Altersvorsorge: „Alte Verträge sollte man halten“
Finanzexperte Tenhagen über die hohen Zinsen bei alten Lebensversicherungen, flexible Beitragsgestaltung und die Vorteile der geförderten Riesterrenten.
taz: Herr Tenhagen, eine neue Metastudie sagt, Kapitallebens-, private Rentenversicherungen und auch Riesterverträge lohnen sich kaum. Soll man die Verträge kündigen oder gar nicht erst abschließen?
Hermann-Josef Tenhagen: Ein Problem bei den Lebens- und Rentenversicherungen liegt darin, dass solche Verträge nur Sinn machen, wenn man sie durchhält. Denn in den ersten Jahren der Laufzeit werden die Vertriebsprovisionen von den Beiträgen einbehalten. Wenn man etwa einen Vertrag hat mit einem Beitrag von 1.000 Euro im Jahr und einer Laufzeit von 30 Jahren, so bedeutet das bei einer Provision von vier Prozent immerhin 1.200 Euro, die werden dann in den ersten fünf Jahren von den Beiträgen abgezogen. Daher lohnt sich die Verzinsung erst, wenn man die Laufzeit durchhält.
Oft können Menschen die Beiträge nicht mehr aufbringen.
Viele Leute, die in finanzielle Probleme geraten, kündigen ihren Vertrag statt zu ihrem Versicherer zu gehen und nach den Flexibilisierungsmöglichkeiten zu fragen. Viele von den alten Verträgen haben nämlich diese Möglichkeiten, da kann man die Beitragszahlung etwa mal eine Weile ruhen lassen. Ältere Verträge aus den späten 90er Jahren haben noch einen Garantiezins von vier Prozent, das ist super, und man sollte immer versuchen, solche Verträge zu halten.
Lohnen sich denn Neuabschlüsse?
49, Politologe, ist seit 1999 als Chefredakteur verantwortlich für die Verbraucherzeitschrift Finanztest in Berlin, die regelmäßig auch Riester-Produkte bewertet. Er sitzt im Aufsichtsrat der taz.
Für Neuverträge ist der Garantiezins der ungeförderten Versicherungen auf nur noch 1,75 Prozent abgesunken. Neuabschlüsse lohnen sich daher nicht, zumal man sich mit einem solchen Vertrag ja sehr lange bindet.
Was ist mit den Riesterversicherungsverträgen?
Bei den Riesterverträgen hat man zwar bei der niedrigen Verzinsung die gleichen Probleme wie bei den anderen. Aber es gibt eine staatliche Förderung, und die macht den Unterschied. Wer etwa ein Kind hat, nur Teilzeit arbeitet und im Jahr 20.000 Euro brutto verdient, der kann, wenn er 800 Euro an jährlichen Beiträgen in die Riester-Rente zahlt, davon 454 Euro an staatlicher Zulage erstattet bekommen. Das macht einen Eigenanteil von nur 346 Euro, also 28 Euro im Monat. Das lohnt sich schon.
Schlechte Beratung über die Produkte zur privaten Altersvorsorge kosten die VerbraucherInnen pro Jahr rund 50 Milliarden Euro. Zu diesem Schluss kommt eine von den Grünen in Auftrag gegebene Meta-Studie des Bamberger Finanzökonomen Andreas Oehler, der Erhebungen der Stiftung Warentest auswertete. Danach verkaufen Berater den KundInnen oft Kapitallebens- und private Rentenversicherungen, deren Beiträge sich während der langen Laufzeit nicht mehr verändern lassen und die daher zu unflexibel sind für die wechselnden Lebenssituationen. Mehr als 75 Prozent der auf 30 Jahre abgeschlossenen Verträge werden vor Ende der Laufzeit gekündigt, was für die Konsumenten zu hohen Verlusten führt.
Bei den Riester-Renten wiederum werde den VerbraucherInnen oft das unpassende Produkt verkauft und die Zulagenförderung nur „sehr unzureichend in Anspruch genommen“, heißt es in der Studie. Die Schäden durch überteuerte Produkte, ungeeignete Produktwahl und entgangene Zulagen zu den Riester-Verträgen wurden auf mindestens eine Milliarde Euro pro Jahr beziffert. Oehler forderte unter anderem eine standardisierte, verständliche und vergleichbare Regulierung der Produktinformation und der Beratung zur privaten Altersvorsorge. Die Finanzprodukte seien „nach denselben Regeln klar, verständlich und vergleichbar mit einer Produktinformation zu versehen“. (bd)
Auch Leute mit Riesterverträgen steigen oft vorzeitig aus.
Riesterverträge kann man aber sehr flexibel anpassen. Im Zweifelsfall reicht es aus, fünf Euro im Monat zu zahlen, um den Vertrag zu halten. Allerdings bekommt man dann nicht die volle staatliche Förderung.
Ein Argument gegen die Riesterverträge lautet, dass Geringverdiener später nichts haben von der zusätzlichen privaten Vorsorge, wenn das Geld auf eine staatliche Grundsicherung angerechnet wird.
Das stimmt zwar. Aber wer weiß schon in jungen Jahren, ob er oder sie später Grundsicherung im Alter bekommt? Wer im Laufe seines Lebens vielleicht besser verdient oder wer im Alter eine Partnerschaft hat, bekommt womöglich gar keine Grundsicherung. Und dann ist das zusätzliche Polster aus einer Riestervorsorge schon hilfreich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video
Ringen um Termin für Neuwahl
Wann ist denn endlich wieder Wahltag?
Berliner Kurator verurteilt
Er verbreitete Hass-Collagen nach dem 7. Oktober
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar