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Pro und Contra ÜberwachungBraucht es mehr Kameras?

Kommentar von U. Winkelmann und C. Jakob

Einerseits mögen Kameras bei der Täterermittlung helfen. Andererseits: Straftaten scheinen sie nicht zu verhindern. Zwei Positionen.

Kompromissvorschlag: Kameras aufmalen Bild: DavidQ/photocase.com

J A. Um festzustellen, wer die Bombe auf dem Bonner Bahngleis platziert hat, starren die Ermittler nun also auf die mangelhaften Filmaufzeichnungen, die die Schnellrestaurantkette McDonald’s zur Verfügung stellt. Denn die Bilder der Bahn-Videokameras vom Bahnsteig wurden nicht gespeichert. Gespeichert wird nur in sehr großen Bahnhöfen.

Kaum ein Beispiel zeigt besser, wie absurd die Datenschutzdebatte beim Thema Videoüberwachung ist. Welcher Bürger würde sich in seinen Rechten eingeschränkt fühlen, wenn die Bahn die Aufzeichnung seines Bahnsteigaufenthalts nicht nur im Hamburger oder Berliner Hauptbahnhof, sondern auch in Bonn oder Altenbeken speichern würde? Doch gelten Freiheit und Sicherheit offenbar als ausreichend abgewogen, wenn Provinzbahnhöfe bloß beobachtet werden, die Beobachtungsbilder von Metropolenstationen dagegen auch kurzfristig gespeichert werden.

Sicherheits- und Freiheitsempfinden funktionieren subjektiv und sind leicht manipulierbar. Das lässt sich schon daran erkennen, dass zwar halb Großbritannien observiert wird – „CCTV in operation“ steht auf unzähligen Schildern –, aber die Idee eines Personalausweises dort kaum vermittelbar ist.

Ulrike Winkelmann

ist Co-Leiterin des Inlands-Ressorts der taz.

Der Bonner Terrorist wird möglicherweise nie verraten, ob er dachte: Hier kann ich meine Bombentasche zwar beobachtet, aber ungespeichert abstellen. Der Vorgang zeigt jedoch, dass Videoüberwachung ein Mittel ist, das nach Speicherung geradezu verlangt. Wozu sonst der Aufwand? Beobachtet der Mensch an den Monitoren eine Straftat nur live, wird das Personal zum Eingreifen oft zu spät kommen. Mit einer Speicherung lassen sich immerhin die Täter leichter ermitteln.

Die notwendige Abwägung zwischen Freiheitseinschränkung und dem Sicherheitsertrag – hier fällt sie zugunsten der konsequenten Nutzung aus. Die Speicherung von Videoaufnahmen ist verhältnismäßig. ULRIKE WINKELMANN

NEIN. Noch kein Innenminister hat die Gelegenheit ausgelassen, nach spektakulären Gewalttaten – ganz gleich ob vollzogen, gescheitert oder vereitelt – mehr Befugnisse für die Sicherheitsorgane zu fordern. Ob der Täter ermittelt oder flüchtig ist, ist dabei einerlei. Je größer die öffentliche Aufmerksamkeit, desto zuverlässiger ist dieser Reflex.

Nun soll der gescheiterte Anschlag im Bonner Hauptbahnhof als Grund für eine noch stärkere Überwachung öffentlicher Räume herhalten: Die Medizin gegen Terror war nicht falsch, die Dosis war nur zu niedrig.

Christian Jakob

ist Redakteur der taz.

Doch wer verrückt genug ist, im religiösen Wahn eine belebte Bahnhofshalle sprengen zu wollen, wird sich nicht von Kameras abhalten lassen. Bei anderen Arten von Gewaltkriminalität ist es ähnlich: Alles, was man weiß, deutet darauf hin, dass sich die Häufigkeit von Straftaten nicht verringert. Mit der verhütenden Wirkung ist es nicht weit her.

Zudem ist die Videoüberwachung ein überwiegend privates Unterfangen. Denn die Grenze zwischen privatem und öffentlichem Raum ist fließend. Im Visier stehen deshalb im Regelfall auch keine Terroristen, sondern jene, die im privatisierten öffentlichen Raum unerwünscht sind: Obdachlose und Bettler. Sie werden genauso verdrängt wie die Kriminalität, die man eigentlich eindämmen will.

Natürlich gibt es Fälle, in denen Straftaten mit Videobildern aufgeklärt werden konnten. Das ändert nichts daran, dass jede dieser Aufzeichnungen das Persönlichkeitsrecht verletzt. Nicht der Einzelne muss deshalb begründen, warum er nicht gefilmt werden will – der Staat muss rechtfertigen, dass es geboten ist. Die Anforderung an solche Grundrechtseingriffe lautet: Sie müssen verhältnismäßig sein.

Wohin diese Art von Innenpolitik führt, zeigt sich jedoch in Großbritannien: Bahnhöfe und Busse, Parks, Straßen und Parkplätze – sie alle gelten als potenziell gefährliche Orte. Was dort geschieht, wird aufgenommen. Das ist nicht verhältnismäßig, es ist maßlos. CHRISTIAN JAKOB

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14 Kommentare

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  • Sehr geehrter Herr Innensenator,

     

    ich verfolge mit Interesse die von Ihnen angeschobene Diskussion über die Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung. Aus Ihrer Argumentation entsteht für mich der Eindruck, dass die Kameraüberwachung für Sie das" ultima Ratio" der Verbrechensprävention zu sein scheint.

     

    Nun ist es zwar löblich , die Möglichkeit zu haben, Straftäter nach begangener Tat zu ermitteln, aber ich stelle die Behauptung in den Raum, dass eine Verhinderung der Tat, bzw. Ergreifung des Täters auf dem Fuße, den Opfern genehmer wäre. Dies wird aber wohl nur mit der entsprechenden Zahl an Beamten zu bewerkstelligen sein. Um diesen Personalengpass lösen zu können, schlage ich Ihnen vor ,Berliner Politiker, die Personenschutz genießen, mit Kameras zu bestücken, und die so freigewordenen Kräfte im öffentlichen Raum einzusetzen. Der Bürger wird es Ihnen danken. Da Sie ja von der Wirkung der Videoüberwachung laut Ihren medialen Ausführungen überzeugt sind, wird dies den potentiellen Straftäter garantiert abschrecken. Und sollte es doch zu Straftaten kommen, haben die Ermittlungsbehörden ja aufgrund der gespeicherten Daten die Möglichkeit den Täter zu ermitteln.

     

    Da der Personalengpass im ganzen Bundesgebiet vorhanden ist, könnte ich mir vorstellen, diese Vorgehensweise auf einer Innministerkonferenz vorzustellen. Eine Rückführung der Personenschützer gerade aus dem Bereich der Bundesregierung würde zu einer elementaren Aufstockung der Kräfte im öffentlichen Raum führen.

     

    Ich bin sicher, dass es eine breite Zustimmung in Politikerkreisen geben wird, sich den Gegebenheiten des " normalen Bürgers " anzupassen.

     

    Mit freundlichen Grüßen

    Lars Blümel

  • MS
    Max Seinsch

    Personen, die sich im öffentlichen Raum bewegen, sollten sich darüber klar sein, dass sie sich der Öffentlichkeit und der Beobachtung preisgeben, unabhängig davon, ob Kameras vorhanden sind oder nicht. Dass ich mir in der Öffentlichkeit in der Nase bohre, mag meine Privatangelegenheit sein, die ich von niemandem beobachtet wissen will. Aber die Menschen um mich herum werden wahrscheinlich nicht nur darauf aufmerksam werden, sie werden es wahrscheinlich auch in ihrem Gedächtnis abspeichern und später darüber berichten können.

    Die Argumente gegen mehr Kameraüberwachung sprächen konsequenterweise auch gegen die Überwachung durch mehr Sicherheitspersonal, das Passanten mehr als alles andere beobachtet und solche, die sich unangemessen verhalten, im Auge behält.

    Darüber hinaus können mehr Kameras im öffentlichen Raum (bei Echtzeitüberwachung) auch zu schnellerer Hilfe in Notfällen wie z.B. bei Herzinfarkten beitragen.

  • C
    Cerberus

    Ich verstehe die Aufregung nicht. Die akutelle Gesetzesage lässt ja bekanntlich eine bessere Überwachung von öffentlchen Plätzen und Gebäuden zu, strittig ist hierbei nur die Streitfrage.

     

    Hätte eine Kameraüberwachung, die auch aufgezeichnet worden ist, am Bonner HBF stattgefunden, hätte dies die Ermittlung der oder des Täters sicherlich einfacher gestaltet.

    Selbstverständlich lassen sich mit Überwachungskameras weder Affektaten verhindern, noch Gewalttaten als solche.

     

    Zahlreiche "U-Bahn-Schläger" wären ohne eine Überwachung mit anschl. Speicherung der Aufnahmen nicht oder so nicht auffindbar gewesen. Und auch der Tathergang kann dem ermitteltem Täter genauer zu Last gelegt werden.

     

    Wer argumentiert, die Bilderflut könne niemand mehr überwachen, der darf nicht gleichzeitig eine Verletzung in seiner persönlichen Freiheit sehen.

    Kameraüberwachung; von mir aus. Wenn dadurch Gewalttaten wie zb der Mord/Totschlag am Alexanderplatz aufgeklärt werden können, ist der Gesellschaft geholfen.

  • FF
    Freiheit für Alle!

    Mit der nahezu gleichen Argumentation wie hier von der Mehrheit der Poster eine Videoüberwachung abgelehnt wird, lässt sich auch die Unsinnigkeit von strengeren Waffengesetzen begründen...

  • GD
    Gegen die Überwachungsgesellschaft

    Laut vieler Studien hält Videoüberwachung erwiesenermaßen Täter nicht von ihren Taten ab.

     

    Aber der unakzeptable Nachteil für alle, auch die Nicht-Täter in unserer Gesellschaft, ist die Big Brother-Video-Überwachungsgesellschaft, die jede Lebensäußerung gegen einen verwenden kann.

     

    (Siehe z.B. das Impact-EU-Überwachungsprojekt, oder wie das heissst).

  • T
    tazitus

    "Es" hat wohl schon (zu) viele Schwaben in der taz-Redaktion? :-) (Prof. Haase, bitte übernehmen Sie.)

  • D
    daswois

    Durch die Kameras liess sich in London so einiges dokumentieren: 7/7 ripple effect yt.

  • D
    Dhimitry

    Offenbar gibt es kaum noch Argumente gegen die Videoüberwachung. Der Kommentar von Herrn Jakob macht das sehr deutlich.

    Für mich besteht in der Argumentation ein logischer Fehler: Zum einen wird davon ausgegangen, dass Kameras zwar keine Straftaten verhindern (zur Auflkärung aber beitragen), wohl aber Obdachlose vertreiben würden? Warum das?

    Es ist löblich die Auwirkung von Maßnahmen auch auf gesellschaftliche Randgruppen zu berücksichtigen. Aber auch bei dieser Berücksichtigung sollte die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben...

  • V
    Viktor

    Wer Überwachungskameras will, soll belegen, was sie bringen. In Grossbritannien, wo überall Kameras hängen, versucht man seit Jahren, irgend eine Form von Wirksamkeit zu belegen. Weitgehend vergeblich.

  • D
    D.J.

    Hinsichtlich der Überwachung stark frequentierter Punkte neige ich eher der Meinung von Frau Winkelmann zu. Aber noch aus einem anderen Punkt: Verschwörungstheoretiker werden nach Anschlägen dadurch zwar nicht von ihren Theorien abgehalten (das liegt in ihrer oft labilen Psyche begründet), wohl aber deren potentielle Anhängerschar angemessen gering gehalten.

    Im Übrigen könnte - hinsichtlich nichtterroristischer Gewalt - eine Denkfehler vorliegen: Auch wenn Straftaten nicht unmittelbar verhindert werden, hat dies sicherlich einen Effekt, dass die schnelle Identifizierbarkeit und Veröffentlichung von Täterbildern eine abschreckende Wirkung hat (und immerhin sind die Täter dann auch erst mal aus dem Verkehr gewzogen, zumindest in Städten mit funktionierender Justiz, wo man sich nicht aus Dummheit, Feigheit oder Ideologie weigert, brutale Gewaltverbrecher für eine Weile wegzusperren).

  • FF
    Fiona Flauderer

    "Sicherheits- und Freiheitsempfinden funktionieren subjektiv und sind leicht manipulierbar." - und Ulrike Winkelmann ist anscheinend schon genügend lang manipuliert worden, als dass sie es für akzeptabel hält, dass überhaupt überall Kameras hängen und ALLE filmen und damit unter Verdacht stellen. In zwei Jahren wird sie dafür plädieren, dass jede Straße videoüberwacht wird, damit die Hundekackenichtaufsammelnden "gefasst" werden oder Beirotüberdieampelgehende bestraft werden können. Soviel Freiheitseinschränkung ist verhältnismässig, wird sie schreiben. Aber wer Freiheit für ein Empfinden hält, hat die Seele wahrscheinlich eh schon an die Regierungstechniker verkauft.

  • WP
    W. Preiser

    Ueberwachen ohne (zumindest fuer einen kurzen Zeitraum) zu speichern ist Quatsch. Stimmt: Terroristen werden sich davon vielleicht nicht abschrecken lassen; brutale Schlaeger jedoch schon (ausser sie sind so besoffen, dass sie die Kameras nicht bemerken). Und beide Gruppen lassen sicher hinterher wenigstens leichter fangen! Lieber im oeffentlichen Raum durch die oeffentliche Hand gefilmt werden als, wie in England, so gut wie ueberall von irgendwelchen privaten "Sicherheitsfirmen" etc. Und ja: Sicher sind Obdachlose, Bettler etc. oft Ziel der Ueberwachung - doch denen duerfte eine Speicherung piepegal sein, denn es ist die laufende Beobachtung, die Wachleute in Gang setzt.

  • DS
    Dr. Schreck

    "Der Vorgang zeigt jedoch, dass Videoüberwachung ein Mittel ist, das nach Speicherung geradezu verlangt. Wozu sonst der Aufwand?"

     

    Eben. Darum soll man es gleich bleiben lassen.

     

    Liebe Frau Winkelmann, Ihr Plädoyer ist genaugenommen keines für die Videoüberwachung, sondern nur für ein einheitliches, konsistentes Vorgehen. Ebenso könnte man Ihre Argumentation umdrehen: Wenn in Hintertupfingen nicht gespeichert wird, sollte in Berlin auch nicht gespeichert werden. Das spart Zeit, Geld und Festplattenspeicher.

     

    MfG, Dr. Schreck

  • N
    Neo

    Warum sollte man den Roman 1984 von George Orwell zu dieser Thematik lesen und sich den Film Matrix nochmals ansehen?

     

    Neo, die Unbestechlichen