piwik no script img

Manipulationen im FußballDie Wettmafia sitzt im System

Die Wettmafia hat 380 Fußballspiele in 15 europäischen Ländern manipuliert. Das hat Europol ermittelt. Betroffen sind offenbar Spiele aller Klassen.

Ums Spielen geht's schon lange nicht mehr. Bild: dpa

BERLIN taz | Anderthalb Jahre hat das Joint Investigation Team von Europol ermittelt und Arbeitsaufwand und Zahlen stellen alles bisher Vermutete in den Schatten: Wettbetrug bei 380 Fußballspielen in 15 europäischen Ländern haben die Sonderermittler aufgedeckt. Sie haben 680 Spiele in 30 Ländern überwacht und 13.000 E-Mails analysiert. 425 Verdächtige wurden identifiziert, 50 Personen verhaftet und 80 Haftbefehle ausgestellt, gab Europols Direktor Rob Wainwright am Montag bekannt.

Laut Europol sind Deutschland, Finnland, Ungarn und Slowenien am stärksten betroffen. Wainwright nannte ein Champions-League-Spiel in England. Ein Bericht der BBC nennt außerdem Spiele in Österreich. Die Nachrichtenagentur AFP vermeldet: „Die meisten der mutmaßlich verschobenen Spiele fanden in türkischen, deutschen und Schweizer Ligen statt.“ Um welche Begegnungen es sich genau handelte und welche Spielklassen betroffen sind, wurde nicht bekannt. Unklar blieb auch, ob es sich um einen bekannten Sachstand aus früheren Ermittlungen handelt.

Bochums Chefermittler Friedhelm Althans sagte Spiegel Online, dass viele Partien schon bekannt gewesen seien. Althans hatte vor einigen Jahren die Verfahren gegen die Sapina-Brüder geleitet. Er sagte, es handele sich um Spiele aus den Jahren 2008 bis 2011.

Der Wettbericht

Die Ermittlungen: Seit 18 Monaten ermittelt Europol in Deutschland, Finnland, Ungarn, Italien, Österreich und Slowenien den Wettbetrug im Fußball. 13.000 E-Mails wurden ausgewertet.

Die verschobenen Spiele: 380 Spiele in 13 Ländern Europas, darunter 79 in der Türkei, 70 in Deutschland und 41 in der Schweiz hält Europol für manipuliert. Es geht um 17 Europapokalspiele, zwei U21-EM-Qualifikationsspiele, zwei WM-Qualifikationsspiele und eines zur EM-Qualifikation.

Die Schieber: 425 Verdächtige hat Europol entdeckt, darunter Spieler, Funktionäre und Schiedsrichter. 50 von ihnen wurden verhaftet, 80 Haftbefehle erlassen.

Darauf deutet auch ein Spiel hin, das bei der Europol-Pressekonferenz per Videobeispiel vorgestellt wurde. Es handelt sich um eine U20-Begegnung zwischen Bolivien und Argentinien im Dezember 2010. Das Qualifikationsspiel für das Olympische Turnier für London 2012 hatte damals schon bei der lokalen Presse Verdacht ausgelöst. Der ungarische Referee Lengyel Kolos hatte gleich zwölf Minuten nachspielen lassen – exakt bis zu einem Elfmeterpfiff für Argentinien, das dank des Strafstoßes das Spiel auch 1:0 gewann.

Die Lokalzeitung La Voz del Interior zitierte nach dem Spiel eine Quelle, die sich selbst als Profizocker charakterisierte, mit der Bemerkung: „Das Spiel war ganz klar abgesprochen und der Schiedsrichter wartete nur auf das Tor, um abzupfeifen.“

Wettbetrüger Perumal auch involviert?

Der Referee selbst war im August 2011 von der Fifa auf Lebenszeit gesperrt worden. Er hatte zu einem der Schiedsrichterteams der berühmt-berüchtigten Antalya-Spiele gehört. Diese Spiele zwischen Bolivien und Lettland sowie Estland und Bulgarien waren im Februar 2011 ausgetragen und vom singapurischen Wettbetrüger Wilson Raj Perumal und dessen Firma Footy Media organisiert worden. Die Schiedsrichter standen auf Perumals Lohnliste. Die Verbände übrigens auch.

In einem Brief aus dem finnischen Gefängnis, in dem Perumal damals wegen Manipulationen dortiger Ligaspiele festgehalten war, notierte Perumal offenherzig: „Die meisten Fußballverbände sind am Boden. Wenn man ihnen für ein Freundschaftsspiel jemanden präsentiert, der die Ausgaben übernimmt, empfangen sie dich mit offenen Armen.“ An anderer Stelle meint er: „Alle korrupten Spieler und Offiziellen sind wie Huren, die mit dem mitgehen, der das meiste bietet.“ Der Brief liegt der taz vor.

Perumals Spur verliert sich in Ungarn. Er soll von der ungarischen Polizei als Kronzeuge an einem geheimen Ort untergebracht worden sein, um ihn dem Zugriff seiner früheren Kompagnons zu entziehen. Nach einem ersten Geständnis hatte Perumal über Morddrohungen geklagt.

Es liegt nahe, dass Perumal auch an dem von Europol präsentierten Betrug beteiligt gewesen sein könnte. Die Ermittlungstruppe aus Den Haag hat offenbar die bisher schon bekannten Fäden in die Hand genommen und weiter in die Tiefe recherchiert. Eine neue Qualität scheint dies nicht aufzuweisen. Die Quantität kann nur die überraschen, die Spielmanipulation für ein seltenes Ereignis halten. Das ist aber nicht der Fall. Was Europol zusammengestellt habe, sei „nur die Spitze des Eisbergs“, stellte Wainwright klar.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • A
    alina111

    Die Fans wollen es doch so: Riesenstadien, Riesenzirkus, Fan-Gemeinden.... Ist klar, dass bei allem, was mit Unmengen von Geld zu tun hat, sich gigantisches Unrecht ereignen wird, denn so ist nun einmal der Zustand des Menschen.

    Wie spannend und schön kann dabei ein Spiel der kleinen Knirpse in der Schülermannschaft sein - und das noch kostenlos und nahezu ohne Werbung.

  • F
    Früher

    Als ich ein kleiner Junge war hatte mir mein Vater erklärt warum man auf Fußball nicht "richtig" wetten kann - nur Elferwette und sowas. Man könnte dann ja Fußballspiele manipulieren und damit ganz viel Geld machen.

    Als ich älter wurde wunderte ich mich, dass der Staat seine Meinung geändert hatte und das Wetten und jetzt doch legalisiert wurde.

    Ein paar Jahre später wunderten sich alle. Darüber wunderte ich mich.

  • FO
    Fass ohne Boden

    Ob Weltmeisterschaft oder Olympiade, es geht nur noch um den schnöden Mammon.

    Dopingmittel aus Leichen, igittigitt.

    Ist verständlich das Wettkämpfe wie die Wirtschaft monetär völlig verkommen sind. Wettgeschäfte/Pro7 fallen jedem auf.

    Spiel- und Wettbürolizenzen, da gab es doch einmal über Nordafrika/Damaskus? eine Lücke in den Gesetzen!

    Sind die Gesetze deutschlandweit homogen?

    Warum ausgerechnet die TagesShow umfangreiche Fußballergebnisse bringt, scheint an der ÖR-Finanzierung und Petrodollar zu liegen.

    Generell stellt sich die Frage ob Fußball im Kunst und Kulturbetrieb der Staaten überbewertet wird.

    Geht es um Wetten oder um die spielerische Leistung?

  • WE
    Wenn es denn nur die Wettmafia abzocken würde

    Sofort die Grundversorgung sichern: Eine weitere Zwangsabgabe für ARD und ZDF muss her!

  • W
    Wüstenratte

    Sofort einen "neuen" Radsportskandal zur Ablenkung nachlegen!!!! Es kann doch nicht sein, was nicht sein darf!!!

  • HS
    Hannes Schinder

    Das Titelbild beschreib die Situation in Metaphern

     

    Könnte auch heissen "Nach der Mafia ist vor der Mafia"