Aus dem Amtsgericht: Ein Phantom und lauter Zweifel
Weil er die Rente seines Vaters nach dessen Tod weiter kassiert hat, muss ein vorbestrafter Staaten- und Arbeitsloser nun 1.000 Euro Strafe wegen Betrugs zahlen.
Ali H. war das, was man einen „Phantom-Rentner“ nennt. Früher hatte der Mann mal bei der Post gearbeitet, zuletzt wohnte er bei Stuttgart, bezog dort eine schmale Rente. Am 21. Juni 2009 starb Ali H. Doch seine Rentenzahlungen überlebten ihn – bis Ende März des folgenden Jahres. Empfänger: Demi H., sein Sohn. Der wurde am Sonntag gerade 49, am Montag verurteilte ihn das Amtsgericht Bremen zu einer Geldstrafe von 1.000 Euro wegen Betrugs.
Alles hat seine Ordnung, erklärte der aus dem Kosovo stammende, aber ebenso staaten- wie arbeitslose Maschinenbautechniker dem Gericht. Sein Vater habe schon Monate vor seinem Ableben alles sorgsam vorbereitet, mit unterschriebenen Blankoformularen. Und überhaupt habe er das Geld – es geht um genau 4.594,16 Euro – ja gar nicht selbst einbehalten. Sondern an Frau G. irgendwo nach Griechenland geschickt. In bar, per Einschreiben. Die wiederum sei mit Ali H. zuletzt verheiratet gewesen, sagt der Sohn – und hätte also Anspruch auf eine Witwenrente gehabt. Nein, näher gekannt habe er sie nicht, sagt der Angeklagte, nur irgendwann mal bei seinem Vater getroffen. Und in Bremen sei sie nie gewesen. Auch nicht jetzt, bei der Hauptverhandlung am Amtsgericht.
In einem förmlichen Brief an die Post, Abteilung Rentenservice, wird das Unternehmen angewiesen, die Zahlungen fürderhin auf ein neues Konto zu überweisen, nämlich auf das von Demi H. Unterschrieben habe sein Vater, sagt der Sohn. Doch das Schreiben datiert vom Juli 2009 – da war der Vater schon tot. Er habe es noch Zeit seines Lebens aufgesetzt, sagt der Sohn. Die Hinterbliebene Frau G. sollte ja nicht unversorgt bleiben. Bei ihr in Griechenland waren Phantom-Rentner früher verbreitet: 2012 stoppten die griechischen Rentenkassen die Zahlung von 63.500 Renten, die zu Unrecht gewährt wurden. Vom Tod des Vaters ist in der Mitteilung an die Post nicht die Rede.
„Ich glaube ihnen kein Wort“, poltert Amtsrichter Hans Ahlers, sonst ein eher ruhiger und bedächtiger Typ. Zunächst hatte er sich noch darauf beschränkt, die Geschichte „reichlich abenteuerlich“ zu finden. Doch dann wird Ahlers lauter, auch wenn nur eine Handvoll Leute den Saal Nummer 251 des Amtsgerichts füllen. „Das lasse ich mir nicht bieten!“
Beweise kann Demi H. keine beibringen, und eine aktuelle Adresse von Frau G., die hat er auch nicht. Dafür aber einen ungeklärten Aufenthaltsstatus und ein langes, wenn auch nicht unbedingt einschlägiges Vorstrafenregister. Mehrere Male haben sie ihn wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis drangekriegt, aber auch, weil er eine Schusswaffe trug, die er nicht hätte haben dürfen. Einmal war es sogar eine halbautomatische.
Aber auch Diebstahl, Nötigung, Drogenhandel, Missbrauch von Ausweispapieren und eine versuchte gemeinschaftliche Vergewaltigung stehen im Register. Und dass er wirklich nur jene 733 Euro bekommt, die ihm das Asylbewerberleistungsgesetz zahlt – die Oberstaatsanwältin hegt da Zweifel. Sie kennt den Angeklagten aus einem anderen Verfahren, kann sich aber auch nicht ganz genau erinnern. Es ging damals um Schutzgelderpressung, doch Demi H. war nur Zeuge. Also vielleicht ein Betrug gegen die Behörde, sagt Ahlers – doch die Frage bleibt offen, es fehlen die Beweise.
Am Ende gibt es weder ein Geständnis noch eine weitere Aufklärung der Vorwürfe. Demi H. akzeptiert einfach den vorhandenen Strafbefehl, um einer drohenden Verurteilung zu entgehen, die ihn womöglich in den Knast bringen könnte. Und so kommt er schließlich mit 125 Tagessätzen davon, jeder davon zu acht Euro.
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