Kolumne Nebensachen aus Nairobi: Besuch auf der Schattenseite
Afrikas mutmaßlich größtes Slum lässt sich bei einer Touristenführung besichtigen. Die Teilnehmer sollten hinreichend Kleingeld und Beutel mitbringen.
A rmutsviertel umarmen Kenias Hauptstadt Nairobi. Nicht weit entfernt von meinem Haus liegt Kibera, der größte Slum von Afrika, wie hier jedenfalls behauptet wird. Wenn ich ausländische Besucher habe, deute ich immer auf den See verrosteter Metalldächer. Denn meine Gäste sollen wenigstens einen flüchtigen Blick auf die Schattenseiten des Ferienlandes Kenia werfen.
Kürzlich machte mich eine Annonce – Motto: Ein touristischer Spaziergang durch das freundlichste Armenviertel von Afrika – neugierig. Vielleicht ist das etwas für meine nächsten Gäste. Aber sollen sich Touristen wirklich das elendige Leben der Kenianer anschauen? Ich machte erst mal einen solchen Spaziergang zur Probe.
Die meisten Gassen zwischen den Häusern in Kibera, die aus Holz, Schlamm, Stroh, Karton und Blech gebaut sind, sind zu eng, als dass dort zwei Menschen nebeneinandergehen könnten. Die Geräusche der Schritte werden gedämpft durch eine dicke Schicht vergammelter Plastiktüten auf dem Boden. Kinder spielen mit nichts, eine Frau backt vor ihrer Tür Fisch in schlecht riechendem Öl. Ein Mann repariert ein altes Fahrrad. Eben das Alltagsbild von einem Slum.
Den erste Halt, den unser Tourguide Frankie einlegt, ist bei einer für Kibera durchschnittlichen Zweizimmerhütte. Hier wohnt Pamela, aber sie hat ihr Wohnzimmer umgezaubert in einen Laden voll mit touristischen Klimbim. Sie erzählt eine herzzerreißende Geschichte über die schwere Lage von HIV-infizierten Frauen und Kindern hier im Armenviertel. Aber sie versichert den Besuchern, dass diese selbst das Elend erleichtern können, indem sie hier etwas kaufen. Das Geld gehe an Frauen und Kinder. Kein Tourist traut sich jetzt mehr zu gehen, ohne nicht vorher einen Schlüsselanhänger, eine Kette oder ein Armband gekauft zu haben.
Morgen gibt es Mittagessen
Ilona Eveleens ist taz-Korrespondentin in Nairobi.
Die Tour führt an Bergen von stinkendem Abfall vorbei. Hunde wühlen darin herum auf der Suche nach etwas Essbarem. „Menschen und Tiere führen hier einen Überlebenskampf“, sagt Frankie. Er stoppt bei einer Kirche, die unter der Woche als Schule dient. Dutzende Kinder fangen an, beim Eintritt der Besucher zu singen, angefeuert von der Lehrerin Theresa. Die berichtet von den schlechten Verhältnissen, unter denen die Kinder zu Hause leben. „Oft gibt es kein Abendessen. Wir sorgen für ein kleines Frühstück. Aber Mittagessen können wir den Kindern bloß geben, wenn nette Leute wie Sie ein wenig helfen.“ Schon öffnen die Touristen ihre Portemonnaies. Morgen gibt es Mittagessen!
Der nächste Halt ist eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für junge, arbeitslose Männer. „Ohne Arbeit rutschen sie leicht in die Kriminalität ab“, sagt Frankie. Aus beim Metzger gekauften Kuhknochen wird Schmuck geschnitzt. Nachdem wir dabei zugeschaut haben, werden wir in den Verkaufsraum geleitet. Frankie: „Wenn Sie etwas kaufen, haben die Arbeiter etwas, das sie heute mit nach Hause nehmen können: Essen für die Familie“. Jeder Besucher hat offensichtlich ein großes Herz!
Nach drei Stunden Wanderung durch Armut und Elend drehe ich Kibera ohne Schuldgefühle den Rücken zu. Im Armenviertel bleibt auch keiner zurück mit Hemmungen über eine schlau ausgeführte Betteltour. Touristen können mit eigenen Augen die andere Seite von Kenia sehen, während sie das Elend einiger etwas erleichtern, wenn auch nur für kurze Zeit.
Ich werde Freunde, die mich demnächst besuchen, bestimmt auf eine Tour durch Afrikas freundlichsten Armenviertel schicken. Mein Rat: Nehmt Geld mit und eine Einkaufstasche!
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