piwik no script img

Kontrolle von Schulbesuchen eingespartSchwänzen wird wieder leichter

Ein Projekt zur Überwachung von Schulbesuchen durch Schulassistenten soll beendet werden. Dass es ein Erfolg war, bestreitet auch die Schulbehörde nicht.

Gibt es Besseres, als in die Schule zu gehen? Nicht wenige Schüler haben darauf eine eindeutige Antwort. Bild: dpa

Wenn Ende Juni die Sommerferien beginnen, ist Schluss für die 48 Schulassistenten, die seit 2008 an 44 ausgewählten Schulen helfen, das Schwänzen zu reduzieren. Das Projekt soll aus Kostengründen auslaufen. Diese Entscheidung hatte das Staatsrätekollegium bereits im Juli 2011 getroffen. Die 48 Mitarbeiter werden dann von der Stadt an anderer Stelle eingesetzt werden: Sie sind ehemalige Mitarbeiter des Landesbetriebs Krankenhäuser (LBK) und kehrten nach dessen Privatisierung in den öffentlichen Dienst zurück.

Birnaz Tuncel ist enttäuscht. Die gelernte Krankenschwester ist momentan noch in der Stadtteilschule am Hafen am Standort Altona beschäftigt. Morgens wartet sie vor der Schule und empfängt die Zuspätkommer. Ein ernstes Gespräch hilft meistens. Zur Not redet die 47-Jährige auch mit den Eltern. „Nach der dritten Verspätung muss das sein“, sagt sie. Für das Lehrerkollegium ist die türkischstämmige Tuncel eine große Erleichterung. Nicht nur wegen ihrer Sprachfähigkeiten, gerade hier in Altona: „Viele Eltern sprechen kein Deutsch“, sagt Tuncel.

In Zukunft muss die Schule ohne ihre Hilfe auskommen. Für Birnaz Tuncel ist das nur schwer vorstellbar: „Die Lehrer können neben ihren Lehrverpflichtungen nicht auch noch die zahlreichen Elterngespräche führen und Schüler auch von zu Hause abholen.“

Schulabsentismus

Nach Schätzungen des Lehrerverbands bleiben in Deutschland 200.000 Schüler täglich unentschuldigt dem Unterricht fern.

In Hamburg wurden im Jahr 2010 rund 1.200 Fälle geahndet.

Die Konsequenzen für Schulschwänzer unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland. Einige reagieren mit Geldbußen und Jugendarrest. In anderen Ländern versucht man der Problematik mit Beratung und Betreuung entgegenzusteuern.

Schulabsentismus hängt in hohen Maße mit der sozialen Herkunft der Schüler zusammen. In "sozialen Brennpunkten" ist das Problem am größten.

Dass Tuncel und ihre Kollegen gute Arbeit leisten, belegen auch die Zahlen: Wo die ehemaligen LBK-Mitarbeiter eingesetzt werden, sinkt die Zahl der unentschuldigten Fehlstunden innerhalb des ersten Schuljahres nach Beginn des Projekts um 62 Prozent. In einer Antwort auf eine Anfrage der Linken heißt es allerdings, dass die Schulbehörde trotzdem die Kosten für das Projekt langfristig nicht übernehmen könne. „Eine Abwägung der Prioritäten zum Einsatz der vorhandenen Mittel erlaubt nicht, Lehrerstellen zu streichen“, steht dort. Mit dem Auslaufen ist die Schulbehörde allerdings nicht glücklich. Man wolle sich gegenwärtig noch nach Lösungen umschauen, sagt ihr Sprecher.

Das Thema müsste der Behörde am Herzen liegen. „Schulabsentismus“, also das mehrfach unentschuldigte Fernbleiben vom Unterricht, kann Symptom einer negativen Schulkarriere sein, die ohne Abschluss endet. Ein Problem ist das Schwänzen besonders in Stadtteilen mit schwieriger sozialer Zusammensetzung. Gerade dort trifft die Entscheidung der Behörde auf Unverständnis: „Den Schulen wird die Grundlage für präventives Vorgehen genommen“, klagt etwa Michael Herrmann, Elternrat der Stadtteilschule am Hafen.

Herrmann verweist darauf, dass der Verkauf des städtischen Krankenhausbetreibers LBK sowieso schon als Fehler angesehen werde. Mit dem Einsatz der Schulassistenten sei daraus etwas Positives erwachsen, das nun nicht wieder kaputt gemacht werden dürfe.

Für Birnaz Tuncel und ihre Kollegen geht es um mehr: Zwar sitzen sie nicht auf der Straße, denn sie können von der Stadt nicht gekündigt werden. Viele von ihnen sind jedoch schon älter, haben sich gerade in den Schulalltag eingelebt – und möchten nicht schon wieder einen neuen Arbeitsplatz suchen müssen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • OV
    Olav van Gerven

    Dies ist, wieder einmal, ein typisches Beispiel von der Kurzsichtigkeit der entscheidende Politiker, denn auch wenn sie heute mehr Geld ausgeben um diese Kinder und Jugendlichen einen Schulabschluss zu ermöglichen, dieses Geld zahlt sich in Form von weniger HarzIV ausgaben in einige Jahre zurück. Und nicht nur das, wenn diese Kinder eine Arbeit aufnehmen, zahlen sie durch Steuern und Sozialabgaben quasi das jetzt investierte Geld zurück. (vergl. die Studien von Heckman et al)

    Vielleicht aber hat ein Entscheidungsträger den Mut über seine eigene Legislatur- und Parteigrenzen hinaus zu denken, zu rechnen und zu entscheiden - es wäre ein Novum in der Politik!

  • R
    Random

    Dann halt Budda bei die Fische:

    Eltern, deren Kinder nicht oder häufig zu spät in die Schule kommen, gehört das Kindergeld gekürzt.

    Dann hat sich das Problem bald erledigt.