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Liberale empfangen „Dignitas“-Chef

Niedersächsische FDP holt sich Rat bei umstrittenem Sterbehelfer – und provoziert damit den Koalitionspartner

HANNOVER taz ■ Die schwarz-gelbe Koalition in Niedersachsen streitet weiter über den Schweizer Sterbehilfeverein „Dignitas“. Seit die Organisation in Hannover einen deutschen Ableger gegründet hat, will die niedersächsische Justizministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU) mit einer Gesetzesänderung „den geschäftsmäßigen Betrieb von Suizidhilfe“ unter Strafe stellen. Die FDP-Landtagsfraktion in Hannover lud dagegen gestern den Dignitas-Generalsekretär Ludwig Minelli höchstpersönlich zu einer Tagung zum Thema ein. Vor rund hundert FDP-Mitgliedern und Anhängern seiner Organisation warb der Dignitas-Chef für das Menschenrecht auf Suizid und den ärztlich unterstützten Freitod – und erntete dafür ordentlichen Beifall.

Das „Recht eines Menschen, sein eigenes Leben zu beenden“, sei ein „von der europäischen Menschenrechtskonvention geschütztes Menschenrecht“, sagte Minelli. Einem Laien stehe aber heute kein risikoloses und sicheres Mittel zur Ausführung eines Suizids zu Verfügung.

Dignitas trete keineswegs für aktive Sterbehilfe ein, versicherte Minelli. Sein Verein wolle vielmehr, „dass an deren Stelle die Forderung nach Ermöglichung eines menschenwürdigen, begleiteten Suizids“ trete.

Ausführlich stellte Minelli den Zuhörern den „Assistierten Suizid nach Schweizer Art“ vor: Ein Dignitas-Mitglied, das sich „für die Durchführung der Freitod-Begleitung“ entscheide, werde von einer erfahrenen Person, die zum „Freitod-Begleiter-Team“ gehöre, in technischen Fragen betreut. Den letzten Akt, der bislang in einer Wohnung in Zürich stattfindet, müsse das Mitglied aber selbst vollziehen. Es müsse entweder ein den Tod herbeiführendes Medikament selbst trinken, es sich durch eine Magensonde in den Magen oder durch eine Infusion in den Blutkreislauf leiten.

Der in Hannover anwesende rheinland-pfälzische FDP-Justizminister Herbert Mertin bekundete anschließend, er habe „Sympathie für das, was Herr Minelli macht“. Es sei verfehlt, die Praxis von Dignitas mit verbotener aktiver Sterbehilfe gleichzusetzen, so Mertin. Solange der Betroffene selbst den Tötungsvorgang einleite, handele es sich um ärztlich assistierten Suizid. Für die beteiligten Mediziner gebe es aber standesrechtliche und auch arzneimittelrechtliche Probleme, da bestimmte Mittel nicht für die Behandlung von Menschen, sondern nur zum Einschläfern von Tieren zugelassen seien. Auch strafrechtlich sei die Situation unklar. Man müsse daher „rechtlich Klarheit schaffen“. Auf einen Weg dahin wollte sich Mertin aber nicht festlegen.

Der Hamburger Jurist Professor Reinhard Merkel betonte, dass die Teilnahme an einem frei verantworteten Suizid straflos und auch sonst unverboten sei. Ein polizeirechtliches Verbot von Dignitas „wäre mit großer Wahrscheinlichkeit verfassungswidrig“, urteilte er. Selbst der Chef der niedersächsischen FDP-Landtagsfraktion, Philipp Rösler, wollte nicht ausschließen, dass in bestimmten Situationen die assistierte Selbsttötung der richtige Weg sei: Schließlich gebe es Fälle, in denen Schmerztherapie an ihre Grenzen stoße.

JÜRGEN VOGES

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