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Jubiläum der GrünenAllem Anfang

Vor 30 Jahren hat sich die erste niedersächsische Grünen-Fraktion konstituiert - um Ernst Albrechts Regierung Paroli zu bieten: die taz.nord sucht nach ersten Malen, echten Aufbrüchen, historischen Irrtümern und enttäuschten Hoffnungen.

Grüne Start-Elf: Campen, Fruck, Garbe, Grösch (ab 85 Schmelich), Haubold (ab 85 Sörshusen), Lippelt (ab 85 Matthes), Meinsen, Mombaur (ab 85 Trittin ), Neddermeyer (ab 85 von Hofe), Rohloff, Schuran. Bild: dpa

HANNOVER taz | Gewonnen hatte die CDU, 50,7 Prozent, absolute Mehrheit für Ernst Albrecht. Aber die historische Marke hatten bei der Niedersachsen-Wahl vom 21. März 1982 die Grünen gesetzt: Mit 6,9 Prozent zogen sie erstmals in den Landtag ein. Wichtig, weil seit 1980, Baden-Württemberg, waren sie in den Flächenländern gescheitert. War man schon wieder out?

Niedersachsen war da ein gutes Signal. Ein Mega-Ereignis wird es dann für die elf Pipel, nach der langwierigen Regierungsbildung am 22. Juni 1982 endlich an echten Abgeordneten-Tischchen Platz nehmen zu dürfen. Am heutigen Donnerstag begeht die Grünenfraktion ihr Thronjubiläum mit großer Party ab 18.30 Uhr vorm Landtag. Und die taz.nord schaut zurück auf die Anfänge:

Die Glocke tönt. Schnapshändler Ernst von Essen (CDU), 69, ist Alterspräsident. Es ist 11.04 Uhr. Er eröffnet die konstituierende Sitzung des Landtags der zehnten Wahlperiode. Sie bedeutet: Elfmal ein erstes Mal.

Der erste Auftritt

Martin Mombaur ist Fraktionsvorsitzender. Mombaur, der 1990 sterben wird, ist eine Leitfigur des Gorleben-Widerstands. Joseph Beuys hat ihm ein Plakat gewidmet, er ist Chef des Bundesverbands der Bürgerinitiativen Umweltschutz. Nachdem er 1985 aus dem Landtag rausrotiert, wird er sagen: „Ich wollte meine Wut und meine Betroffenheit in das Parlament tragen. Aber das ist nicht möglich.“

Am 21. Juni 1982 vertritt er ein furztrockenes Anliegen. Gleich nachdem der Alterspräsident die Beschlussfähigkeit des Landtags festgestellt hat, fordert Mombaur, die Tagesordnung zu ändern. Vom Platz aus trägt er die vorgesehenen Themen vor: Einen Petitionsausschuss einrichten, die Rechte der Abgeordneten stärken. Und die Diätenfrage. „Wir sind der Meinung, dass der Landtag zu Unrecht beschlossen hat, noch einmal kräftig finanziell zuzulangen“, begründet er.

Der erste CDU-Zwischenruf

Die Reaktion folgt. Ein CDUler schreit: „Das stimmt gar nicht!“

Die erste Intervention

Als es um die Wahl des Landtagspräsidium geht, besteht der Abgeordnete Dieter Rohloff darauf, dass nicht per Handzeichen sondern „mit Stimmzettel abgestimmt wird“, wie es die Geschäftsordnung vorsieht.

Erster eigener Zwischenruf

Eine erste Attacke gegen Landtagspräsident Bruno Brandes, einst NSDAP, jetzt CDU. „Bildzeitung!“ ruft Dieter Rohloff ihm – mitten in die Festansprache.

Die erste Drucksache

„Drs. 10/2, Betr.: Vorläufige Geschäftsordnung für den Niedersächsischen Landtag“ beantragt einen Umwelt- und einen Petitionsausschuss.

Die erste Rede

Das ist ein echtes Dramolett. Hauptpersonen: Georg Fruck alias Frucki, Redner. Altnazi Brandes, Präsident. Über den gibt’s viele Geschichten, die meist von zu viel Alkohol handeln – und dem, was dabei heraus kommt. Kaum hat er den grünen „Kollegen Fruck“ aufgerufen bricht der Tumult los: „Jetzt rotieren die schon!“, entfährt es dem Abgeordneten Teyssen, Anton, CDU, aus Hildesheim, da steht der Frucki noch gar nicht am Pult.

Ach, die Rotation! Das war der Inbegriff des „Grünen-Chaos“, das machte Berufspolitiker richtig kirre. „Fast allen fehlte die Fähigkeit, sich auf unsere Andersartigkeit einzustellen“, sagt Fruck heute. Aber Teyssens Bemerkung hatte auch einen sachlichen Grund. Denn fachlich hätte Reimar Campen für einen Petitionsausschusses reden müssen. Aber dem war die Muffe gegangen. Dat mok du man, so was in der Art soll er gesagt haben, Campen ist im Mai 2012 verstorben. Frucki ließ sich nicht lang bitten. Für ihn sei es „erotisch“ gewesen, Reden zu halten, „hocherotisch sogar“ erzählt er. „Ich hab’ ihm nur gesagt: Gib mir die Linie vor.“

Er hat fünf Minuten. Es gibt 22 Unterbrechungen, vor allem Gerhard Glogowski (SPD) hält einen Petitionsausschuss für Schwachsinn. Als Fruck sich an Brandes wendet, ihm Gehör zu verschaffen, pampt der Präsident ihn an, er müsse „sich selbst Gehör verschaffen!“ Da hat er’s. „Für die waren wir Revoluzzer.“ Und das mochte Fruck so an seiner Partei. Er ist dann bald ausgetreten, die ÖDP fand er auch doof, jetzt interessieren ihn die Piraten. Zur Jubiläums-Sause kommt er nicht. „Das ist kein Groll.“ Es ist nur: „das ist nicht mehr meine Heimat“, sagt er.

Der erste SPD-Zwischenruf

Johann – genannt Joke – Bruns aus Emden sorgt laut Protokoll noch in Frucks Rede-Einleitung für „Heiterkeit“ mit dem Einwurf: „klingt überzeugend“. Ironie? Bruns selbst erinnert sich an diesen Zwischenruf heute nicht mehr, nur an „die Szenerie: Junge Leute, die völlig anders als üblich gekleidet waren und sich im Scheinwerferlicht räkelten, während wir uns in unseren grauen Anzügen benachteiligt fühlten.“

Ernst genommen wurden die Grünen da noch nicht: Man hielt sie „nicht für seriös“ weil sie „Symbolhandlungen über politische Inhalte stellten“, so Bruns. Obwohl das Durchschnittsalter der Grünenfraktion bei 42,5 Jahren lag, habe man „das Gefühl“ gehabt, „dass es unsere Kinder waren, die sich dort artikulierten“. Bruns nennt das heute selber „anmaßend“ – aber „so war damals die Gefühlsebene“. Das änderte sich: Die Zeit der rot-grünen Koalition beschreibt Bruns, damals Landesparteichef, als seine „politisch fruchtbarste“.

Das erste Kind

Christel Schuran-Simmerts Sohn war gerade geboren. Sie selbst war mit 32 Jahren jüngstes Fraktionsmitglied. Zur Grünen-Party reist sie nicht an. Ihr geht es ziemlich mies, „für so etwas habe ich jetzt gar keinen Kopf“.

Die Frauen in der Fraktion, „das war im Grunde ein Witz“, sagt sie, lacht trocken. „Das waren ja nur Charlotte und ich“, also Charlotte Garbe. Die ist jetzt 83 und ein Pflegefall. Sie hatte später lange im Bundestag gesessen, im Bonner Wasserwerk fetzte sie sich mit Umweltminister Klaus Töpfer (CDU), weil der die ökologischen Probleme der Wiedervereinigung unterschätzte. In der Niedersachsen-Fraktion war sie Vize-Vorsitzende. Frauenpolitik „interessierte die anderen gar nicht“, sagt Schuran-Simmert. Zwei Frauen, neun Männer – die Grünen hatten zwar seit 1979 eine Frauenquote.

Nicht aber in Niedersachsen. Und bei der Aufstellung der Wahlliste kam’s zum Eklat, als der radikalfeministische Flügel eine rein-weibliche Liste forderte und die Anarcho-Clowns mit dem Wunsch nach einem puren Männer-Club konterten – und sich damit fast komplett durchsetzten.

Schuran-Simmert hat damals ihren Sohn mitgenommen in den Plenarsaal, zum Stillen. Das war ein politisches Statement. Dass die anderen Fraktionen das anstößig fanden, war zu erwarten. Aber verletzend war, dass sich auch die eigenen Leute aufregten, also: nicht die Kollegen, aber dieser eine Mitarbeiter, „der fand das unmöglich, dass ich meine Brust entblöße, vor den Leuten“, einer, der später reinrotiert ist. Sie trat nicht noch mal an.

Für die Gedenkstätte Drütte, Außenlager des KZ Neuengamme, hat sie sich engagiert. Irgendwann sei dort mal dieser Ex-Kollege vorbeigekommen, „per Taxi“, ist „einfach durchgerauscht und weg“, keine fünf Minuten. Und dann ist Christel Schuran-Simmert aus der Partei ausgetreten.

Der erste Eklat

Der kam erst 1985. Da erklärte Rolf Grösch, er verlasse das Rednerpult nicht, bevor das Parlament nicht das grüne Rotationsprinzip genehmige.

Laut Parteibeschluss sollten alle Fraktionsmitglieder nach zwei Jahren komplett ausgewechselt werden. Doch Landtagspräsident und Erzdemokrat Brandes witterte Gefahr für Staat und Nation und blockierte den Mandats-Verzicht. Knapp 40 Minuten unterbrach er die Sitzung. Grösch ließ sich am Rednerpult von den Fraktionskollegen mit Äpfeln, Brot und Wasser verpflegen. Vier Ordner trugen ihn dann weg. Brandes verhängte 30 Tage Parlamentsverbot gegen Grösch.

Der erste große Erfolg

Der aufsehenerregendste Erfolg war dann, dass der Staatsgerichtshof Bückeburg den Mandatstausch doch für rechtens erklärte. Es rotierten dann allerdings nur fünf Abgeordnete raus und ebenso viele rein, darunter auch ein seit 1984 als Pressesprecher tätiger Mitarbeiter, der sich gleich zum Chef wählen ließ. Sein Name war Jürgen Trittin.

Die erste Pressemitteilung

Ob Trittin sie verfasst hat, ist unklar. Die erste in Hannover archivierte Pressemitteilung stammt aber erst aus der zweiten Hälfte der 11. Legislatur. Es ist die „Nr. 21 vom 31. 1. 89“. Sie ist auf einer elektrischen Schreibmaschine getippt und die mit Sternchenrahmen hervorgehobene Titelzeile lautet: „Traurige Bilanz bei Betreuungsangeboten für Kleinkinder von Berufstätigen“.

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