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Spitzel dringend gesuchtInlandsgeheimdienst blitzt ab

Der Verfassungsschutz versucht, eine Hamburger Antifa-Aktivistin anzuwerben. Die so Umschwärmte lehnt dankend ab und sähe den Dienst lieber aufgelöst.

Ließ sich nicht mitschnacken: Nicole Schwarz*. Bild: Hendrik Doose

HAMBURG taz | Nicole Schwarz* ist eine aufgeschlossene Frau. Deshalb bleibt sie höflich, als sie vor ihrer Haustür in Hamburg–St. Pauli von zwei Frauen in Jeans und Mantel mit Vor- und Zunamen angesprochen wird. Zuvor hatten die beiden die Klingelleiste inspiziert. Eigentlich ist Schwarz an jenem Nachmittag gegen halb vier völlig unerwartet nach Hause gekommen. „Die beiden waren relativ sympathisch“, berichtet die 27-jährige Studentin. „Aber sie müssen mich regelrecht abgepasst haben.“

Die beiden stellen sich als Anna und Marlies vor. Anna ist Anfang 30, schlank, 1,75 groß, hat ihre dunkelbraunen Haare zum Zopf gebunden. Marlies wird von Schwarz als eher Mitte bis Ende 30 beschrieben, hellbraunes Haar und auffällige Augen: helles Blau mit einem dunkelblauen Kranz. Mehrfach entschuldigen sie sich dafür, Schwarz einfach auf der Straße anzusprechen, aber sie hätten auch schon geklingelt, sagen sie, und Schwarz sei ihnen als „höfliche Person“ beschrieben worden.

Dann geben sich die beiden als Mitarbeiterinnen des Bundesamtes für Verfassungsschutz (VS) in Köln zu erkennen. Sie machten da so ein Forschungsprojekt, seien auf der Suche nach jungen Menschen, mit denen sie über Musik und Internet sprechen könnten – und über Linksextremismus. „Ob ich nicht Zeit hätte, mit ihnen einen Kaffee zu trinken“, erinnert sich Schwarz. „Sie beteuerten mehrfach, dass ich mir keine Sorgen machen brauche. Alles was ich sagte, würde von ihnen vertraulich behandelt.“

„Ich habe auch gar keine Zeit“

Schwarz gibt Anna und Marlies zu verstehen, dass sie mit dem VS nichts am Hut habe – spätestens nach den Verstrickungen des Inlandgeheimdienstes in den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) bringe sie dem VS kein Vertrauen mehr entgegen, und überhaupt gehöre er aufgelöst. Das mit dem NSU könnten sie verstehen, hätten die beiden erwidert, aber damit hätten sie nichts zu tun. „Ich sagte, ich habe auch gar keine Zeit“, so Schwarz, „aber sie könnten mir ja eine Karte oder ähnliches geben, dann kann ich darüber nochmal nachdenken, ob ich mich vielleicht melde.“

Auf die Frage, „wie sie denn auf mich gekommen“ seien, nannten sie das Schanzenfest und den Protest gegen einen NPD-Aufmarsch am 2. Juni, „wo ich gewesen und ’Probleme mit der Polizei‘ gehabt haben soll“, sagt Schwarz. „Wir wissen, dass sie links sind“, habe Marlies erklärt, und dass sie schon mal auf dem Schanzenfest gewesen sei, das alljährlich die autonome Szene organisiere.

„In diesem Jahr war ich nur kurz auf dem Fest und hatte keine Probleme mit der Polizei“, sagt Schwarz. Am 2. Juni habe sie zwar tatsächlich sechs Stunden lang in der prallen Sonne im Polizeikessel verbracht. „Aber meine Personalien sind nicht aufgenommen worden“, so Schwarz – „ich muss also in irgendeiner Form observiert worden sein.“

Als sie die beiden Agentinnen habe abwimmeln können, hätten sie ihr noch eine Handynummer dagelassen, falls sie es sich anders überlegen sollte, sagt Schwarz. „Und nicht, dass wir jetzt in den nächsten Tagen mit ’ner Veröffentlichung rechnen müssen“, hätten die beiden beim Weggehen gesagt.

Anwerbeversuch war „gruselig“

Nicole Schwarz bezeichnet den Anwerbeversuch als „gruselig“, weil der „Überraschungseffekt“ total klappe. Um sich rechtlich beraten zu lassen, wandte sich die 27-Jährige an die Rote Hilfe. „Ich weiß nicht, in welchen Umfang sie mich observiert haben“, sagt Schwarz. „Saßen die schon mittags am Nachbartisch? Wissen die, was man macht und mit wenn man abhängt?“ Immerhin habe sie im Januar die Demo „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ zum NSU-Komplex mit geleitet und in diesem Zusammenhang mit der Polizei-Einsatzleitung gesprochen – daher vielleicht die Einschätzung der VS-Frauen, sie sei eine „höfliche Person“?

Für Schwarz hat sich durch das Erlebnis die Floskel bestätigt, der VS sei auf dem rechten Auge blind. „Anstatt ihren NSU-Skandal selber aufzuarbeiten, lungern sie in der Antifa-Szene rum und kobern Leute.“ Wer mit solchen Methoden konfrontiert werde, sagt Schwarz, „sollte damit nicht hinterm Berg halten“.

Auf taz-Anfrage, ob der Hamburger VS über die „Wilderei“ der Kölner Kollegen informiert war, weicht Leiter Manfred Murck aus: Grundsätzlich dürfe das Bundesamt auch in den Ländern „operativ tätig werden“, sagt er. Es müsse aber das jeweilige Landesamt informieren. „Den konkreten Fall werden wir weder bestätigen noch kommentieren.“

* Name geändert

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15 Kommentare

 / 
  • NN
    Nazis nerven

    @Kommis nerven auch:

     

    Die 2. deutsche Diktatur war u. a. für Mauertote und Stasiverbrechen verantwortlich.

    Das ist durch nichts zu rechtfertigen und da gibt es auch nichts zu beschönigen, aber das ist immer noch ein großer Unterschied zum "dritten Reich".

    Die Verbrechen in der Sowjetunion gehen nicht auf das Konto der DDR.

  • P
    Peter

    "„Wer unbefugt sich mit der Ausübung eines öffentlichen Amtes befasst oder eine Handlung vornimmt, welche nur kraft eines öffentlichen Amtes vorgenommen werden darf, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“"

     

    Warum wird kein Strafantrag gegen Unbekannt wegen Amtsanmaßung gestellt?

    Vielleicht kommt dann die behördliche oder eine andere Bestätigung!

     

    "StGB § 132; Eine Strafbarkeit wegen Amtsanmaßung gemäß § 132 StGB setzt in beiden gesetzlich genannten Tatvarianten ein Handeln voraus, das sich als amtliche Tätigkeit darstellt. Der Tatbestand ist daher nicht erfüllt, wenn der Täter es dabei belässt, sich als Amtsinhaber auszugeben, ohne eine Diensthandlung vorzunehmen."

     

    Aha, das Anwerben ist Beamten erlaubt. Wenn es Beamte sind!

    Aber wie sieht es mit dem Datenschutz aus?

     

    Ein Informant aus der Polizei oder anderen behördlichen Quellen? Wurde das staatliche hamburger Netzwerk angezapft?

    Da gab es doch einmal eine Terrorvideo das in Erfurt in das Internet kam und den Innenministern sehr dienlich war.

    Wie aus dem Wikileaks-Ahlhaus Skandälchen rund um Caberta bekannt wurde, ist Scientology aber auch die CIA aktiv. Die letztere hat in Hamburg eine Sicherheitsberatungsfirma gegründet.

     

    Bei dieser Aussage „Den konkreten Fall werden wir weder bestätigen noch kommentieren.“ zeigt sich erneut wie unkoordiniert glaukombehaftet Behörden sind.

    Hr. Manfred Murck, wo bleibt der verfassungsgemäße Auftrag, Schutz vor Terror?

    Bildet sich eine neue NSU?

  • KN
    Kommis nerven auch!

    @Nazis nerven

     

    Die zweite Diktatur war für Mauertote, Stasiverbrechen und Millionen Tote in der UdSSR verantwortlich. Lebenswert war das auch nicht.

  • NN
    Nazis nerven

    @FaktenStattFiktion:

     

    "Es mag ihnen entgangen sein, aber es gab zwei deutsche Diktaturen in diesem Land. "

     

    Genau das meinte ich mit meiner Anregung, doch mal ein, zwei gute Geschichtsbücher zu lesen:

     

    Zwischen beiden Diktaturen gab es ein paar deutliche Unterschiede.

    Die eine war übrigens verantwortlich für WK 2 und den Holocaust...

  • W
    weber

    "...sähe den Dienst lieber aufgelöst."

     

    Das ist die Forderung aller Verfassungsfeinde und Extremisten, rechts, links, islamistisch, damit man "schön" die Demokratie und Meinungsfreiheit abschaffen kann, in diesem Fall um Anarchie zu schaffen.

    Genau deshalb brauchen wir dringend einen wirksammen und kompetenten VS!!!

  • KS
    Klaus Schirmer

    Na, ich weiß nicht... Was sollen immer die Forderungen nach einer Abschaffung des "Verfassungsschutzes"?

     

    Wäre es jenen lieber, wir hätten in Deutschland wieder eine "Staatssicherheit" (oder gar eine "Geheime Staatspolizei")?

     

    OK, auch in meiner Sicht hat der Verfassungsschutz versagt (insbesondere wg. "NSU" und weil es immer noch zu viele Straftaten von Islamophilen gibt). Aber muss man ihn deswegen gleich abschaffen? Reformieren täte es doch auch.

  • F
    FaktenStattFiktion

    @gummibärchen

     

    Sie haben ja eine unglaubkiche Menge von Argumenten - sorry, es waren doch nur Unterstellungen- plaziert. Kommt da noch noch etwas mit Substanz? Oder wollen Sie hier nur den Troll geben?

     

    Harte Fakten, oder gummiweiches Gejammere?

  • F
    FaktenStattFiktion

    @nazi nerven

    1. Nazis nerven nicht, sondern sin Anhänger einer verbrecherischen Ideologie. Sie sollten ein Geschichtsbuch lesen.

     

    2. Es mag ihnen entgangen sein, aber es gab zwei deutsche Diktaturen in diesem Land. Auch wenn Linksextreme dies leugnen und 1989 lieber mit Mauer und Stacheldraht eeiter machen wollten.

     

    3. Werfen Sie einen Blick auf den Kalender. Wir schreiben das Jahr 2012, es gab also eine Zeit vor dem Dritten Reich und auch danach. Überraschung...

     

    3. Sie haben so auffâllig zur Intention geschwiegen und sind der Frage ausgewichen. Scheuen Sie die Antworten?

  • D
    dertodisteinmeisteraus.de

    Die von Frau Schwarz mitgeleitete Demonstration "Der Tod ist ein Meister aus Deutschland" forderte u.a.:

     

    - Die unabhängige Aufklärung aller Taten der NSU sowie die Offenlegung der Verstrickung des Verfassungsschutzes und anderen Geheimdiensten unter internationaler Beteiligung

    - Einbeziehung der Angehörigen in die Aufklärungsarbeit

    - Ersatzlose Schließung aller Einrichtungen des Verfassungsschutzes

     

    Das der VS nun bei ihr vor der Tür steht, während die Kollegen Akten schwärzen oder schreddern, finde ich tatsächlich skandalös. Zivilgesellschaftliches Engagement wird hier kriminalisiert und verfolgt.

    Den Forderungen der Demonstration kann ich mich damit umso mehr anschliessen. Der Verfassungschutz gehört abgeschafft.

  • SJ
    Stefan Jahn

    @Steffi K.:

     

    "Diese Geschichte könnte genauso gut erfunden sein. Im Übrigen ist die Antifa-Bewegung nichts anderes als eine kriminelle Clique"

     

    Soviel zum Thema (Rechts)-Populismus...

     

    Angesichts ihres Kommentars sind sie bei Altermedia besser aufgehoben...

  • R
    Ralf

    Da in der BRD eine Entnazifizierung nie stattgefunden hat, das Personal größtenteils aus der Nazizeit übernommen wurde, ist der Verfassungsschutz (und auch alle anderen sogenannten Dienste, bis hinein in Justiz und polizei) rechtslastig. Was dann auch zu diesem kompletten Versagen im Zusammenhang mit der NSU führt. Dieser Geburtsfehler ist unheilbar. Kann also nur durch beerdigen sprich Auflösung geheilt werden. Wahrscheinlich war die Antifa zu nett und kooperativ, vielleicht auch etwas zu naiv. Was dann zu dem Anwerbeversuch geführt hat.

  • G
    Gummibärchen

    Oh schrecklich liebe Pi-Trolle, jetzt macht die taz auch noch den VS schlecht - dabei hat der doch so lange geholfen, Eure rechte Szene zu finanzieren. Wie sagt doch das bekannte Sprichwort: Ohne den Verfassungsschutz wärt ihr nur zu dritt!

  • SK
    Steffi K.

    @FaktenStattFiktion.. Dieser Artikel von Kai von Appen ist grottenschlecht und hat eine Aussagekraft ,die gegen Null geht. Ich kann mich Ihnen da nur anschließen. Desweiteren muss man den Wahrheitsgehalt der Antifa-Aktivistin anzweifeln. Diese Geschichte könnte genauso gut erfunden sein. Im Übrigen ist die Antifa-Bewegung nichts anderes als eine kriminelle Clique,die unter dem Vorwand gegen "Rechts" zu kämpfen, massive Strafaten begeht und ihre eigenen illegalen Aktivitäten schönredet.

     

    @Nazis nerven.. außer Populismus und Bildungsferne kommt von Ihnen nichts. Sie dürfen gerne weiter auf ihren ein oder zwei "guten" Geschichtsbüchern weiterschlafen . Der Besuch eines Hörsaals, wenn sie denn endlich ausgeschlafen haben,würde Ihnen auch nicht schaden.

  • NN
    Nazis nerven

    @FaktenStattFiktion:

     

    Den VS braucht man gar nicht mehr schlecht machen, der hat sich selbst schon längst ins Abseits manövriert.

    Zum Unterschied zwischen Links und Rechts rate ich ihnen, sich mal ein oder zwei gute Geschichtsbücher zu genehmigen.

  • F
    FaktenStattFiktion

    Was soll der Artikel dem Leser suggerieren? Den Verfassungsschutz schlecht machen? Wäre der Artikel auch erschienen, wenn die Dame nicht links- sondern rechtsradikal ist?

     

    Die Einseitigkeit der taz ist erschreckend.