Kommentar Bulgarien: Abgang nach Protesten
Mit seinem Rücktritt kommt Ministerpräsident Bojko Borissow nur der sicheren Abwahl zuvor. Die Wut der Bulgaren aber wird bleiben.
D er Rücktritt des bulgarischen Ministerpräsidenten Bojko Borissow ist ein Déjà-vu. Bereits im Februar 1997 hatte der damalige sozialistische Premierminister Schan Widenow vorfristig hingeschmissen. Dazu hatte es jedoch wochenlanger Demonstrationen der frustrierten Bevölkerung und einer Erstürmung des Parlamentsgebäudes in Sofia bedurft.
So lange wollte Borissow offensichtlich nicht warten und das aus gutem Grund: Bereits seit Monaten zeichnet sich ab, dass dem „Politrambo“ und ehemaligen Bodyguard bei den für Juli dieses Jahres geplanten Parlamentswahlen das gleiche Schicksal drohen könnte wie allen Vorgängerregierungen seit 1997: die Abwahl nach einer Legislaturperiode.
Ein klares Indiz für den schwinden Zuspruch zur bisherigen Mitte-rechts-Regierung war das bizarre Referendum über die Zukunft der Atomkraft in Bulgarien im Januar. Borissows Aufforderung, mit Nein zu stimmen, war die Mehrheit der Wähler nicht gefolgt. Die jüngsten Demonstrationen gegen für viele unbezahlbare Strompreise waren dann wohl nur noch der letzte Tropfen, der das Fass überlaufen ließ.
ist Co-Leiterin des Auslandsressorts der taz mit dem Arbeitsschwerpunkt Osteuropa.
Doch ob sich Borissows Befreiungsschlag auszahlen und in Stimmenzuwächsen für seine Partei Gerb niederschlagen wird, ist noch nicht ausgemacht. Die Wut und Enttäuschung der Bulgaren, die anfangs jeden neuen Regierungschef als Erlöser überhöhen und 2001 auch noch den letzten Zaren Simeon Sakskoburggotski reanimierten, ist immens. Immer mehr Menschen leben in bitterer Armut.
Auch von dem vollmundigen Versprechen Borissows, entschieden gegen Korruption vorzugehen, ist nicht viel übrig geblieben. Jetzt stehen alle Zeichen auf vorgezogenen Neuwahlen. Wie auch immer deren Ergebnis ausfällt: An der prekären Situation der Menschen dürfte das kaum etwas ändern.
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