Deutsch-französische Freundschaft: Ohne Vorwurf in der Stimme

Die viel beschworene Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich funktioniert bestens. Erfahrungsbericht einer deutschen Familie in Paris.

Als geschichtsbewusster Deutscher kann man in Paris keine zwei Schritte machen, ohne den Schatten der Vergangenheit zu begegnen. Bild: iamgo/Xinuha

PARIS/BERLIN taz | Ein Samstagnachmittag in der Pariser Métro. Auf dem Weg zu unserem Ausflugsziel quietscht die Linie 2 vom Triumphbogen nach Osten. Der Zug ist voll, es ist laut und lustig. Irgendwann im Bahnhof schaue ich aus dem Fenster. Und erstarre. Vor meinen Augen: STALINGRAD.

Es ist nicht nur dieser Bahnhof und die Place de Stalingrad im Nordosten, die in Paris an die deutsch-französische Geschichte erinnern. Wer wie wir fünf Jahre dort gelebt hat, kann den Zeichen für Jahrhunderte von Krieg, Leid und Verbrechen zwischen Deutschland und Frankreich nicht entgehen. Gleichzeitig hört man bei jeder Gelegenheit von der aktuellen deutsch-französischen Freundschaft, wie sie auch Dienstag am Jahrestag des Élysée-Vertrags bei den offiziellen Feierlichkeiten in Berlin beschworen wurde.

Oft genug sind das fromme Lügen, wenn sich deutsche KanzlerInnen mit französischen Präsidenten nur aus Taktik verstehen oder bei den deutsch-französischen Flugzeugbauern von Airbus die nationalen Interessen aufeinanderkrachen. Doch wir haben erlebt, dass funktioniert, was immer so groß beschworen wird: die Aussöhnung der ehemaligen Feinde.

Als geschichtsbewusster Deutscher kann man in Paris keine zwei Schritte machen, ohne den Schatten der Vergangenheit zu begegnen. Wir wohnten im Pariser Vorort Saint-Cloud in der Allée du Maréchal Foch. Foch war jener Marschall, der im Ersten Weltkrieg an der Marne die Stellung gegen die Deutschen halten ließ. Der Buddelplatz an der Ecke war der Square Kelly, nach dem ersten US-Soldaten, der bei der Befreiung der Stadt fiel. An den Aufstand gegen die Besatzung und ihre Opfer erinnern überall in Paris Erinnerungsplaketten.

Hinter unserem Viertel lag die Rue de Buzenval, wo 1870/71 zwei Schlachten zwischen Preußen und Franzosen stattfanden. Das Hochhausviertel La Défense, wo wir vom Zug umstiegen, ehrt die Verteidiger der Stadt gegen die preußischen Invasoren. Saint-Cloud hatte ein Schloss, bis es 1871 zusammen mit dem halben Ort in Brand geschossen wurde.

Nicht einmal eine blöde Bemerkung

Ziemlich verschiedene Freunde: Präsident Hollande und Kanzlerin Merkel. Bild: dapd

Von der École Maternelle unserer Kinder hatten wir einen schönen Blick auf die Festung Mont Valérien. Dort zogen im Zweiten Weltkrieg die Deutschen Gefangene der Résistance und Geiseln zusammen und erschossen Hunderte von ihnen. Der einzige Geistliche, der den gläubigen Christen auf ihrem letzten Weg Beistand leisten durfte, war der deutsche Pfarrer Franz Stock, der Pastor der deutschen katholischen Gemeinde von Paris, wo unsere Kinder zur Erstkommunion gingen.

Gleich neben meiner Joggingstrecke im Bois de Boulogne ist der Ort, wo die Wehrmacht am Vorabend der Befreiung von Paris 35 Widerstandskämpfer standrechtlich erschoss. Im Normandie-Urlaub standen wir am Omaha Beach und dachten an die Hunderte amerikanische Soldaten, die hier an einem Vormittag ihr Leben lassen mussten. Und auf Korsika sahen wir verlassene Ortschaften, deren männliche Bewohner sämtlich im Ersten Weltkrieg gefallen waren.

Doch im Alltag mit französischen Nachbarn, Behörden und Freunden fiel kein Wort der Anklage. In fünf Jahren haben wir nicht einmal eine blöde Bemerkung über die „boches“ gehört – selbst als unsere Kinder zur Fußball-WM Schwarz-Rot-Gold schwenkten.

Alltägliche bises

Wir hatten Ärger mit autoritären Lehrern, ekligen Nachbarn und bornierten Polizisten, und zumindest mein Französisch ließ mich klar als Teutonen erkennen. Wir stritten mit Kollegen und Freunden im Zweifel über alles und jeden. Aber immer war klar: Wir reden auf Augenhöhe. Eine Rentnerin in der Nachbarschaft erzählte von ihrer Jugend im Krieg, aber ohne Vorwurf in der Stimme.

Die viel besungene deutsch-französische Freundschaft, wir haben sie erlebt. Nicht in großen Gesten, sondern in den alltäglichen bises zur Begrüßung und beim Abschied. Für diese Normalität angesichts der grauenhaften Geschichte bin ich dem konservativ-autoritär-verknöcherten Gespann von de Gaulle und Adenauer wirklich dankbar.

Und dafür, dass es möglich war, mit französischen Freunden nach dem dritten Wein darüber zu lachen, dass sie einige ihrer größten Feiertage uns zu verdanken haben: den 8. Mai und den 11. November. (Was war da noch mal?)

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