: DNA-Tests retten immer mehr Todgeweihte
AUS WASHINGTON ADRIENNE WOLTERSDORF
„Let’s do it.“ Es waren die letzten Worte des wegen Mordes an einem Hotelmanager verurteilten Gary Gilmore, bevor das Erschießungskommando im Staatsgefängnis von Utah abdrückte. Seine Tötung markierte die Renaissance der Todesstrafe in den USA vor 28 Jahren – ein neues Zeitalter voller Todestrakte in den Gefängnissen und ausgelasteter Hinrichtungskammern begann. Heute begeht diese Ära ein trauriges Jubiläum: die tausendste Hinrichtung.
Nach einem zehnjährigen Moratorium wurde Gilmore als Erster wieder vom Staat getötet. Sein Leben und Sterben verarbeitete der US-Schriftsteller Norman Mailer damals zu dem Roman „The Executioners Song“ – zu Deutsch: „Gnadenlos“. Zuvor hatte der Oberste Gerichtshof die Wiederaufnahme der Todesstrafe in einzelnen Bundesstaaten für rechtsgültig erklärt. Seitdem wurden 999 Gefangene hingerichtet. Und in dieser Woche sollen weitere drei Tötungen folgen.
War Gilmores Schicksal damals noch in aller Munde, sind sich Gegner der Todesstrafe sicher, dass die meisten US-Bürger heute keinen der 3.400 Gefangenen, darunter 118 Ausländer, nennen könnten, die gegenwärtig in den „death rows“, den Todestrakten, des Landes sitzen. Im vergangenen Vierteljahrhundert exekutierten die Strafverfolgungsbehörden der USA im Durchschnitt alle zehn Tage eine Person.
Während sich früher, vor dem Moratorium, die öffentliche Debatte in den USA um die Frage drehte, ob die Todesstrafe eine abschreckende Wirkung hat, kreist der Diskurs heute vor allem um die Frage, ob man sich darauf verlassen kann, dass die Regierung nur schuldige Personen exekutieren lässt. „Unser Strafverfolgungssystem macht natürlich Fehler“, sagt Thomas Hill, der Anwalt eines zum Tode verurteilten Mannes in Ohio, „und wenn man dies als gegeben annimmt, muss man damit rechnen, dass Menschen für Taten, die sie nicht begangen haben, zum Tode verurteilt werden.“
„Wer gedenkt denn all der unschuldig getöteten Menschen? Seit 1999 wurden in den USA 100.000 Menschen ermordet“, hält Michael Paranzino, Präsident einer Todesstrafenbefürworter-Gruppe, dagegen, die sich „Throw Away the Key“ – „Wirf den Schlüssel weg“ – nennt. Er und seine Mitstreiter beschimpfen Gegner der Todesstrafe gerne und regelmäßig als elitäre Liberale, die die wahren Opfer ignorierten.
Gegner der Todesstrafe verweisen stets auf das wiederkehrende Muster der Hinrichtungen: Arme und Minderheiten sind überproportional von ihr betroffen. Schwarze werden überdurchschnittlich häufig hingerichtet. Seit 1976, so die Zahlen des Death Penalty Information Centers, waren 58 Prozent der in den USA Hingerichteten Weiße und 34 Prozent Schwarze. Dabei sind nur 12 Prozent der amerikanischen Bevölkerung schwarz. Hinzu komme die „Diskriminierung aufgrund der Geografie, wie es Kathie Grosso, eine auf Todesstrafenfälle spezialisierte Anwältin, nennt. Wer in einem Bundesstaat oder Kreis mit hoher Exekutionsquote verurteilt wird, erhält für das gleiche Verbrechen doppelt so häufig die Todesstrafe wie in liberaleren Gegenden.
„Es gibt so viel Willkür bei der Todesstrafe, dass bei dem Urteil entscheidend sein kann, welche Hautfarbe man hat und wo man wohnt“, beklagt auch Barry Scheck, Mitbegründer des in New York ansässigen „Innocence Project“, einem Labor, dass es sich zum Ziel gemacht hat, Verurteilte durch DNA-Nachuntersuchung zu entlasten.
Die verbesserten Beweismöglichkeiten haben entscheidend dazu beigetragen, dass die Zahl der Todesurteile landesweit seit den 90er-Jahren um 50 Prozent zurückgegangen ist, hat das Death Penalty Information Center ausgerechnet. Die Zahl der Exekutionen sei um 40 Prozent gesunken.
Dass wissenschaftliche Tests des Innocence-Projekts und anderer schon häufig zum Unschuldsbeweis von Todeskandidaten führten, hält konservative Politiker keineswegs davon ab, allgemein auf schnellere Verurteilungen und Exekutionen zu drängen. Beide Häuser des Kongresses beraten gegenwärtig sogar über Gesetzesvorlagen, die die Möglichkeiten einschränken sollen, gegen Todesurteile vor Bundesgerichten Berufung einzulegen. Das Argument der Parlamentarier: Jede Berufung verzögert die Ausführung der Strafe um rund 15 Jahre. Kritiker sind entsetzt, bedeute dies doch, dass Bundesgerichte nur noch sehr eingeschränkte Möglichkeiten hätten, Todesurteile erneut zu verhandeln.
Dank des Revisionsrechts konnten seit 1973 immerhin 122 Todeskandidaten gerettet werden. Mehrheitlich seit der Einführung von DNA-Tests in den letzten 15 Jahren. Obwohl in den USA offiziell noch nie ein Unschuldiger hingerichtet worden ist, pochen Gegner der Todesstrafe darauf, dass allein die Zahl der zurückgenommenen Todesurteile Anlass zu Misstrauen geben sollte. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ein vernünftiger Mensch denken kann, dass hier noch nie ein Unschuldiger hingerichtet wurde“, sagt Barry Scheck. Allein sein Innocence Project konnte bei der Hälfte von 163 revidierten Fällen, davon 14 Todesstrafen, mit Hilfe von verbesserten DNA-Nachuntersuchungen die Unschuld der Verurteilten nachweisen. „Wir haben damit gezeigt, dass zu viele unschuldige Menschen in den Todestrakten sitzen.“
Charles Rosenthal, Bezirksstaatsanwalt des Harris County in Texas, kann solch eine Beweisführung nicht aus dem Konzept bringen. Harris County setzte bislang mit 85 Verurteilten mehr Menschen auf den elektrischen Stuhl als jeder andere Bezirk der USA. „Ich bin mir sicher, dass niemand, mit dem mein Büro zu tun hatte, faktisch unschuldig war“, sagt Rosenthal. Scheck weist darauf hin, dass das DNA-Labor der Polizei in Houston seit 2002 geschlossen ist. Eine Inspektion hatte ergeben, dass die Mitarbeiter schlecht ausgebildet und Beweismittel unbrauchbar waren.
Todesstrafen-Gegner und Rechtsanwälte hegen in mehr als einem Fall erhebliche Zweifel. So auch bei dem zum Tode verurteilten Robin Lovitt. Dem 41-Jährigen soll am Mittwoch die makabre Ehre zuteil werden, Nr. 1.000 zu werden. Er wurde dafür verurteilt, einen Mann während eines Überfalls auf eine Billardhalle 1998 in Virginia mit einer Schere tödlich verletzt zu haben. Noch im Oktober hatte sich der Oberste Gerichtshof geweigert, Lovitts Fall neu aufzurollen. Dabei waren die DNA-Tests der Blutspuren auf der Schere nicht beweiskräftig. Ein Gerichtsdiener hatte jedoch später beim Aufräumen die Schere weggeschmissen. Kenneth Starr, als früherer Sonderermittler im Fall der Bill-Clinton-Geliebten Monika Lewinsky liberaler Gefühlsaufwallungen unverdächtig, sagte als Lovitts Anwalt kürzlich: Keineswegs sei er gegen die Todesstrafe. Aber in Lovitts Fall wünsche er nicht ihre Anwendung, da das Beweismittel vernichtet wurde.
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