Kommentar Ostermärsche: Statthalter der Sehnsucht
Die Ostermärsche erscheinen im Occupy-Zeitalter wie ein erstarrtes Ritual aus einer anderen Zeit. Das mag zwar stimmen – aber ist deswegen nichts Schlechtes!
I mmer gleich, so sinnentleerend und ermüdend – mit diesen Worten lassen sich die Ostermärsche der Friedensbewegung in jedem Jahr aufs Neue disqualifizieren.
Denn anders, als es bei den erfolgreichen Protestbewegungen der letzten Zeit – Occupy, Acta, Fluglärm – zu beobachten war, scheint den Ostermärschen nicht in erster Linie ein Anlass, sondern ein Termin zugrunde zu liegen. Als ob es fast egal sei, was die Welt bewegt – einen Krieg gibt es immer irgendwo. Das wirkt seltsam antiquiert, wie ein nacktes Ritual. Wen soll das aufrütteln?
Andererseits: Vor dem Hintergrund all der fest getakteten Osterrituale – Karfreitag Fisch, Ostersonntag Papst, zwischendurch Familienstreit – hat dieses Ritual der Friedensbewegung einen achtbaren Platz in der Feiertagsdramaturgie gefunden: Selbst wenn nur wenige die Friedensfahnen hissen – in der „Tagesschau“, dem Relevanzthermometer der Nation, ist ein fester Platz für den kollektiv artikulierten Pazifismus stets gebucht. So ist das bei Ritualen: Ihre Relevanz ergibt sich durch ihre Existenz.
ist taz-Redakteur für soziale Bewegungen und twittert unter @martinkaul.
In diesem Sinne ist den Ostermarschierern, die in den Zeiten des Kalten Krieges aus ebenso authentischer Erschütterung auf die Straßen gingen, wie sie es heute im Angesicht des Afghanistankrieges oder des Israel-Iran-Konfliktes tun, etwas geglückt, das eine Sonderstellung in der Geschichte der sozialen Bewegungen in Deutschland genießt: Die Pazifisten vom Ostermarschkommando sind so etwas wie die symbolischen Statthalter einer sonst nur selten offen artikulierten Friedenssehnsucht.
Ein fester Platz im öffentlichen Bewusstsein ist ihnen sicher. Jeder darf an Ostern lieber Eier suchen gehen. Aber über die Rituale der Friedensbewegung zu schimpfen, das ist immer gleich: so sinnentleerend und ermüdend.
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