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Proteine mal andersHeuschrecken frittieren!

Das Fleisch der Zukunft stammt nicht von Säugetieren. Heuschrecken und Kakerlaken sind die Delikatessen von morgen. Ein Selbstversuch.

Lecker? Eigentlich sind diese Würmer für Vögel und Affen gedacht. Der Hersteller überlegt allerdings, sie auch als Menschenessen anzubieten. Bild: reuters

Weil es die richtige Entscheidung ist, deshalb. Weil Insekten Nutztiere sein sollten. Das ist nur wirtschaftlich. Verfüttere zwei Kilo Salat an Insekten und du gewinnst ein halbes Kilo hochwertiges Protein. Stecke dieselbe Menge in ein Rind, ein Schwein, ein Schaf, egal: Keine zwei Happen Speck landen auf den Hüften unserer herkömmlichen Fleischlieferanten. Der Rest entweicht, Methan und Mist.

Insekten sind die bessere Nahrung. Sie sind leicht zu züchten, sie haben keine Lobby und kein zentrales Nervensystem, das Schmerz empfinden könnte. Kein Schwein interessiert es, ob sie gegessen werden, nicht einmal die Insekten selbst stören sich daran.

Auf allen Kontinenten werden über tausend Krabbelarten verspeist. Die Asiaten essen Ameisen und Skorpione, die Afrikaner Heuschrecken und Termiten, die Australier mögen Raupen und Motten, in Südamerika kommen Maden und Spinnen auf den Tisch. Auch hierzulande löffelte man vor hundert Jahren noch Gelbrandkäferbouillon und im Zweiten Weltkrieg die Maikäfer.

Heutzutage ziehen es die Europäer jedoch vor, alles zu erschlagen und zu zerlatschen, was unter die Schuhsohle passt. Denn Insekten sind irgendwie unheimlich, schmutzig, eklig, und dementsprechend rümpfe ich die Nase, als mich aus einer Plastikbox ein gutes Dutzend Facettenaugen anstarrt.

Rosarote Heuschrecken

taz
sonntaz

Diese Geschichte und viele andere spannende Texte lesen Sie in der aktuellen sonntaz vom 2./3. März 2013. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz

Die Box habe ich aus der Zoohandlung. Ich musste Schlange stehen. Nicht etwa, weil die Leute auf den Geschmack gekommen sind, sondern weil die ganzen Haus-Leguane und Zimmer-Chamäleons gerade mit einem gesunden Appetit aus dem Winterschlummer erwachen. Mein Insektendealer schmunzelte, als ich meinen Wunsch vortrug, die anderen Kunden musterten mich – skeptisch bis angewidert.

An den Heimchen ist nix dran, sagt der Dealer, da brauchste schon was Größeres, verschwindet im Keller und kommt mit elf ausgewachsenen Heuschrecken wieder. Und vier riesigen, schwarz schillernden Fauchschaben. Handtellergroße, griesgrämige Monster, direkt aus der Hölle. Sie zetern und keifen. Sie flitzen mit ihren unzähligen Kakerlakenbeinchen die Plastikwand entlang, das Dunkel suchend und die Schrecken verschreckend, die wiederum losspringen, gegen den Deckel deppern und wieder auf der nächsten Schabe landen.

Eine Kettenreaktion des Horrors. Ich hab’s ja nur gut gemeint, sagt der Dealer, macht 4,50 Euro, ich bedanke mich herzlich, er wünscht guten Appetit, die Kunden gucken verwirrt und mein Einkauf rastet aus. Die Schaben scharren, die Schrecken springen. Es fühlt sich so an, als ob in der Tasche ein Handy vibriert.

Vielleicht sind es gerade diese schnellen, unkontrollierten Bewegungen auf diesen vielen Beinchen, die den Ekel aufkommen lassen. Ich weiß, dass das Getier aus der Box nicht schmutzig, quasi steril ist. Nie haben mich Insekten traumatisiert. Keine Kakerlaken in der Küche. Woher also die Abneigung?

Weshalb der Ekel?

Die Schrecken klettern auf den Schaben herum und ich denke an Tod, Verwesung, Alieninvasion. An das Eier legende, wimmelnde und alles vernichtende Kollektiv, das den Planeten beherrscht – zumindest zahlenmäßig und durch äonenalte Tradition. Ab ins Eisfach mit der Box. Schockfrost erscheint mir die humanste Methode zu sein, besser als lebend braten oder Drauftreten. Der Mord macht mir wenig aus.

Doch Mitleid bemächtigt sich meiner, als ich das Geziefer am nächsten Tag in Händen halte, starr und von weißem Reif umhüllt. Einige liegen mit eingezogenen Gliedern da, manche hängen am Deckelrand, ein letzter Versuch, dem Kältetod zu entrinnen. Meine Schuld. Ich sammle die steifen Körper aus ihrem Sarg und beginne zunächst, die Beine mit den Widerhaken zu entfernen. Die sollen zwar schön knusprig sein, sind beim Verzehr aber schon in der einen oder anderen Speiseröhre hängen geblieben.

Bei der Zubereitung meiner Delikatesse arbeite ich hastig und lieblos. Wer weiß, wie schnell die Dinger wieder aufwachen. Doch die Massenamputation geht schwer vonstatten, die Beine wollen sich nicht vom Körper lösen, reiße ich zu stark, fliegt das Vieh in Fetzen. Bei den Heuschrecken zupfe ich auch die Flügel vom Rumpf, einmal löst sich der Kopf mit ab. Eine tiefschwarze Flüssigkeit rinnt harzig aus der Schlundwunde und verklebt das Küchenbrett. Was immer das sein mag: Schön ist es nicht. Mir wird übel.

In Sachen Ästhetik lassen Körperflüssigkeiten generell zu wünschen übrig, denke ich mir, von Freudentränen abgesehen. Doch weshalb der Ekel? Mich müssten ganz andere Leckereien anwidern: Verschimmelte, geronnene Ziegenmilch, roher Fisch und dessen Rogen, Weinbergschnecken. Aber das wird von den Gourmets hoch geschätzt. Auch Wurst und Hack und Hühnereier widern uns nicht an, obwohl jeder die Bilder aus der Massentierhaltung kennt.

Keine Frage der Vernunft

Ekel ist eben keine Frage der Vernunft und nur selten des Instinkts. Ekel entstammt der Erziehung, der Sozialisation. Sie macht den feinen Unterschied zwischen dem von Serranoschinken umwickelten Stück Honigmelone und dem wurmstichigen Fallobst. Was ist der Unterschied zwischen einer Heuschrecke und einer Garnele? Augen, Fühler, Beine, Panzer, alles dran. Und tatsächlich: Im siedenden Öl nehmen die Hüpfer eine goldbraune bis rötliche Farbe an, ähnlich wie Shrimps. Schlecht ist mir trotzdem.

Ich meditiere kluge Argumente vor mich hin: Schluss mit dem Überfluss, der Verschwendung, der Planetenplünderung. Iss Insekten! Die Haltung im Stapelkasten schont den Geldbeutel, die CO2-arme Fleischproduktion das Klima. Sogar die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft wirbt für die Nahrung der Zukunft. Außerdem können wir uns bald kein anderes Fleisch mehr leisten. Die Weltlandwirtschaft kann die Viehzucht nicht mehr tragen, gewöhnen wir uns an die Alternativen.

Also spieße ich eine Schrecke auf und kaue darauf herum. Der Geschmack: langweilig. Im Inneren des knusprigen Panzers ist nichts los, es schmeckt nach Erdnussflips, nicht schlecht, aber auch nicht spektakulär. Ich paniere die Insekten in einer Marinade aus Tahini, Honig, Senf und etwas Mehl. Dann brate ich sie mit Knoblauch und Chili scharf an. Wesentlich besser. Aber paniert und frittiert schmeckt alles. Auf diese Weise könnte ich Scheuerlappen zubereiten. Oder meinen linken Fuß.

Modrige Kakerlaken

Nun sind die Kakerlaken dran. Ich beeile mich, die Pfanne anzufeuern. Nussöl erhitzen und rasch die Fauchschaben dazu. Die machen ihrem Namen noch einmal alle Ehre. Als das Öl zwischen den Chitinplatten ins Schabenfleisch dringt, knistert, quietscht und zischt es gewaltig in der Hexenküche. Ich schwenke die Biester minutenlang im Fett, auf dass sie endlich den Rand halten und meditiere: Ernähre dich bewusst, iss gute Insektenproteine, Vitamine und lecker Mineralien. Alljährlich essen wir ein halbes Kilo Insekten, die sich in Obstschalen, im Getreide, in der Marmelade und im TK-Gemüse verstecken, da kommt es darauf jetzt auch nicht mehr an.

Ich halbiere eine Schabe. Am Panzer klebt ein bisschen Fleisch, weiß und faserig, ähnlich wie Geflügel. Sonst ist da nichts, was in dem daumengroßen Hinterleib gourmetverdächtig wirkt. Alles Innereien. Röhren, Ganglien, Drüsen, Därme, ich will nicht wissen, was genau. Ich klammere mich an mein Mantra: Insekten essen gegen den Welthunger, gegen die Waldrodung, gegen das Leerfischen der Meere! Sicher ist es ohnehin längst gängige Praxis, euch zu zermüllern und als Billighack, als Wurst, als Mikrowellengerichte zu verkaufen.

Und was mich angeht: Nur noch den Ekel überwinden, zubeißen und …

So gesund, p. c., öko und pferdefrei es auch sein mag, die Kakerlake schmeckt so, wie sie anmutet. Modrig. Irgendwie nach Keller. Scheiße. Nichts für mich, ihr Alienviecher aus der Hölle. Ich übe mich künftig in Askese.

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13 Kommentare

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  • B
    Ben

    Klasse Artikel!!

  • J
    Jan

    Die Ausgangsidee des Artikels ist nicht ganz nachzuvollziehen: Ist eine vegane Ernährung nicht mit wesentlich weniger Zeit und Energie (und vermutlich weniger Ekel) umzusetzen?

  • H
    Heuschnecke

    Heuschrecken sind eine Art angloamerikanische Finanzinvestoren, die als Nahrungsmittel bei uns nicht zugelassen sind.

     

    Also bitte beim Pferd bleiben, das liegt ehedem im Kühlregal.

  • J
    Jannes

    Die Erfahrung von Philipp haben wir in unserer WG auch gemacht:

    Heuschrecken schmecken nach Erdnuss-Flips und man muss ungefähr 500 Stück essen um satt zu werden. Außerdem sind sie mit 15€ pro 100 Stück auch nicht gerade billig und wenn man der Ästhetik wegen die Flügelchen und Beine abschneidet, hat man auch gut zu tun, bevor man in den kulinarischen Genuss der (Heu-)Schrecken kommt.

    Als die Heuschrecken zwischen Weingläsern, Salatblättern, Kuskus und einer leckeren, asiatische Exotik verheißenden Soße serviert wurden, konnte von Ekel keine Reden sein: Das Auge isst eben mit und konnte keine Anhaltspunkte von Kellerschimmel und Kompostverwesung ausmachen.

    Nach dem eher langweiligen und enttäuschenden Geschmackserlebnis ersponnen wir einen Kompromiss zwischen Feinschmeckerdasein und Ökogewissen: Der Schrecken-Burger: 50% Hack und 50% Heuschrecke. Dann könnte man das Hack aber auch gleich mit Soyafleisch strecken.

    Unser Fazit: Wir bleiben beim Konzept Sonntags-Steak vom Schlachter um die Ecke.

  • E
    enam

    Klasse, sehr schöner Artkel!

     

    Und das nächste mal einfach Heuschreckenformfleisch, in wunschform, farbe und geschmack.

     

    Proteine für die Welt.

  • H
    horst

    krabben, garnelen, krebse, hummer - alles spinnentiere.

  • TL
    Tim Leuther

    Das mit der Effizienz ist ein Argument. Gerade weiterverarbeitet verschwindet der Ekel. Am ende alles eine Frage der Kultur.

     

    Aber die ethischen Fragen teile ich nicht. Wir Menschen haben ein Recht auf speziesmus, denn jede Tierart hat das Recht, weil jede Tierart sich das recht nimmt. Das Recht Menschen zu nehmen heißt den Menschen ein Recht zu nehmen das allen Tieren zusteht. Und wenn bei der Tierhaltung/ Schlachtung nicht alles schön aussieht; wenn nichtmenschliche Natur fleisch isst, sieht es auch nicht schön aus.

     

    Und hier sind wir wieder bei der Effizienz: Denn der ganze Tierrechtskram geht auf die Effizienz. Ein Bioei braucht mehr Korn als ein Käfigei. Wenn davon die Rede ist das Tiere nicht schnell gemastet werden, dann heißt das das die Tiere mehr wertvolle Nährstoffe in Abwärme verplämpern, statt in Fleischnahrung umzuwandeln.

  • P
    paolo

    Wenn der Phillip das wirklich gemacht hat-alle Achtung! Aber vermutlich funktioniert das so nicht: Das Viechzeug muß - zumindest für unsere ästhetische und Gaumen-sinne entsprechend aufbereitet werden, dann ist das auch nicht ekliger als rohes Fleisch. Schaut mal hier rein: Eating grashoppers: http://cargocollective.com/ento

  • T
    tommy

    Ekliger Artikel. Igitt.

  • M
    Margit

    Zeigt mal wieder, dass die taz in Sachen Ethik nichts begriffen hat.

    Ist ja ein tolles Experiment, Tiere toeten und dann nichts weiter draus lernen als dass sie nicht schmecken.

    Wer mich hier anekelt ist ein Zweibeiner.

  • VV
    Verus Votum

    Schlage vor, dass ein paar Wochen durchzuhalten und dann nochmal einen Bericht zu schreiben.

    Und dazu Hilfe zu holen, ein passendes Kochbuch oder wenigstens mal die Wikipedia zur Rate ziehen und nachlesen wie diese insekten in anderen Ländern zubereitet werden.

     

    Dann schmeckt es auch besser.

    Denn mal ehrlich, wenn man innehält fällt einem auf, dass auch Eier und Käse einen seltsamen Geschmack haben. Nur deshalb "munden" weil es anerzogen ist.

  • W
    Wayne

    Schöner Artikel, interessantes Thema. Meine Meinung dazu:

     

    Die WHO kann mich mal mit ihrer Empfehlung, Insekten zu essen. Ich soll jetzt Insekten essen, während andere Leute Porsche zum Einkauf um die Ecke fahren? Nix da. Die sollen gefälligst Insekten essen, als Ausgleich für Ihre dicke Karre und ihren sonst so verschwenderischen Lebensstil. Wie wär's denn mit Emissionshandel für Individuen. Ich fahr Rad, dafür gibt's morgen Fisch. Du fährst Porsche, dafür gibt's morgen Schabe. Du fährst Bus, da gibt's halt Gemüse.

     

    Eine Utopie...

  • A
    Andreas

    Da hat sich der Autor mit Schaben ja gleich mal einen hohe Hürde gelegt. Wenn die überhaupt geniessbar sind.

    Warum nicht erstmal Mehlwürmer oder so? Die sind doch viel weniger eklig und sollen auch brauchbar schmecken, liest man immer wieder.

    Und am Automaten gibt es die Viecher auch - muss man nicht mal anstehen.

    http://www.derwedding.de/2010/02/25/madenautomat/