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Chef des Umweltamts über Strompreise„Jetzt nicht hektisch reagieren“

Neue Regeln für den Industrierabatt beim Ökostrom fordert Jochen Flasbarth. Der Leiter des Umweltbundesamtes möchte mehr Kriterien als den Stromverbrauch.

Wunderschöner Ökostrom aus der Steckdose. Und dafür will die Industrie nicht zahlen? Bild: jarts / photocase.com
Malte Kreutzfeldt
Interview von Malte Kreutzfeldt

taz: Herr Flasbarth, die Aufregung über steigende Strompreise wird immer größer. Gleichzeitig werden die Ausnahmen der Industrie von der Ökostromabgabe ausgeweitet, was die privaten Verbraucher weiter belastet. Können Sie das verstehen?

Jochen Flasbarth: Die Umlage für den Ökostrom sollte meiner Meinung nach grundsätzlich von allen bezahlt werden, die es ohne Probleme können. Für Ausnahmen muss es klare Kriterien geben.

Ist das derzeit der Fall? Befreit ist ja derzeit ein breites Spektrum von Unternehmen – von der Alu-Hütte bis zur Molkerei.

Ich glaube, dass es wichtig ist, da sehr genau und differenziert hinzuschauen. Aus Sicht des Umweltbundesamtes ist es richtig, dass durch die Energiewende keine zusätzlichen Anreize geschaffen werden dürfen, Arbeitsplätze abzubauen und Firmen ins Ausland zu verlagern. Das sollte man auch nicht in Frage stellen. Die Frage ist aber, in welchem Umfang diese Abwanderungsgefahr wirklich besteht.

Wie ließe sich denn sicherstellen, dass nur wirklich bedrohte Unternehmen entlastet werden?

Unsere Empfehlung an die Politik wäre, bei einer Überarbeitung des Gesetzes ein zusätzliches Kriterium festzulegen. Bisher ist nur der Stromverbrauch des Unternehmens entscheidend. Gut wäre es, einen Indikator hinzuzunehmen, der aussagt, wie stark das Unternehmen in den internationalen Wettbewerb eingebunden ist.

www.umwelbundestamt.de
Im Interview: JOCHEN FLASBARTH

50, ist Präsident des Umweltbundesamtes – der zentralen deutschen Umweltbehörde. Zuvor arbeitete er im Umweltministerium und beim Naturschutzbund.

Wie könnte das aussehen?

Man könnte sich beispielsweise an der Handelsintensität orientieren, also dem Anteil der gehandelten Güter am Gesamtangebot der Branche. Das ist allerdings keine einfache Aufgabe, an den Details muss noch gearbeitet werden. Das Ziel muss sein, nur die zu befreien, die es tatsächlich nötig haben – also Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb durch hohe Energiekosten gefährdet sind.

Sehen Sie eine Chance, das mittelfristig umzusetzen, oder ist die Industrie-Lobby zu stark? Geschenke, die man einmal bekommen hat, gibt man ja nur ungern zurück …

Ökostrom-Ausnahmen

Die Mehrkosten für Ökostrom werden über eine Umlage auf den Strompreis umgelegt, die derzeit bei 3,6 Cent pro Kilowattstunde liegt.

Unternehmen mit einem hohen Stromverbrauch sind von der Umlage allerdings befreit. Bisher profitieren davon 734 Firmen aus vielen verschiedenen Branchen (taz von Mittwoch). Ohne diese Ausnahmen läge die Umlage 0,6 Cent niedriger. Für das kommende Jahr liegen bereits mehr als 2.000 Anträge auf Befreiung vor.

Auch die Wirtschaft müsste ein Interesse daran haben, dass die Gesellschaft die Ausnahmen akzeptiert. Und das gelingt nur, wenn es dafür nachvollziehbare Kriterien gibt.

Statt die Ausnahmen zu reduzieren, sind sie – noch unter dem vorigen Umweltminister Norbert Röttgen – auf kleinere Unternehmen ausgeweitet worden. Sollte das rückgängig gemacht werden.

Ich rate davon ab, jetzt hektisch zu reagieren, das tut niemandem gut. Aber man muss genau beobachten, ob die Befreiung jetzt zu weit gefasst ist.

Um Schienenverkehr zu fördern, sind auch Verkehrsbetriebe von der Ökoabgabe befreit. Ist das noch sinnvoll?

Der Schienenverkehr ist im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern in vieler Hinsicht benachteiligt. Solange sich daran nichts ändert, scheint mir diese Ausnahme berechtigt. Langfristig sollte aber das Ziel sein, jedem Verkehrsträger seine wahren Kosten anzurechnen.

Insgesamt wird die Energiewende derzeit vor allem von der Kostenfrage dominiert. Ist die Fixierung auf „bezahlbare Strompreise“ rational?

Ich glaube, dass diese einseitige Betrachtung eine Menge Vorteile der Energiewende ausblendet: einerseits die positiven Impulse für die Volkswirtschaft, die neuen Jobs, die Innovationen. Andererseits aber auch die langfristigen Effekte: Während Kohle und Atom hohe Kosten auf die nächsten Generationen übergewälzt haben, sorgen wir mit den derzeitigen Investitionen in Erneuerbare dafür, dass künftige Generationen sichere und preiswerte Energie zur Verfügung haben.

Was lässt sich dagegen tun?

Ohne die Herausforderungen und Probleme klein reden zu wollen: Mehr über die positiven Aspekte zu reden, würde uns gut tun.

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1 Kommentar

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  • MK
    Michael K.

    Grundsätzlich sollte auch den energieintensiven Unternehmen schrttweise die Kosten der Energiewende in Rechnung gestellt werden. Denn nur so kann man sicherstellen, dass Einsparpotentiale genutzt werden. Ohne Anreize zur energieoptimierten Produktion wird sich deren Energiemanagement nicht ändern. Gleichzeitig wäre eine staatliche Unterstützung für Investitionen sinnvoll, die Unternehmen unabhängiger vom Strommarkt machen. Diese Firmen könnten ja ihren Strom zum Teil selber produzieren und so die höheren Kosten für Strom ausgleichen. Erdwärme z. B. ist ja standortunabhängig überall verfügbar. Es kann ja nicht sein, dass immer die breite Bevölkerung die Zeche zahlt und die Industrie außen vor bleibt - schließlich profitieren doch alle von einer saubereren und nachhaltigeren Energieerzeugung.