird vor allem um die Rolle der Religion in der Verfassung und um Fragen des Familienrechts gehen. Die Frauen sind daher doppelt gefordert: Sie müssen zunächst ihre bisher unter den Diktatoren verfassungsmäßig garantierten Rechte verteidigen - und um neue soziale Rechte kämpfen. Trotz alledem: Die Zeichen der Zeit stehen auf Aufbruch.
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