Debatte Italien: Wahl ohne Entscheidung
Die italienische Politik ist gefesselt, denn die EU-Sparpolitik hat Fakten geschaffen. Deshalb wirkt Berlusconis Aufschneiderei so verlockend.
D er Wahlkampf, den die Italiener in diesen Tagen erleben, ist bizarr. Es ist ein Wahlkampf, der zwei gegensätzliche Signale aussendet. Am 24. und 25. Februar nämlich können die Bürger einerseits wenig oder nichts entscheiden – und andererseits steht doch für das Land viel stärker als bei früheren Urnengängen alles auf dem Spiel.
Eigentlich ist nichts zu entscheiden, weil Italien in einer engen Zwangsjacke eingeschnürt ist. Über die Grundlinien der italienischen Politik kann Rom schlicht nicht mehr befinden. Diese sind nämlich in den „europäischen Parametern“ fixiert, die das Land mit all den Stabilitätspakten und Fiscal Compacts auf den engen Pfad des Etatausgleichs und dazu noch eines in Eilschritten zu bewerkstelligenden Schuldenabbaus zwingen.
Die Konsequenz ist jene Politik, die die Italiener schon in den letzten zwei Jahren erlebten: Die Ausgabe sinken, die Steuern werden erhöht. Das haben die bis November 2011 amtierende Regierung unter Silvio Berlusconi und dann das Expertenkabinett unter Mario Monti durchgesetzt.
Der Teufelskreis des Sparens
Das Resultat dieser Politik ist offenkundig. Der private Verbrauch schrumpfte drastisch, die Bürger sparen am „Überflüssigen“ ebenso wie an so manch notwendiger Ausgabe. Der Staat streicht Leistungen für die Bürger radikal zusammen. Die Armut ist bis weit in die Mittelschicht hinein auf dem Vormarsch. Derweil erlebt Italien die schwerste Rezession seit 1945.
Diese Baisse ist von den Austeritätspolitikern in Gang gesetzt. Die Steuereinnahmen schrumpfen dabei zwangsläufig. Jedwede zukünftige Regierung wird daher früher oder später zu weiteren „Anpassungsmaßnahmen“, sprich: Ausgabenschnitten und Steuererhöhungen, gezwungen sein.
ist Italienkorrespondent der taz und lebt in Rom. Zuletzt schrieb er an dieser Stelle über die seltsame Wiederkehr Berlusconis und den staatsfeindlichen Anarchismus der italienischen Rechten.
Italiens politischer Manövrierspielraum tendiert schlicht gegen null. Doch der Wahlkampf wird von einer geradezu surrealen Debatte darüber geprägt, welches politische Lager wohl am stärksten die Steuern senken wird. Es ist kein Wunder, dass der in leeren Versprechungen erprobte Berlusconi mit seinem Rechtsblock als Erster vorpreschte: weg mit der verhassten Grundsteuer aufs selbst bewohnte Eigenheim, ja sogar deren Rückerstattung an die Bürger fürs Jahr 2012!
Und wie reagiert Mario Monti, der nüchterne Sparkommissar? Noch vor gut einem Monat erklärte er, wer immer die Grundsteuer streichen wolle, belüge die Italiener und müsse dann ein Jahr später „eine verdoppelte Grundsteuer“ wieder einführen. Jetzt aber ist Monti von plötzlicher Amnesie befallen, sein gemäßigtes Mitte-rechts-Lager verspricht lauthals, die Grundsteuer für drei Viertel der italienischen Haushalte wieder zu kassieren.
Ungeniert bediente Montis Allianz sich ihrerseits bei dem gemäßigten Linksallianz unter Pierluigi Bersani. Die wenigstens kann für sich reklamieren, ein realistisches Konzept der Gegenfinanzierung vorgelegt zu haben, mit einer stark progressiven Belastung von Grundbesitz über 1,5 Millionen Euro.
Streichungen
Doch jenseits der Details bleibt die ganze Debatte ein Ablenkungsmanöver. Die Austeritätsmaßnahmen der Regierungen Monti und Berlusconi brachten für die Jahre 2012–2014 ein exorbitantes Sparvolumen von über 200 Milliarden Euro – und die Grundsteuer auf die selbst bewohnte Erstwohnung macht davon schmale 3,9 Milliarden jährlich aus. Ihre Streichung würde so manchem Arbeitslosen, so manchem Rentner helfen – mehr aber auch nicht.
Nichts erfahren die Wähler von den Parteien jedoch darüber, wie sie eine Kehrtwende im Land bewerkstelligen wollen. Sie erfahren nicht, welche Politik gegen die Jugendarbeitslosigkeit, für eine Bildungs- und Forschungsoffensive, für industrielle Innovation einzuschlagen wäre – und eigentlich auch nichts darüber, wie eine Wende in der Eurozone anzugehen wäre.
Monti und Bersani präsentieren sich als die „zuverlässigen“ Kandidaten, die europäisches Vertrauen verdient haben – aus dem Wissen heraus, dass sie „die Märkte“ und den Spread weiter in Schach halten müssen. Jene Zuverlässigkeit mag eine wichtige Vorbedingung für erfolgreiches politische Agieren sein – mehr aber auch nicht.
Berlusconi dagegen inszeniert sich als der „wagemutige“ Kandidat, der es auch mit dem übermächtigen Deutschland aufnimmt. Selbst den Einkauf Mario Balotellis für seinen AC Mailand preist Berlusconi mit den Worten: „Jener Mario“ habe „die Deutschen zweimal zum Weinen gebracht, während der andere Mario [Monti, die Red.] die Italiener zum Weinen brachte.“
Als er noch selbst regierte, war Berlusconi jedoch auf europäischer Bühne zu jedem Verzicht bereit, unterschrieb alles, was Brüssel oder Berlin von ihm forderten. Und man darf darauf wetten, dass er im unwahrscheinlichen Falle eines erneuten Sieges sehr schnell wieder klein beigeben würde – aus dem schlichten Grund, dass auch er den kaum existenten italienischen Bewegungsspielräumen Rechnung tragen müsste.
Berlusconis Versprechen
Dennoch verwandelt Berlusconis schiere Präsenz, verwandelt der Ton seiner Kampagne die anstehende Wahl zu einem Votum, in dem für Italien alles auf dem Spiel zu stehen scheint. Vor wenigen Jahren waren Wahlen eine nationale Angelegenheit – und Berlusconi profitierte davon wie kaum ein anderer Politiker in Europa.
Solange die Finanzmärkte die Eurozone als Einheit behandelten, konnte er sich zu Hause als belächelter, auch verachteter Potentat jeden Skandal leisten und wurde doch nicht abgestraft: Der Spread verharrte nahe null.
Doch heute hat sich die Situation radikal umgekehrt. Das zeigt nicht zuletzt die offene Einmischung des EU-Kommissars Olli Rehn, der Berlusconi rundheraus für „unzuverlässig“ erklärte. Doch Berlusconi gießt nur weiteres Öl ins Feuer, indem er im Gegenzug gegen die „deutschen Kandidaten“
Bersani und Monti polemisiert. So schafft er eine Lage, in der den Italienern bloß zwei Möglichkeiten bleiben: Entweder sie stimmen für eine „Stabilität“, die kaum Enthusiasmus zu wecken weiß – oder sie entscheiden sich für einen großsprecherischen Verteidiger des Nationalstolzes. Berlusconi aber würde mit einem Sieg die Nation nur weiteren Erschütterungen – und damit am Ende einer weiter verschärften Austeritätspolitik – aussetzen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen