Siemens versus SAP: Dampfkessel gegen Wolke
SAP löst Siemens als umsatzstärkstes deutsches Unternehmen ab. SAP baut keine Maschinen, sondern Software. Überholen die Digitalen jetzt die Elektrischen?
Beim Namen Siemens bekommt mancher Maschinenbaustudent noch heute glasige Augen. Vor Ehrfurcht. Siemens, das steht für Generatoren, Transformatoren, Lokomotiven und Turbinen, für die großen Pioniererfindungen der Industriegeschichte. Die großen Erfindungen der Zukunft aber werden von anderen Unternehmen gemacht, von denen im digitalen Raum. Zum Beispiel SAP.
Siemens hat Wirtschaftsgeschichte geschrieben, spätestens seit Werner von Siemens 1866 das dynamoelektrische Prinzip erfand. Weil man damit Elektrizität für Fabrikmaschinen nutzbar machen konnte, ging es damals erst so richtig los mit der Industrialisierung. Bis heute ist das Unternehmen ganz vorn mit dabei – selbstverständlich auch im Deutschen Aktienindex DAX. Siemens führt die Riege der 30 DAX-Unternehmen seit 2009 an. Und war damit Deutschlands wertvollstes Unternehmen – bis Dienstag!
Seitdem heißt das wertvollste Unternehmen nicht mehr Siemens, sondern SAP. Auch wenn sich der alte König am Mittwoch noch mal aufbäumte und sich mühsam zurück auf den Thron hievte – Analysten sind sich sicher: Platz eins wird Siemens nicht mehr halten können. SAP baut keine Maschinen, sondern Software. Das Unternehmen steht für das neue große Geschäft in der digitalen Welt. Seit 1972 gibt es die IT-Firma aus Walldorf, eine lächerlich kurze Zeit im Vergleich zu Siemens. Aber die Zukunft scheint den virtuellen Produkten zu gehören. Zum Beispiel der Cloud.
Das ist ein Netz aus Datenspeichern, etwa Servern und Festplatten. Kunden einer Cloud können dort Speicherplatz mieten und ihre Daten auslagern. So müssen sie sich nicht selbst um den Bau eines Rechenzentrums bemühen. Weil die Daten nicht mehr vor Ort gespeichert sind, sondern gefühlt irgendwo ins Internet geschickt werden, spricht man von einer „Wolke“, von der Cloud eben.
Richtig spannend sind Clouds für Firmen, die große Datenmengen nicht nur abspeichern müssen, sondern damit arbeiten wollen. Rechner, die einen solchen Haufen an Daten verarbeiten können, müssen eine starke Leistung haben, sie sind teuer und brauchen Platz. Bei Anbietern von Clouds kann man sich diese Power-Rechner einfach virtuell mieten.
Ganz große Ideen sind digital
Die Cloud und SAPs Angriff auf die DAX-Spitze zeigen symbolisch, dass die ganz großen Ideen in Zukunft aus der digitalen Ecke kommen. Es wird keine neue Lok mehr erfunden. Die Physik ist so ziemlich ausgereizt. Die bestehenden Produkte können zwar noch um Nuancen verbessert, die Produktionsprozesse effizienter oder umweltfreundlicher gestaltet werden.
Bei der Software dagegen ist aber wieder Pioniergeist gefragt. In der theoretischen Informatik gibt es unzählige ungelöste Probleme. Und für deren Lösung wird unzählig viel Geld ausgegeben.
Das „Problem des Handlungsreisenden“ etwa: Ein Vertreter muss zehn Städte bereisen. Ein Computer kann den kürzesten Weg berechnen. Bei zehn Städten hält sich die Zeit, die er dafür benötigt, in Grenzen. Geht es aber um 10.000 Städte oder mehr, rechnet er länger. Schließlich nimmt der Algorithmus zu viel Rechenleistung in Anspruch, um das Problem noch lösen zu können. Eine große Aufgabe für IT-Firmen.
Für den Endverbraucher bleiben die großen Innovationen in der digitalen Welt meist unsichtbar. Die Profiteuere sind Firmen, deren Geschäftsmodelle auf schnelle Rechner angewiesen sind. Etwa Pharmaunternehmen, die nach neuen Wirkstoffen suchen und am Rechner simulieren wollen, wie sich bestimmte Moleküle verhalten.
Mit dem Platz an der Spitze der 30 DAX-Unternehmen belohnt die Börse SAP dafür, Antworten auf diese Probleme zu finden. Allerdings: Die wirklich innovativen Unternehmen sitzen nicht im Rhein-Neckar-Kreis, sondern im Silicon Valley. Die großen Pioniergeschichten des digitalen Zeitalters werden bislang in den USA geschrieben. Mal sehen, ob SAP auch in diese globale Liga aufsteigen wird.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen