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Mahnmal für den Genozid an Sinti und RomaBefehl zum „Ausrotten“

Auch nach 1945 wollte niemand etwas von der Verfolgung der Sinti und Roma wissen. Erst jetzt werden sie in die Gedenkkultur aufgenommen.

Gedenkstätte für die im NS ermordeten Sinti und Roma. Bild: dpa

Die Diskriminierung und Verfolgung der Sinti und Roma hat eine lange Traditionen. Das NS-Regime machte sich die überlieferten rassistischen und sozialen Ressentiments zu eigen und stigmatisierte die Minderheit von Anfang an. Die Ausgrenzung mündete im Völkermord. Auch dieser Genozid wurde so systematisch wie der Judenmord geplant und ausgeführt.

Aber er drang erst spät ins Gedächtnis der Nation, weil sich die Mehrheit der Deutschen lange Zeit einig war, dass das Schicksal der „Zigeuner“ von anderen Intentionen bestimmt gewesen sei. Nicht Rassenhass, sondern Kriminalprävention sei die Absicht der Nationalsozialisten gewesen, und die Leiden hätten Sinti und Roma weniger verspürt als andere Opfer.

1938 wurde im Reichskriminalpolizeiamt eine „Reichszentrale zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ eingerichtet. Heinrich Himmler, in dessen Zuständigkeit als „Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei“ die Sinti und Roma geraten waren, verfügte am 8. Dezember 1938, dass die „Regelung der Zigeunerfrage aus dem Wesen dieser Rasse heraus“ erfolgen müsse, und zwar auf der Grundlage der „durch rassenbiologische Forschungen gewonnenen Erkenntnisse“. Die notwendigen Informationen hatten Wissenschaftler der Kriminalpolizei zu liefern.

Aber auch schon vor Himmlers Erlass zur „Bekämpfung der Zigeunerplage“ wurden Sinti und Roma „in Schutzhaft“ genommen, das heißt in Konzentrationslager eingewiesen. Als Vorwand diente der traditionelle Vorwurf, sie seien kriminell und „asozial“. Kommunale „Zigeunerlager“ (wie das in Berlin-Marzahn) bildeten den Anfang der Ausgrenzung.

Der Zweite Weltkrieg als willkommener Hintergrund

Der Zweite Weltkrieg diente schließlich als willkommener Hintergrund, vor dem sich die geplante Vernichtung der unerwünschten Minderheiten durchführen und notfalls der Öffentlichkeit gegenüber motivieren ließ. Am 2. September 1939 wurde das „Umherziehen von Zigeunern und nach Zigeunerart wandernden Personen“ im Grenzgebiet des Deutschen Reichs verboten, das ließ sich ohne Mühe als Kriegsmaßnahme erläutern, und am 17. Oktober 1939 befahl das Reichssicherheitshauptamt, dass „Zigeuner und Zigeunermischlinge“ ihren Wohn- oder Aufenthaltsort nicht mehr verlassen durften.

Das Mahnmal

Am Mittwoch wird das zentrale Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma in Berlin eingeweiht. An den Feierlichkeiten werden Bundespräsident Joachim Gauck und Bundeskanzlerin Angela Merkel teilnehmen. Die Kanzlerin wird die Festrede halten.

Das Denkmal ist auf Beschluss des Bundestages zwischen dem Berliner Reichstag und dem Brandenburger Tor errichtet worden. Der Entwurf stammt von dem israelischen Künstler Dani Karavan. Das Mahnmal besteht aus einem zwölf Meter großen kreisrunden See auf einer Granitplatte. In der Beckenmitte ist ein Stein platziert, auf dem eine Blume liegt. Immer wenn diese verwelkt ist, soll der Stein versinken und sich wieder emporheben – als Symbol für das Leben, die Trauer und die Erinnerung. Um ein Rasengelände stehen beschriftete Glaswände.

Die Einweihung erfolgt mit jahrzehntelanger Verspätung. Schon 1992 beschloss die Bundesregierung, das Denkmal zu errichten. Es folgte ein langer Streit um die Inschrift. Roma-Verbände konnten sich nicht einigen, ob das Wort „Zigeuner“ angebracht werden sollte, das manche Gruppen als diskriminierend empfanden. Erst 2007 erfolgte ein Kompromiss. Der Text spricht nun von einer „als Zigeuner“ verfolgten Minderheit. Das Gedicht „Auschwitz“ des Rom Santino Spinelli ist am Rand des Brunnens angebracht. (klh)

Mit diesem „Festschreibungserlass“ begann die letzte Stufe der Verfolgung. Den lokalen Polizeibehörden war die Aufgabe übertragen, die Sinti und Roma zu zählen (deshalb waren sie zur Sesshaftigkeit verpflichtet worden) und nach Kategorien der Rassenpolitik und der „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ zu klassifizieren. Ende September 1939 war beschlossen worden, die auf deutschem Boden vermuteten „30.000 Zigeuner“ wie die Juden zunächst nach Polen zu deportieren.

Die Vertreibung der Unerwünschten ins gerade eroberte und unterworfene Polen war wiederum der erste Schritt zu ihrer Vernichtung: In den Ostgebieten, die wie Kolonien beherrscht und behandelt wurden, konnte der geplante Massenmord besser getarnt werden. Rücksichten auf die Zivilbevölkerung erschienen dort nicht so nötig wie im Reichsgebiet.

Am 16. Mai 1940 begann die organisierte familienweise Deportation von Sinti und Roma aus dem Gebiet des Deutschen Reiches. Heydrich hatte im Auftrag Himmlers am 27. April den Kriminalpolizeileitstellen Hamburg, Bremen, Köln, Düsseldorf, Hannover, Frankfurt und Stuttgart befohlen, in ihrem Gebiet lebende Sinti und Roma zu verhaften und in Sammellager zu bringen; von dort aus wurden Transporte zusammengestellt, deren Ziel das Generalgouvernement – ein Teil des besetzten Polen – war. Diese Aktion, der etwa 2.800 Menschen, ein Zehntel der in Deutschland lebenden Sinti und Roma, zum Opfer fielen, war eine Art Generalprobe zum Völkermord.

Das Reichssicherheitshauptamt hatte Quoten bestimmt: je 1.000 Menschen aus den Bereichen Hamburg und Bremen beziehungsweise Köln, Düsseldorf und Hannover, 500 aus Frankfurt und Stuttgart. Die Auswahl der Familien im Einzelnen blieb den örtlichen Kripostellen überlassen. Sie stützten sich dabei auf die „rassenbiologischen Gutachten“ der Experten des Reichsgesundheitsamts, die vor Ort bei der Auswahl der zu Deportierenden halfen. Von drei Sammellagern (Hohenasperg, Köln und Hamburg) aus wurden die Familien mit Sonderzügen der Reichsbahn nach Polen transportiert und dort in verschiedenen Lagern mit schwerster Zwangsarbeit – Kinder und Greise, Kranke und Gesunde gleichermaßen bis zu 14 Stunden täglich – gequält.

Diskriminierung bis in die 1970er Jahre

Dass die mörderische Verfolgung der Sinti und Roma nicht nur den bösen Trieben fanatischer Rassisten, nicht nur den exzessiven Vorstellungen Himmlers und der SS entsprungen war, geht aus einem Brief hervor, den der Reichsminister der Justiz, Thierack, im Oktober 1942 an den Reichsleiter Bormann als einen der engsten Mitarbeiter Hitlers schrieb. Dort hieß es ganz unverblümt: „Ich gehe davon aus, dass die Justiz nur in kleinem Umfang dazu beitragen kann, Angehörige dieses Volkstums auszurotten.“ Deshalb überließ der Minister die Verfolgung ganz dem Reichsführer SS.

Am 16. Dezember 1942 befahl Himmler die Deportation aller Sinti und Roma in die Vernichtungslager. Auschwitz-Birkenau war eines davon. Dort wurden auch pseudowissenschaftliche medizinische Experimente an ihnen verübt, nicht zuletzt qualvolle Versuche zur Massensterilisation. Anfang August 1943 wurde dann in einer Nacht das ganze „Zigeunerlager“ liquidiert, die Gefangenen wurden in den Gaskammern ermordet. Auschwitz war aber nur eine Stätte des Völkermords an Sinti und Roma. In Chelmno (Kulmhof) wurden sie in Gaswagen ermordet, in Kroatien und Serbien erschossen, die Slowakei, Ungarn, Transnistrien waren weitere Schauplätze des Roma-Genozids.

Die Leiden der Sinti und Roma waren mit dem Ende des NS-Regimes nicht beendet. Die Diskriminierung dauerte mindestens bis in die 1970er Jahre an. Die Ablehnung der Anträge auf Entschädigung wurden mit den gleichen rassistischen Vorurteilen begründet, die vom NS-Staat zur Verfolgung der Minderheit benutzt wurden. „Zigeuner“ seien aus Veranlagung kriminell, ihre Internierung im Dritten Reich habe deshalb nur polizeilich präventive Gründe gehabt, die Haftbedingungen seien harmlos gewesen und die Verfolgung in Auschwitz habe ihnen weniger ausgemacht als anderen Menschen.

Vom Genozid wollten Politiker, Behörden, Gutachter, Mitbürger nichts wissen. Erst spät, für viele zu spät, gaben Gerichte den Klagen von Sinti und Roma auf Entschädigung recht. Und noch viel später sind sie in die Gedenkkultur der Nachgeborenen aufgenommen worden.

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13 Kommentare

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  • Z
    Zev

    @tommy

     

    Die "Zuchtpläne" Himmlers werden in "Kommandant in Auschwitz" herausgegeben und kommentiert von M. Broszat erwähnt, ich bin mir nicht sicher, ob es in Höhnes "Orden unterm Totenkopf" auch aufgegriffen wird.

    Die SS-Verwendung von "Zigeuner-Häftlingen" war unter anderem Bestandteil einer Ausstellung in der Mahn-und Gedenkstätte Sachsenhausen vor einigen Jahren.

    Für genauere Angaben müsste ich erst nachschlage, da das Dritte Reich nicht mein Hauptforschungsgebiet ist und ich immer nur am Rande damit in Berührung kam.

  • O
    oranier

    @ tommy schrieb am 24.10.2012 12:47 UHR

     

    "Können Sie vielleicht für Interessierte Literatur nennen, in der das Thema behandelt wird?"

     

    http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45143166.html

  • R
    Rummelsburg

    Es war ein fruchtbarer Fehler, das Stelenfeld-Mahnmal in Berlin nicht dem Gedenken an ALLE Opfer des Naziterrors zu widmen. Hätte man das damals getan, dann würden nicht heute, und auch später immer wieder, alle nicht mit Mahnmalen vertretenen Opfergruppen sich (zu recht) hintangesetzt fühlen und es gäbe auch nicht diese peinlichen Vergleiche, wie repräsentativ das eine oder das andere Mahnmal jetzt ist im Vergleich zu anderen.

     

    Das Eisenman-Mahnmal außschließlich den jüdischen Opfern zu widmen war wirklich grauenhaft, unsäglich, unfaßbar megadumm! Dumm von der Regierung und auch dumm vom Zentralrat der Juden.

  • W
    weber

    @Mahnmal für alle

     

    ... würde bedeuten, dass man die Toten nicht nach Rasse und Religion unterscheidet, sondern als menschenliche Opfer alle gleich betrauert. Das ist Anti-Rassismus, und wird sonst von der TAZ und ihren Lesern immer sehr hoch geschätzt.

  • T
    tommy

    @Zev:

     

    interessante Sichtweise - ob das so stimmt, kann ich jetzt nicht beurteilen (auch wenn es mir teilweise durchaus plausibel erscheint, Himmler war ja z.B. auch am indischen "Ariertum" sehr interessiert). Können Sie vielleicht für Interessierte Literatur nennen, in der das Thema behandelt wird?

  • WL
    W. Lorenzen-Pranger

    "Die Diskriminierung dauerte mindestens bis in die 1970er Jahre an."

    Unsinn. Sie dauert bis heute an - und zwar sehr agressiv und besonders bei sogenannten "gutsituierten Leuten".

  • C
    Christoph

    Eine im kulturellen Gedächtnis längst überfällige Erinnerungsstätte.

    Verweisen möchte ich auch auf die fehlenden oder nur äußerst minimalistisch gehaltenen Erinnerungsstätten des aktiven Widerstandes.

    Die Millionen von Kommunisten, Partisanen, Anarchisten, Edelweißpiraten und andere freie Widerstandsgruppen haben auch eine Gedenkstätte verdient.

    Haben sie doch ihr Leben für andere riskiert!

  • HA
    Heute auch noch aus der BundesreGIERung heraus

    Die taz schreibt: ""Befehl zum „Ausrotten“ ..."

    Und Frau (Noch-)Bundesministerin hat selben Befehl, freilich nicht mit denselben Worten, aber selben Inhalts!, an eine 'biomedizinische us-amerikanische Firma erteilt, so frühzeitig wie möglich, Menschen mit Down Syndrom innerhalb der Schwangerschaft ihrer Mütter herauszufinden und aus dem Leben zu kicken. Auszurotten.

    Frau Schavan wandelt somit auf wessen Spuren? Und A-Merkel hat sich nie gegen die Ausrottung von Menschen mit Behinderung (hier: Menschen mit Down Syndrom) gestellt. Es ist also offensichtlich, was die BundesreGIERung antreibt - Hass auf Behinderte!

  • MF
    Mahnmal für alle

    Noch viele andere Opfergruppen werden bis heute noch aus der offiziellen "Gedenkkultur" ausgeschlossen: Arbeitslose, Obdachlose, Sozialfälle, Geistig Behinderte, Künstler und Musiker der "entarteten" Kunstrichtung, Sozialisten, Schwule ...

     

    Ich glaube vielen ist bis heute immernoch nicht klar, was es wirklich bedeutet, welches falsche Signal damit ausgesendet wurde, wenn ein Bundeskanzler 6 Millionen Arbeitslose als Faulenzer darstellte während gleichzeitig in Berlin ein Mahnmal für die Opfer des Naziterrors errichtet wurde bei dem die Arbeitslosen und Obdachlosen und Sozialfälle explizit aus dem Gedenken ausgeschlossen wurden!

  • V
    Vedo

    'Sinti und Roma' ist ein Begriff, der wiederum andere Stämme ausschließt. Außerdem fühlen sich viele von 'Rom' wesentlich stärker beleidigt als von 'Zigeuner'. Ob das Marian Luca zugeben will oder nicht.

  • G
    grotto

    Das Denkmal ist längst überfällig, aber formal ziemlich schwach gestaltet, womit mensch sich identifizieren könnte. Konnte man nichts Figürliches, Erkennbares schaffen, die Verfolgten sind doch Menschen, keine Wassertropfen !

     

    Manchmal fasst man sich wirklich an die Birne, wenn man so sieht, was in den Hirnen dieser "Künstler" so vorgeht bzw. danebengeht.

     

    Oder war das Ganze nur eine institutionelle Pflichtübung, reine Formsache ?

  • L
    Lucanus

    Erster Satz des ersten Artikels am heutigen Tage:

    "Die Diskriminierung ... hat eine lange Traditionen."

     

    Am liebsten würde ich die Seite gleich wieder schließen - aber man will sich ja informieren - Mein Gott, leistet es Euch doch wenigstens, Eure Artikel vor dem Einstellen wenigstens einmal kritisch zu lesen.

     

    So, und jetzt lese ich den Artikel doch noch, trotzdem ich gar keine Lust mehr dazu habe.

  • Z
    Zev

    Historisch ist Artikel leider nur teilweise korrekt. Die Vernichtung von "Zigeunern" erfolgte in der Tat nicht primär aus rassischen Motiven. Zunächst sollten sie aus rassischen Gründen erhalten werden, da Himmler sich eine Rückzüchtung einer arischen Urrasse erhoffte. Die Vernichtung erfolgte aus kaltem, wirtschaftlichen Kalkül. Sie waren, nach Sicht der SS, in den Lagern unnütze Esser. Das wichtigste Merkmal, dass die Vernichtung nicht primär aus rassichen Gründen erfolgte, war jedoch die Heranziehung dieser Menschen zum freiwilligen Dienst in der Waffen-SS, zB. in der Brigade Dirlewanger. Freiwillig bedeutet hier die Meldung zum Dienst gegen die Entlassung aus dem Konzentrationslager.