Zahlen und Journalismus: 10.000 Schritte gehen - oder googeln
Wer Journalist sein will, muss rechnen können. Vor allem umrechnen: am besten in Fußballfelder. Um die Komplexität zu reduzieren. Sie wissen schon, knickknack.
Ein Mensch, der in einem normalen Büro arbeitet, geht am Tag im Durchschnitt bis zu 4.000 Schritte. Das sind 6.000 Schritte zu wenig. Jedenfalls wenn der Mensch erfolgreich bei der SBK-Aktion 10.000 Schritte mitmachen möchte. Die 10.000-Schritte-Aktion basiert auf dem 10.000-Schritte-Konzept. Man findet es einfach im Internet, wenn man nach „10.000 Schritte“ sucht und im nächsten Schritt auf den ersten Link klickt.
Warum aber sollte man das tun?
Es könnte ja sein, dass man sich mal gefragt hat, was man mit 10.000 Schritten so alles anfangen kann. Oder man sitzt gerade im Büro, in einem Text, den man redigiert, steht etwas von 10.000 Schritten und man würde das gern umrechnen, in, sagen wir, Fußballfelder, um es besser verständlich zu machen. Man rechnet ja als Journalist gern in Fußballfeldern.
Wie viele Fußballfelder sind 10.000 Schritte?
Wenn man von einer durchschnittlichen Schrittlänge von 114 Zentimetern ausgeht und von einer durchschnittlichen Fußballfeldlänge von 114 Metern, jetzt mal der Einfachheit halber, dann wären das hundert Fußballfelder. Oder?
Das Problem mit den Fußballfeldervergleichen ist allerdings, dass sie manchmal ein wenig unhandlich sind. Lionel Messi, hat ein deutscher Reporter mal herausgefunden, nähert sich mit 4,5 Schritten pro Sekunde seinem Gegner. Wie lange braucht Messi für 10.000 Schritte? Na ja, man muss auch nicht alles ausrechnen.
Weitere Tipps im Internet
Die SBK-Aktion 10.000 Schritte ist nicht zu verwechseln mit dem Projekt „10.000 Schritte im Land der Ideen“. Das ist der zweite Link, der auftaucht, wenn man nach „10.000 Schritte“ sucht, bei Google etwa. Das Projekt „10.000 Schritte im Land der Ideen“ trägt den Untertitel „Kluge Köpfe laufen“. Die SBK-Aktion 10.000 Schritte hat keinen Untertitel.
SBK ist eine Krankenkasse, laut irgendeinem Test eine sehr gute. Das Projekt „10.000 Schritte im Land der Ideen“ hat vor vier Jahren die Berliner Charité gestartet. Das ist eine Klinik. Ein Unterprojekt des Projekts „10.000 Schritte im Land der Ideen“ heißt „10 Milliarden Schritte für Deutschland“. „10 Milliarden Schritte für Deutschland“ scheint noch nicht getestet worden zu sein. Sonst wäre davon auf der Homepage zu lesen.
Diesen und viele weitere spannende Texte lesen Sie in der 10.000sten Ausgabe der taz. Dienstag, 8 Januar 2012, am Kiosk oder eKiosk. In der Ausgabe schreiben ehemalige und jetzige taz-RedakteurInnen, was sie schon immer einmal schreiben wollten.
Mehrfach getestet ist dagegen der Nutzen der 10.000 Schritte: sinkender Kalorienverbrauch, verringertes Diabetesrisiko, sinkender Cholesterinspiegel, Bluthochdruckvorbeugung, Stressabbau, Stoffwechselanregung, Immunsystemstärkung, seltenere Krankheit. Vermutlich auch weniger Durchfall und besserer Sex.
Es lohnt sich also, ab und an mal eine U-Bahn-Station früher auszusteigen und den Rest zu laufen. Oder: Treppen steigen. Weitere Tipps unter „10.000 Schritte“ im Internet.
Besser als Ego-Googlen
10.000er-googeln ist eigentlich fast noch besser als Ego-googeln. Wenn man 10.000er googelt, weiß man beispielsweise: In Brüssel werden bald 10.000 Beamtenstellen frei. 10.000 Haifischflossen trocknen auf dem Dach (in Hongkong, keine Ahnung warum). 10.000 Besucher im Zeitzer Gangsystem. (Das Gangsystem hat auf den Nachrichtenbildern etwas tropfsteinhöhlenmäßiges und wird von der Interessengemeinschaft Unterirdisches Zeitz betrieben.) 10.000 neue Lkw-Parkplätze. (Verkehrsministerium plant Stellplatzausbau). Sachschaden von rund 10.000 Euro (bisher Unbekannte zündeten in der Silvesternacht am Ende der Bischofshofener Sprungschanze einen Feuerwerkskörper.)
Man muss sagen: Die 10.000er-Berichterstattung ist ein recht vernachlässigtes Feld. Es wird viel über Politik geschrieben und über Wirtschaft und Sport. Aber über 10.000? Dieses Schicksal teilt die 10.000 mit der 1.000 und der 23,5.
32, ist sonntaz-Redakteur und seit Mai 2010 bei der taz. Er mag 10.000.
Es gibt auch ein Online-Würfelspiel namens 10.000 und einen Film „10.000 vor Christi“.
10.000 Schritte. Der vierte Google-Treffer stammt von der Seite propatient.info und enthält Informationen von Dr. Doris Eller-Berndl, Kuranstalt Engelsbad der BVA, Baden. Was die BVA ist, lässt sich auf die Schnelle nicht herausfinden.
Dr. Doris Eller-Berndl informiert: „Haben wir uns als Kinder noch bis zu 10 km pro Tag bewegt, so kommt ein durchschnittlicher Erwachsener heute auf 2 bis 3 km. Die von der WHO geforderten 10.000 Schritte würden immerhin einer Strecke von 8 bis 10 km pro Tag entsprechen.“ Immerhin. Die WHO ist die Weltgesundheitsorganisation.
Ein ziemlicher Blödsinn
Nüchtern betrachtet ist diese Strecke allerdings auch deutlich mehr als zehnmal so kurz wie die, die ein Profi-Fußballspieler von beispielsweise Chelsea zurücklegt. Pro Spiel. Etwa 11,0 bis 11,3 Kilometer nämlich.
Es ist ja eigentlich keine unsinnvolle Sache, muss man sagen, dieses Rumlaufen, vor allem in den USA, wo man sonst gern mal mit dem Hubschrauber ins Fitnessstudio fliegt. Aber kann man das nicht selbst wissen? Brauch man dafür Internetseiten und Dr. Doris Eller-Berndl?
Eine Zeit lang habe ich meine Schritte gemessen und ins Internet gestellt. Es war ein Selbstversuch für so ein Magazin, und die Frage war, ob das der Anfang von einer Gesundheitsdiktatur ist, wenn alle sich selbst überwachen und sich im Internet fitnessmäßig entblößen.
Schrittmessen ist ein ziemlicher Blödsinn – im Gegensatz zu: einfach mal 10.000 Schritte gehen oder googeln – und schien mir eher für amerikanische Donut-Esser geeignet gewesen zu sein, die eigentlich lieber Knäckebrot-Esser wären, aber sich nicht trauen und deshalb ähnliche Tipps draufhatten wie Schrittnationalisten von der Ideenkopfinternetseite.
Lasst das Auto mal ein paar Blocks weiter weg stehen. Spring schon mal ein bisschen früher aus dem Heli.
Ich weiß aber aus dieser Zeit noch, dass es gar nicht so einfach ist, 10.000 Schritte am Tag zu schaffen. Man muss schon sehr oft die Treppen in einem Büro wie unserem hoch- und runterlaufen, selbst wenn man, wie wir in der sonntaz-Redaktion, im sechsten Stock arbeitet.
Achtung, Bluthochdruck!
Eigentlich schafft man 10.000 Schritte nur mit heftigem Joggen oder wenn man ständig was unten vergisst. Aber wirklich sehr ständig. Oder jedem Kollegen, jeder Kollegin alle zehn Minuten einen Kaffee holt. Achtung, Bluthochdruck! Man müsste eigentlich permanent die Treppen rauf- und runterlaufen.
Sowohl die SBK-Aktion als auch „10.000 Schritte im Land der Ideen“ arbeitet mit Schrittzählern. Letztere empfehlen einen von einer Firma namens Omron, der angeblich hochwertig ist, aber nur 15 Euro kostet. Mein Schrittzähler hat damals 100 Dollar gekostet ungefähr. Er konnte aber auch Schlaf messen. Ich weiß nicht, wie er das gemacht hat, im Internet, in meiner Community, stand dann immer, wie lange ich geschlafen hatte.
Man konnte sich viele Tortendiagramme zu den eigenen Schritten und zum Schlaf ansehen und auch Balken. Allerdings nur 30 Tage lang, dann war das Premium-Angebot abgelaufen.
Ich war aber Durchschnitt, ich war beruhigt.
Als ich mich gerade mal wieder eingeloggt habe, um zu sehen, wie viele Schritte ich so gegangen war damals, stellt das Programm fest, dass ich lange nicht synchronisiert habe, und fragt mich, ob ich Hilfe brauche. Danke, gehe schon.
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