Wie der Punk nach Hannover kam (III): Frauen und Freidrinks
Als echter Punk schläft unser Held auswärts und checkt die Versorgungslage. Der Besuch von Vernissagen wird interessant.
Was bisher geschah: In einer persönlichen Krisensituation beschließt der Autor, Punk zu werden. Seine Lehrstelle als Dekorateur ist damit nicht kompatibel.
Es war 1978 und ich ein echter Punk. Meine Hosen waren zerschlissen und wurden von Sicherheitsnadeln und selbst eingenähten Stoffstücken zusammengehalten, möglichst grellem Zeug, Leopardenmuster oder so (8). Turnschuhe und Boots waren mit Gaffertape umwickelt. Den Marinepullover trug ich noch immer, mit Löchern drin. Dazu einen Vokuhila-Irokesen und Nietenarmbänder.
Der Bahnhofsvorplatz und diverse Fußgängerzonen wurden unser Aufmarschgebiet, von wo aus wir mit semi-militärischer Systematik Versorgungseinsätze oder Vergnügungsmaßnahmen planten. Supermärkte wurden im Hit-and-run-Stil geplündert. Diese Raids schafften es in kurzer Zeit in die Lokalmeldungen und wir verlegten uns auf weniger spektakuläre Beschaffungen (9).
Jobs wurden grundsätzlich nur dort angenommen, wo sich auch sonst etwas holen ließ – in Buch- und Schallplattengeschäften (10) etwa oder in der Gastronomie. Einer arbeitete bei einem Pharmaziegroßhandel, ein anderer in einem Supermarkt, wo er palettenweise Alkohol, Kaffee und Fleischkonserven mit dem Altpapier hinters Haus schaffte.
Wir schliefen in Übungsräumen, im Sommer gerne auch im Freien. Wir wohnten bei Freunden, wenn deren Eltern nicht zu Hause waren. Da wurde dann Samstagnachmittags geduscht und anschließend der Kühlschrank und die Kammern geleert. Die Kids ließen das mit leuchtenden Augen zu, auf diese Weise konnten sie ihre Mittelstandsexistenz transzendieren, ohne sie ganz aufzuheben. Der Bericht über den gerechten Zorn der Eltern gehörte dazu.
51, lebt in Berlin und ist Journalist, Autor, Medienkünstler und Hubschrauberforscher. In der Punkszene in Hannover und Kreuzberg nannte er sich Rosa. Die taz.nord druckt in fünf Folgen eine gekürzte Fassung von Dubels autobiografischem Essay "Rosa - Erinnerungen an den jungen Punk" aus dem Bildband "Cool Aussehen" (Hg.: Diana Weis, Archiv der Jugendkulturen 2012).
Wichtiger Zeitvertreib war das Abhängen an geeigneten Orten, das großspurige Zeigen von Präsenz. Dies unterschied sich vom Rumlungern am Kiosk an der Straßenecke durch den unbedingten Willen aufzufallen, alles sichtbar stattfinden zu lassen, vor einem Publikum, das zufällig an diesen Orten unterwegs war. Das Verarschen von Passanten, das Inszenieren absurder Szenen wurden bedeutende Beschäftigungen (11).
Die ganze Zeit über wurde palavert. Doch ging es nicht um KFZ-Technik, sondern um Ideen. Verrückte Ideen für Filme. Plakate. Klamotten. Musik. Lärm. Provokationen. Kunst. Wir fingen an, Vernissagen und avantgardistische Performances zu besuchen. Einerseits gab es da Frauen und Freidrinks, manchmal sogar etwas zu Essen, andererseits war uns auch nicht jede Kunst schlecht. Es kam zu gelegentlichen Vermischungen. Eine Punkband spielte in einer Galerie, Studenten – so nannten wir die Angehörigen der eigentlichen hannoverschen Bohème – gesellten sich an Samstagnachmittagen zu unseren Aufenthalten in der Fußgängerzone und kauften Bier.
(8) Dazu muss festgehalten werden, dass es bunte Stoffe wie eben Tiger- und Leopardenmuster oder gestreifte oder pink- und mintgrüne New-Wave-Muster damals nicht immer und an jeder Ecke zu kaufen gab. Meist gab es sowas im Februar, in der Faschingsabteilung im Kaufhaus. Das galt auch für Strass, Netzstrumpfhosen und bunten Nagellack.
(9) Nicht nur während der Geschäftszeiten… In der Landeshauptstadt gab es damals noch Supermärkte, hinter denen die morgendlichen Lebensmittellieferungen auf Gitterwagen unverschlossen abgestellt wurden. Wir waren mit Brot, Brötchen und Gebäck, Joghurt, Gemüse und Obst häufig so gut versorgt, dass wir es irgendwann wegschmeißen mussten, weil keiner mehr Bock auf Teilchen hatte.
(10) Dagmar und Kerry, zwei der lokalen Punkqueens, arbeiteten in einem Plattenladen der Kette Govi. Eine sogar als Geschäftsführerin. Sie bestellten, was es an Neuheiten gab. Das Zeug wurde ebenso schnell geklaut wie es angeliefert wurde. Ich habe nie rausgefunden, wie das über Jahre immer weitergehen konnte, ohne dass es zu irgendwelchen Konsequenzen kam.
(11) Einige meinten, solche Späße sollten besser organisiert und dann im Fernsehen gezeigt werden, eine frühe, im Rückblick fast unheimliche Prophezeiung, wenn man die explosionsartige Verbreitung diverser, idiotischer Versteckte-Kamera-Formate mit Kreaturen wie zum Beispiel Oliver Pocher betrachtet. Der übrigens auch in Hannover aufgewachsen ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!