Blocklandmorde: Wenn Opfer zu Tätern werden

Ehemalige polnische Zwangsarbeiter haben 1945 im Blockland eine Bauernfamilie ermordet - das kommt davon, "wenn man sie verwöhnt und faulenzen lässt", sagte der Pfarrer in der Grabrede.

Archivbild aus dem Bremer Gerichtssaal Bild: Archiv

Ehemalige polnische Zwangsarbeiter, die nach ihrer Befreiung in einem Lager im Bremer Hafen lebten, haben im Herbst 1945 im Blockland einen Bauernhof überfallen und die gesamte Familie im Keller ermordet. Warum haben sie das gemacht? Wo waren sie als Zwangsarbeiter eingesetzt? Auch die Ausstellung über diese „Blocklandmorde“ in der Wilhadi-Kirche in Bremen-Walle kann diese Frage nicht beantworten. Vier der ehemaligen Zwangsarbeiter wurden hingerichtet, für ihre Biografie und ihre Beweggründe hat sich 1945 niemand interessiert.

Mit den Bockland-Morden sah die Bremer Bevölkerung ihre aus der Nazizeit überkommenen Urteile über Polen bestätigt. Justizsenator Theodor Spitta vermerkte in seinem Tagebuch: „Donnerstag, 22. November 1945. Mit Kaisen über die neuen Gewalt- und Mordtaten der Polen. Überfall auf den Bauernhof Flothmeier, Abschlachtung der ganzen Familie in drei Generationen. Kaisens Empörung über unsere Ohnmacht; Tränen kamen ihm in die Augen. Er will aufs Neue energische Vorstellungen bei den Amerikanern erheben, die durch Duldung dieser Polenverbrechen ihre eigene Ehre beschmutzen.“

In einem Schnellverfahren wurden die Täter zum Tode verurteilt, offenbar wurde nicht gefragt, welche Geschichte sie erlebt hatten, woher sie kamen, in den Akten ist darüber jedenfalls nichts zu finden. Max Penzel, der damalige Pastor der Wilhadi-Gemeinde, der zwei der Töchter der Familie konfirmiert hatte, hielt Ende des Jahres 1945 eine Grabrede, die versucht, die damalige chaotische Zeit zu interpretieren. „Die Gemordeten wussten“, erklärte der Pfarrer am offenen Grab, „dass alles das, was wir als Krieg und weltanschaulichen Kampf erleben, ... Wellenspritzer sind von einem hintergründigen Kampf, dem Kampf nämlich zwischen Glaube und Unglaube.“ Der Teufel „wirft alle seine höllischen Gewalten in die Schlacht, und darum geschieht es, dass im Endkampf um das Reich Gottes nun auch und gerade die Christen fallen auf dem Schlachtfeld dieser Welt“.

Mit dieser Anleihe an mystische Figuren aus dem apokalyptischen Johannes-Evangelium ersparte sich der Pfarrer die Frage nach sozialen und politischen Hintergründen der Polen in Bremen. Schuld, abgesehen vom Teufel, sieht er nur bei den amerikanischen Besatzern, „unter deren Augen dies Furchtbare geschehen ist“. Was hätten die tun müssen, um die Morde zu verhindern? Der Pastor bezieht sich wieder auf die Bibel und erklärt, dass man der Seele von Menschen „schwer schadet, wenn man sie verwöhnt und faulenzen lässt. Denn Müßiggang ist und bleibt aller Laster Anfang!“ Die Anspielung auf die Befreiung der Zwangsarbeiter ist deutlich.

„Der Pastor ist in seiner Verwirrtheit vielleicht exemplarisch für den Pfarrers-Stand“, sagt Peter F. Zimmermann, der die Geschichte der Beerdigung aufgearbeitet hat. Max Penzel hatte wie viele Bremer Pfarrer 1933 Hoffnungen auf die Nazis gesetzt, sich aber bald davon abgewandt und kritische Position zu dem Wirken des Bremer Nazi-Bischofs Heinrich Weidemann und seinen „deutschen Christen“ bezogen. In seinem Denken war er, wie das Bremer Bürgertum, „vaterländisch, altliberal – aber nicht demokratisch“, wie Spitta das 1948 formulierte.

Der einzige – schwer verletzt – Überlebende der Blockland-Mordaktion, Willi Hamelmann, hat sich für die Begnadigung der Täter eingesetzt. Er habe den Mördern seiner Familie „um Jesu willen Vergebung zugesagt“, hatte der Pfarrer in der Traueransprache damals mitgeteilt.

Termine zur Ausstellung über die Blockland-Morde:
Mit dem Überfall auf den Hof Kapelle im Blockland im November 1945 verbinden sich in besonderer Weise Verbrechen, Vergeltung und Vergebung.

Ausstellung in der Wilhadi-Gemeinde, Steffensweg 89 (Mo-Sa 16-18 Uhr, So 11-14 Uhr)

2. Mai, 19 Uhr: Vortrag von Peter F. Zimmermann: "... im Endkampf um das Reich Gottes"

26. Mai, 11 Uhr: Vortrag von Stefan Mörchen: "Schwarzer Markt. Kriminalität, Ordnung und Moral in Bremen 1939-1949"

13. Mai, 9.30 Uhr: Abschlussgottesdienst zur Ausstellung

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