piwik no script img

Kommentar TransplantationsskandalNicht korrupter als andere

Heike Haarhoff
Kommentar von Heike Haarhoff

Die Organschieberei von Leipzig zeigt den Sumpf, in dem die Transplantationsmedizin steckt. Organverpflanzungen dürfen trotzdem nicht verteufelt werden.

J etzt also Leipzig. Die Manipulationen am Uniklinikum bei der Vergabe von Spenderlebern sind so bestürzend wie die zuvor bekannt gewordenen Organschiebereien von Göttingen, Regensburg und München. Und von all den anderen Kliniken, die in naher oder etwas fernerer Zukunft, jede Wette, aus dem Sumpf auftauchen werden, in dem die Transplantationsmedizin steckt.

Denn es ist sehr wahrscheinlich, dass nahezu überall getrickst wurde – fraglich ist bloß, in welchem Ausmaß, bei welchen Organen und mit welcher Perfidie. Die Klärung dieser Frage wiederum hängt davon ab, wie viele Ressourcen Staatsanwaltschaft, Bundesärztekammer, Krankenkassen und Regierung gewillt sein werden, dafür bereitzustellen.

Nun ist es freilich nicht so, dass Transplantationsmediziner, die Hightech-Handwerker mit Hang zu Präzision und Perfektionismus, zynischer oder korrupter wären als Ärzte anderer Fachrichtungen. Anhand ihrer sehr kleinen Disziplin lässt sich aber exemplarisch feststellen, woran die Medizin krankt. Sie ist dabei zu verlernen, wofür sie geschaffen wurde: zu heilen, zu lindern, zu trösten.

taz
Heike Haarhoff

ist Redakteurin der taz.

Ökonomischer Druck, Fehlanreize, Mangelverwaltung, despotische Hierarchien in Krankenhäusern und ärztliche Hybris erklären die Entwicklung, entschuldigen sie aber nicht.

Es wäre fatal, Organverpflanzungen deswegen per se zu verteufeln. Für viele Patienten sind sie die einzig mögliche – und richtige – Therapie. Es geht darum, neue Regeln für die Organverteilung finden, Qualitätssicherung zu etablieren und die Konkurrenz zwischen den Transplantationszentren durch Schließung einiger Kliniken zu entschärfen. Und von dieser Erfahrung könnten dann sogar andere Ärzte lernen – indem sie sich darauf beschränken, nur das zu tun, was ihre Patienten wirklich brauchen.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Heike Haarhoff
Redakteurin im Inlands- und im Rechercheressort
Heike Haarhoff beschäftigt sich mit Gesundheitspolitik und Medizinthemen. Nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr in einem Kinderheim bei Paris ab 1989 Studium der Journalistik und Politikwissenschaften an den Universitäten Dortmund und Marseille, Volontariat beim Hellweger Anzeiger in Unna. Praktika bei dpa, AFP, Westfälische Rundschau, Neue Rhein Zeitung, Lyon Figaro, Radio Monte Carlo, Midi Libre. Bei der taz ab 1995 Redakteurin für Stadtentwicklung in Hamburg, 1998 Landeskorrespondentin für Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern und von 1999 bis 2010 politische Reporterin. Rechercheaufenthalte in Chile (IJP) und den USA (John McCloy Fellowship), als Stipendiatin der Fazit-Stiftung neun Monate Schülerin der Fondation Journalistes en Europe (Paris). Ausgezeichnet mit dem Journalistenpreis der Bundesarchitektenkammer (2001), dem Frans-Vink-Preis für Journalismus in Europa (2002) und dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse (2013). Derzeit Teilnehmerin am Journalistenkolleg "Tauchgänge in die Wissenschaft" der Robert Bosch Stiftung und der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.
Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • RB
    Rainer B.

    @yaltenbrucker

     

    Irrtum! Die Patientenverfügung ist zumindest hierzulande für den Arzt bindend und wird auch respektiert.

    Es geht nicht um Verschwörungstheorien. Ich habe nicht behauptet, dass Ärzte als Sniper auf Organjagd gehen.

    Allerdings muss ein Patient, der Organentnahmen zugestimmt hat, damit rechnen, früher als andere für tot erklärt zu werden, wenn er noch eine brauchbare Niere, eine gesunde Leber, oder ein kräftiges Herz hat.

     

    Auch gibt es mittlerweile eine ganze Industrie, die Millionenumsätze mit der Verwertung von Leichenteilen etwa für schönheitschirurgische Zwecke erzielt. Die Leichen besorgt man sich derzeit vornehmlich in Russland, wo es die dafür notwendigen mafiösen Strukturen schon gibt. Eigentlich alles an einer Leiche läßt sich noch medizinisch verwerten - Haut, Sehnen, Knochen, Augenlinsen etc.

     

    Übrigens gibt es auch in Deutschland bis heute kein Gesetz, das die Verwertung von menschlichem Fleisch zu Nahrungszwecken (Kannibalismus) unter Strafe stellt - mit Rücksicht auf medizinische Belange.

    Da käme lediglich "Störung der Totenruhe" zum Tragen. Die ist aber durch die Einwilligung zur Organspende ohnehin aufgehoben.

  • I
    ion

    @ XXX (02.01.2013 19:58),

     

    "(....), dass man Priorität beim Organempfang erhält, je nachdem wie lange man selber bereit war, seine Organe zu spenden.";

     

    .... auf gar keinen Fall(!) – demnach wären nämlich die ältesten Bürger grundsätzlich bevorzugt und für junge Menschen, Kleinkinder bliebe eher gar nix übrig;

    ebenso darf der Organempfang niemals von einer (dokumentierbaren) Spendenbereitschaft abhängig gemacht werden(!) – oder dieser gesamte Medizinzweig hätte sich aus dem System zu verabschieden und rein Privatwirtschaftlich und niemals auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen, resp. der öffentlichen Hand betrieben zu werden!!

    Viel Spaß beim Bezahlen, wenn ’s denn soweit ist, XXX!

  • B
    brainbox

    Wieviele der Lebertransplantationen verursacht unser heutiges Medizinsystem selbst, durch Vermarktung und Verschreibung von leberzerstörenden Medikamenten und Therapien?

  • AS
    A.G. Schulz

    Man muß die Organspende nicht verteufeln. Man muß diesen Vorgang nur ganz nüchtern betrachten. Einem noch lebenden Spender, der durch juristische Finesse zum Toten erklärt wurde, werden alle verwertbaren Organe und sonstigen Korperteile entnommen - er wird, zugespitzt formuliert, ausgeweidet. Dieser Körper zeigt deutlich Schmerz- und Stressreaktionen, oder anders ausgedrückt: er wehrt sich! Genauso reagiert der Körper des Empfängers, mit den bekannten Folgen. Folgen wir doch der Weisheit des Körpers und nicht einer entseelten, machbarkeitsorientierten und ökonomisierten Medizin.

  • Y
    yaltenbrucker

    Juhu, die Verschwörungstheoretiker sind wieder da!

     

    @titakjang: Hat Deine Einschätzung für irgendjemand außer Dir eine Bedeutung? Basiert sie auf irgendwelchen belastbaren Erkenntnissen?

     

    @Rainer B.: Wenn Dir jemand per Kopfschuß Deine Organe klauen will, wird er nicht auf Deine Patientenverfügung gucken. Für diesen Fall spielt es also keine Rolle, ob Du zustimmst oder nicht.

     

    @reingefallen, aufgesessen ...: Wenn mein Hirn nicht mehr funktioniert, brauch ich mein Herz auch nicht mehr. Wo ist das Problem?

  • N
    Normalo

    Leider können sich die Wenigsten mit der Tatsache abfinden, das Regulierung, Qualitätsmanagement und Kontrollmechanismen einerseits und eine verantwortliche, interessengerechte Behandlung des individuellen Einzelfalls andererseits zwei grundsätzlich konträre Konzepte sind.

     

    Das muss ausdrücklich nicht heißen, dass individuelle Behandlung nur ohne allgemeingültige Standards möglich wäre. Aber der Reflex, nach mehr Regulierung und Kontrolle zu rufen, um eine bessere Betreuung des Einzelfalls zu "garantieren", ist falsch. Wie in anderen, streng durchregulierten Feldern auch, lernen Ärzte heute, dass es mindestens so wichtig ist, geschickt auf der Klaviatur des Systems zu spielen, wie die Patienten zu heilen.

     

    Frau Haarhoff analysiert richtig, dass das falsche Anreize setzt. Falsch ist aber der Schluss, das weitere Regulierung und Kontrolle die Fehler der heutigen beheben könnte. Die Regulierung selbst ist es, die aus dem Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient ein unpersönliches juristisches Gebilde macht. Regulierung schafft weder Vertrauen noch Berufsethik, sondern versucht, beides durch Vorschriften zu ersetzen. Dieser Ersatz ist aber nicht gleichwertig, weil eben effektiv nicht vertrauenswürdiges, ethisches Verhalten verlangt wird sondern nur die Fähigkeit, Regeln zu befolgen - oder sich beim Regelverstoß nicht erwischen zu lassen.

  • D
    Doroina

    Die "Organschiebereien" in Deutschland zeigen nur EINEN der Sümpfe dieses Landes (und vermutlich nicht nur dieses!) auf!

  • V
    vic

    Ich bin selbstverständlich weiterhin Organspender.

    Jeden Tag tun wir Dinge, die durch Korruption zustande kamen. Warum also plötzlich so kleinlich?

  • BI
    Bertram in Mainz

    Jetzt kommen überall die Kommentare, dass man nicht mehr spenden will. Die Wut verstehe ich, die Folgerung verstehe ich nicht.

     

    Man sollte daran denken, dass nicht die Transplantation selbst unsauber verlief. Es geht darum, dass sich ein paar Betrüger in der Warteschlange nach vorne mogelten. Würden wir irgendeine Einrichtung schließen, nur weil sich ein paar Besucher in der Warteschlange vordrängelten?

     

    Ehe vielleicht der Falsche was bekommt, lieber in den Sarg mit den Organen? Ehe vielleicht ein Arzt zu viel verdient, lieber in den Sarg mit den Organen? Das ist kindische Rache, die die Falschen trifft. Die Kranken warten dadurch noch länger.

  • RA
    reingefallen, aufgesessen ...

    doch, Organspenden sind zu verteufeln! Krankenhäuser und Pharmaindustrie freut der Artikel sicherlich weil unkritisch! Unter dem Mäntelchen der Menschenfreundlichkeit werden Millardengeschäfte gemacht. Jedes verpflanzte Organ wird automatisch vom Körper abgestoßen. Um das medikamentös zu verhindern kostets pro Patient ca 100 TSD Euro jährlich. Mal abgesehen von den OPs die nötig sind. Das lohnt richtig!

    Und um genug Organnachschub zu bekommen wird jeder für Tod erklärt dessen Hirn nicht mehr messbar funkt. Das Herz muss schon schlagen - sonst sind die Organe wertlos. Mit anderen Worten - die Spender werden getötet - um nicht zu sagen geschlachtet. Vor der Organentnahme werden die Spender mit Betäubungsmittel vollgepumpt. Warum wohl wo sie doch angeblich tot sind?

     

    Darum ein deutliches klares NEIN zur Organspende und ein deutliches JA für eine kritischere Berichterstattung darüber in der Taz.

     

    Gruß

    Wolfgang

  • RB
    Rainer B.

    Ein Fall mehr, der zeigt, dass die Kontrollen nicht funktionieren. Wie auch, wenn Ärzte sich selbst kontrollieren sollen?

     

    Vielleicht ist es nur Zufall, aber in den letzten Jahren kann man in China, in Südamerika aber z.B. auch in New York eine Zunahme von organschonenden Hinrichtungen mit gezielten Kopfschüssen beobachten.

    Nicht auszuschließen, dass es sich dabei um Angebote für eine Organspende handelt, die der Spender nicht ablehnen konnte.

    Solange diese Zweifel bestehen, werde ich einer Organentnahme nach meinem Tod nicht zustimmen.

  • X
    XXX

    Das einzig Sinnvolle ist, die Angebotsmenge substantiell zu erhöhen. Und zwar dadurch, dass man Priorität beim Organempfang erhält, je nachdem wie lange man selber bereit war, seine Organe zu spenden. Ein Verfahren, das meines Wissens in einigen anderen Ländern (z.B. Israel) erfolgreich eingesetzt wird.

  • T
    titakjang

    "Nun ist es freilich nicht so, dass Transplantationsmediziner, die Hightech-Handwerker mit Hang zu Präzision und Perfektionismus, zynischer oder korrupter wären als Ärzte anderer Fachrichtungen."

     

    Meiner Einschätzung nach doch.