piwik no script img

Kommentar AsylbewerberleistungsgesetzMit Friedrich auf Zeitreise

Christian Jakob
Kommentar von Christian Jakob

Das neue Leistungsgesetz für Asylbewerber ist diskriminierend. Es sieht Sachleistungen statt Geld vor und benachteiligt einzelne Gruppen.

M an stelle sich vor, es ginge um Deutsche: Hartz-IV-Empfänger bekämen künftig kein Geld mehr aufs Konto, sondern zweimal in der Woche ein Essenspaket, bestellt vom Amt, gepackt vom Cateringservice. Taschengeld wird gestrichen, Zigaretten und Bier auch. Absurd? Ganz bestimmt.

Im Fall von Asylbewerbern ist es das nicht. Seit 1993 ist das Sachleistungsprinzip in Deutschland die Regel – ersonnen als Schikane, um Flüchtlinge fernzuhalten, gemeinsam mit einem Arbeitsverbot und einem drastisch gesenkten Anspruch auf Sozialleistungen.

Letzteres hat das Bundesverfassungsgericht im Sommer für nichtig erklärt. Existenzminimum ist Existenzminimum, entschieden die Richter. Ganz gleich, um wessen Existenz es geht.

taz
CHRISTIAN JAKOB

ist Redakteur der taz.

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich wollte das Urteil von Anfang an nicht akzeptieren. Er will, das hat er mehrfach gesagt, nach wie vor das Sozialrecht zu benutzen, um Menschen aus Deutschland zu vergraulen, die er hier nicht haben will.

Am liebsten wäre es ihm deshalb gewesen, wenn Flüchtlinge auch in Zukunft weiter deutlich weniger Geld als Deutsche bekommen würden. Damit konnte er sich im Kabinett nicht durchsetzen. Nun sollen die Flüchtlinge wenigstens nicht selbst entscheiden können, was sie sich von ihrem Geld kaufen: Das zutiefst paternalistische Sachleistungsprinzip, das viele Länder, Kreise und Städte in den vergangenen Jahren eigenmächtig ausgesetzt haben, soll auf Drängen Friedrichs wieder restriktiver gehandhabt werden.

Roma aus Serbien und Mazedonien, auf die es das Innenministerium besonders abgesehen hat, sollen künftig weniger bekommen als andere. Ihre Herkunftsländer will Friedrich dazu pauschal für „sicher“ erklären. Asyl gibt’s dann keins mehr – und bis zur Abschiebung auch weniger Geld.

Kommt er damit durch, kann sich in Deutschland bald kein Flüchtling mehr sicher sein. Das Prinzip lässt sich ohne weiteres auf andere Staaten anwenden. Irgendwann werden dann womöglich auch Russland oder die Türkei pauschal als „sicher“ eingestuft, wenn nach dem Geschmack des Innenministers zu viele Leute von dort hierherkommen.

Zwanzig Jahre hat es gedauert, bis die schlimmsten Folgen des Asylkompromisses aufgehoben wurden. Der Innenminister arbeitet mit aller Kraft daran, die Uhr wieder zurückzudrehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Christian Jakob
Reportage & Recherche
Seit 2006 bei der taz, zuerst bei der taz Nord in Bremen, seit 2014 im Ressort Reportage und Recherche. Im Ch. Links Verlag erschien von ihm im September 2023 "Endzeit. Die neue Angst vor dem Untergang und der Kampf um unsere Zukunft". 2022 und 2019 gab er den Atlas der Migration der Rosa-Luxemburg-Stiftung mit heraus. Zuvor schrieb er "Die Bleibenden", eine Geschichte der Flüchtlingsbewegung, "Diktatoren als Türsteher" (mit Simone Schlindwein) und "Angriff auf Europa" (mit M. Gürgen, P. Hecht. S. am Orde und N. Horaczek); alle erschienen im Ch. Links Verlag. Seit 2018 ist er Autor des Atlas der Zivilgesellschaft von Brot für die Welt. 2020/'21 war er als Stipendiat am Max Planck Institut für Völkerrecht in Heidelberg. Auf Bluesky: chrjkb.bsky.social
Mehr zum Thema

9 Kommentare

 / 
  • N
    Neumi

    Was für ein Geschrei um die(noch nicht erfolgte)Kürzung der Leisung von Serbischen und Mazedonischen Asylbewerber?In der Schweiz bekommen sie außer Unterkunft und Verpflegung garnichts und Ihr Asylantrag ist nach 2 Tagen abgeschlossen,ähnlich in den Niederlanden!!!In Deutschland überwintern Sie auf Steuerzahlerkosten und mit dem Asylgeld bezahlen Sie Ihre Schlepper(Mafia)!Der Platz wird für wirklich Verfolgte Menschen benötigt.

  • L
    lowandorder

    @ von Storch:

     

    Schon klar; aber ich dachte immer, der mit dem Kopf

    im Sand… wär der Strauß?

     

    " Antragszeitraum" - das liest/schreibt sich so harmlos.

    Isset aber nicht. Und das weiß auch dieser Vogel.

    Das sind - wie mich 20 Jahre Asylrichter gelehrt haben - oft/meist Jahre!

     

    Und die Menschenwürde des Art 1 unseres Grundgesetzes

    ist wie der Name ja sagt : ein Menschenrecht, stupid.

    Und die Karlsruher lassen da völlig zu recht bei dem verbliebenen Rest

    dieses Rechtes auf Asyl nicht mit sich handeln.

    Nur Zyniker, nicht in dieser Republik Angekommene glauben

    via Asyl ihr Ekelsüppchen kochen zu dürfen, ja können.

    Dem, in welcher Verkleidung auch immer -

    immer wieder entgegen zu treten, ist humane Pflicht.

     

    Einfach mal aufhören, rumzuramentern.

    Besser ist das.

  • S
    Storch

    "[...] das Sachleistungsprinzip in Deutschland die Regel – ersonnen als Schikane, um Flüchtlinge fernzuhalten, [...]" schon klar... weil Menschen sich auch lieber in ihrem eigenen Land Gefahr und Verfolgung aussetzen, als in Deutschland das grausame Sachleistungsprinzip für die Dauer der Antragsphase zu ertragen.

  • V
    vic

    "Der Innenminister arbeitet mit aller Kraft daran, die Uhr wieder zurückzudrehen."

    ...und weiß dabei die meisten Deutschen hinter sich.

  • L
    lowandorder

    " Warum sollen wir dankbar sein!"

     

    Tja, das werden sie sich jetzt erst recht nicht fragen.

    Der Mielke-auf-Rädern-Nachfolger Klein Blindie Friedrichs

    ist im Detail vielleicht noch effektiv-gefährlicher.

    Anders als der Mr. Unverfroren-Carl-Schmitt-Apologet Schäuble

    ist diese Mischung aus ersichtlicher Beschränkheit und handwerklicher Unfähigkeit

    auf zwei kurzen Beinen nicht in der Lage, gar willens die nach vorn drängenden Hartleiber im eigenen Hause an die Verfassung rückzubinden.

     

    Und dat Merkel? - sorry, aber für unsere FDJ-Jean d'Arc ist das Gedöns.

    Lederfressig schmallipig wie GazPromGerd!

    - am Roma-Sinti-Mahnmal Wolkiges - das ja!

    Paßt schon.

     

    By the way - schön, eine weitere klare - helle - Stimme bei der taz.

    Na bitte - geht doch!

    männlich! - tja, nobody is perfect, ihr Begabteren!

    Wir arbeiten dran trotz Jürgen, versprochen!

  • F
    Faktencheck

    Der Kommentar geht leider an den tatsächlichen Verhältnissen vorbei. Also:

    Asylbewerber erhalten Grundleistungen (für Kleidung und Ernährung usw.) und ein sog. "Taschengeld". Das Taschengeld wird immer in bar ausgezahlt und liegt etwa bei 100 Euro im Monat (für Kinder und Erwachsene gelten je nach Altersgruppe und Familienverhältnissen abweichende Sätze). Das "Taschengeld" kann natürlich frei verwendet werden, auch für Alkohol und Zigaretten. Die Grundleistungen werden entweder in bar oder als Sachleistungen gewährt. Das kann dann z.B. ein Wintermantel oder ein Gutschein für die Kleiderkammer der Diakonie sein. Bei Lebensmitteln sieht das Sachleistungsprinzip so aus, dass die Asylbewerber Bestellisten erhalten, in denen sie ankreuzen können, was sie haben möchten. Die entsprechenden Pakete gibt es dann etwa zwei- oder dreimal die Woche. (Vorschlag an die taz: druckt einmal eine solche Bestelliste ab.)

    Das Bundesverfassungsgericht hatte keine Einwände gegen das Sachleistungsprinzip, es hat für diesen Fall auch keine Nachzahlungspflichten der Behörden für die Vergangenheit festgelegt.

    Die diskutierte Kürzungsmöglichkeit findet sich bereits in § 1a Asylbewerberleistungsgesetz. Danach gibt es in bestimmten Fällen Leistungen nach dem Gesetz nur, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist. Was "unabweisbar geboten" ist, das hat das Bundesverfassungsgericht gerade festgestellt, nämlich die Sicherung des Existenzminimums. Eine Kürzung unterhalb des Existenzminimums oder auf Null geht also gar nicht.

    Übrigens können auch bei Hartz IV-Empfängern die Leistungen in Missbrauchsfällen gekürzt werden, die taz hat darüber berichtet.

    Der Bundesinnenminister ist nicht mit irgendwelchen Plänen zu Asylbewerberleistungen im Kabinett gescheitert, weil er weder dafür zuständig ist noch das Bundeskabinett bisher etwas zu beschließen hatte.

    In welchen Fällen ein Staat als sicherer Herkunftsstaat eingestuft werden kann, ist in Artikel 16a Absatz 3 Grundgesetz und in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1996 im einzelnen festgelegt. Dass die Türkei oder Russland diese Kriterien erfüllen könnten, ist ungefähr so realitätsnah wie die Erwartung, Bushido werde zum Frauenversteher mutieren.

    Neben den genannten Leistungen erhalten Asylbewerber natürlich auch eine Unterkunft, Hausrat und die erforderliche medizinische Versorgung, Kinder gehen in die Schule. Das ist alles richtig und angemessen, man sollte dann aber nicht so tun, als ob Asylbewerber in Lumpen auf der Straße leben und betteln müssten.

  • A
    alexande

    btw: den erwähnten deutschen hartz4 empfängern darf schon längst alles mögliche gestrichen werden. die einsparungsberichte liegen vor (das kann mensch selbst suchen) und eine defacto residenzpflicht haben sie auch.

  • S
    spiritofbee

    ".....Der Innenminister arbeitet mit aller Kraft daran, die Uhr wieder zurückzudrehen...."

    Mit einer Uhr ist es hier nicht getan, eher mit einem Stapel von ca.70 Kalendern.

  • D
    D.J.

    Wenn ein Staat als sicher definiert wird (was ich im Falle Serbiens/Mazedoniens für gerechtfertigt halte), ist m.E. auch die finanzielle Differenz zu möglicherweise anzuerkennenden Asylberwerbern legitim. Wenn der Maßstab nämlich lediglich der Aufenthalt auf dem Staatsgebiet der Bunderspublik wäre, wären ja sogar in Not geratene Touristen in HartzIV-Höhe anspruchsberechtigt, obwohl diese jederzeit das Land gefahrlos verlassen könnten.

    Was die Sachleistungen betrifft, geht es auch um Abschreckung von natürlich bar zu bezahlenden Schleußern (betrifft allerdings genannte Länder nicht, da man sich in Belgrad einfach in den Linienbus setzt).

    Unterstützung von Roma-Initiativen auf dem Balkan ja, Integration berechtigterweise hier lebender Roma ja, Aushöhlung des Asylrechts durch unsinnige Anträge nein (was ich den Betreffenden selbst nicht mal zum Vorwurf mache, sondern denen, die wider besseren Wissens diesem Missbrauch das Wort rednen).