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Kommentar Jagd auf Nazi-VerbrecherMord verjährt nicht

Kommentar von Klaus Hillenbrand

Von Ladislaus Csizsik-Csatary geht keine Gefahr mehr aus, nein. Doch das heißt noch lange nicht, dass man ihn jetzt schonen muss.

H at es Sinn, Greise vor Gericht zu zerren, obwohl ihre Taten 70 Jahre zurückliegen? Wird nicht mit zweierlei Maß gemessen, wenn man heute Polizisten und Hilfskräfte verfolgt, obwohl die meisten, inzwischen längst verstorbenen Befehlsgeber einen geruhsamen Lebensabend in Freiheit genießen durften? Und ist bei den uralten mutmaßlichen Tätern eine Wiederholungsgefahr nicht vollständig auszuschließen?

Um mit Letzterem zu beginnen: Selbstverständlich geht von dem heute 97 Jahre alten Ladislaus Csizsik-Csatary in Budapest keine Gefahr mehr aus. Das einzig Gefährliche, was noch passieren kann, ist, dass er mit seinem Auto einen Verkehrsunfall verursacht. Und ja, natürlich ist es eine Ungerechtigkeit, wenn man die großen Täter vor Jahrzehnten hat laufen lassen, während man heute hinter den kleineren Befehlsempfängern her ist.

Jedoch: Die mehr als großzügige Behandlung von Nazi-Tätern, insbesondere durch die bundesdeutsche Justiz in der Vergangenheit, kann kein Grund dafür sein, mit diesem Fehler auch noch fortzufahren und mit ähnlicher Nachsicht die noch Lebenden zu behandeln.

taz
KLAUS HILLENBRAND

ist Leiter des Ressorts taz.eins.

Es geht um Mord, und der verjährt aus gutem Grund nicht. Der große zeitliche Abstand zur Tat mag in einem Urteilsspruch Berücksichtigung finden, ein Grund, gar nicht erst einzuschreiten, ist dies keinesfalls. Was wäre das für eine Justiz, die danach vorginge, wie lange ein Mord zurückliegt? Die Täter bekämen einen Freispruch nicht aus Mangel an Beweisen, sondern wegen der Vielzahl von vergangen Jahren.

Der Schlussstrich würde all jene erfreuen, die den Tätern ideologisch nacheifern. Die überlebenden Opfer und ihre Nachfahren aber erhielten den Bescheid, dass sie mit dem Strafverfahren leider bis zum Jüngsten Gericht warten müssten.

Bei der Strafverfolgung mutmaßlicher Nazi-Verbrecher kommt ein verschärfender Aspekt hinzu: Bei den Taten handelt es sich nicht um Morde aus privaten Motiven, sondern um Akte der Staatsräson. Die Taten geschahen in höherem Auftrag. Es muss Aufgabe europäischer Politik und Justiz bleiben, die Täter unnachsichtig zu verfolgen, schon um Nachahmungen jeglicher Art so weit wie möglich zu verhindern. Denn die Täter von damals mögen heute ungefährlich sein. Die rassistische und antisemitische Politik aber, die hinter ihren Taten steht, ist leider immer noch aktuell.

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taz-Autor
Jahrgang 1957, ist Mitarbeiter der taz und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Zeitgeschichte und der Nahe Osten. Hillenbrand ist Autor mehrerer Bücher zur NS-Geschichte und Judenverfolgung. Zuletzt erschien von ihm: "Die geschützte Insel. Das jüdische Auerbach'sche Waisenhaus in Berlin", Hentrich & Hentrich 2024
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5 Kommentare

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  • S
    Stuttgarter

    In Stuttgart wird von der Staatsanwaltschaft Stuttgart Verfahren gegen SS Massenmörder seit 9 Jahren verschleppt. Der Oberstaatsanwalt Herr Häussler verfolgt aber vehemennt alle S21 Gegner. Auch die Verfahren gegen Mappus und Notheis wurde versucht erst gar nicht anzugehen nach dem Motto es gibt keine Anhaltspunkte.

     

    http://mannheim.vvn-bda.de/artikel/2011/20110309.html

  • MM
    Markus Müller

    Wir führen diese Diskussion jedesmal von neuem.Bis es der Letzte kapiert hat.Mord verjährt nicht.So sollte es sein.

    Aber die Chancen,Mörder zu erwischen und auch Nazis,die nach dem Krieg in der Bundesrepublik ordentlich Strippen zogen,damit man ihre "alten Kameraden" nicht vor Gericht bringt,wie Eduard Dreher,Werner Best,Hans Globke und Kurt Georg Kiesinger,die Chancen sind vertan und vorbei.

    Das wäre wirklich wichtig gewesen,aber ob der Alte jetzt von einem Pflegeknast in den anderen kommt,das interessiert wahrscheinlich nicht einmal ihn selbst.

  • FK
    Fritz Katzfusz

    Stimmt. Der letzte Satz wird durch die Leserbriefspalte der Taz bestätigt. Alle polemisieren gegen die Beschneidung, obwohl festgestellt worden ist, dass sie unverzichtbar ist

    für jüdisches Leben.

  • R
    r.kant

    Wenn die taz mal genau so bei den RAF-TerroristInnen argumentieren würde...

  • V
    viccy

    "Was wäre das für eine Justiz, die danach vorginge, wie lange ein Mord zurückliegt?"

     

    Bei Raub, Betrug, Vergewaltigung oder allen möglichen Delikten macht es für das Strafmaß durchaus einen großen Unterschied, ob die Tat vor einem halben Jahr, vor fünf Jahren oder vor einem halben Jahrhundert passiert ist.

     

    Im letztgenannten Fall griffe allerdings die Verjährung und eine Bestrafung wäre nicht mehr möglich.

     

    Lieber Herr Hillenbrand, wollen wir nicht dieses Rechtsinstitut der Verjährung gleich ganz abschaffen?

     

    "Die Täter bekämen einen Freispruch nicht aus Mangel an Beweisen, sondern wegen der Vielzahl von vergangen Jahren."

     

    Zwischen Freispruch und - der bei Mord prinzipiell obligatorischen - lebenslangen Freiheitsstrafe ist ja ein bisschen Spielraum schon gegeben ...