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Kommentar Polizeieinsatz in NeumünsterEin falsches Signal

Kommentar von Marco Carini

Der Polizeieinsatz in Neumünster war völlig unverhältnismäßig. Die rot-grüne Landesregierung sollte dafür sorgen, dass die Eskalation ein Ausrutscher bleibt.

P fefferspray und Knüppel gegen Straßenblockierer, die für Menschlichkeit in der Flüchtlingspolitik auf die Straße gehen – der Neumünsteraner Polizeieinsatz war nicht nur jenseits der Verhältnismäßigkeit, er setzt auch ein falsches Signal.

Seit der Norden von Flensburg bis Göttingen rot-grün oder rot pur regiert wird, bietet sich auch die Chance, hier die Flüchtlingspolitik zu reformieren und erste Signale sind gesetzt: Die Residenzpflicht wackelt, Familien sollen nicht mehr wahllos auseinandergerissen werden, Abschiebungen im Morgengrauen von der Agenda verschwinden.

Die politische Prämisse lautet: Flüchtlingspolitik soll nicht nur allein der Abschreckung dienen, sie nimmt auch die Lebenssituation der Flüchtlinge in den Blick, versucht Härten zu vermeiden und lotet gesetzliche Spielräume auch mal im Sinne der Asylbewerber aus. Gefragt ist ein neuer Umgang mit Menschen, die ihre Heimat verlassen mussten, aber auch ein partnerschaftlicherer Umgang des Staates mit denen, die sich für die Interessen der Flüchtlinge einsetzen.

Hier aber hat das Muskelspiel der Ordnungsmacht alte Verkrustungen zementiert. Eine Kriminalisierung der Aktivisten wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte setzt nicht auf Tauwetter sondern auf eisigen Frost. Rot-Grün in Schleswig-Holstein sollte schnell dafür sorgen, dass die Neumünsteraner Eskalation ein Ausrutscher bleibt und stattdessen die Flüchtlingspolitik des Landes umfassend neu gestalten.

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Hamburg-Redakteur
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5 Kommentare

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  • K
    Kimme

    Also mal ganz nüchtern betrachtet, haben hier Gäste, die staatliche Unterstützung beziehen, den Verkehr und somit auch die Bewegungsfreiheit von Mitmenschen behindert/eingeschränkt. Zudem haben sie trotz Verbotes versucht, sich widerrechtlich Zugang zu einer staatlichen Einrichtung (solch eine ist Nämlich eine Unterkunft für Asylsuchende) zu verschaffen.

    Hätten sie dieses bei Ermahnung unterlassen, wäre nichts passiert. Da sie aber ihren Zugang forciert durchsetzen wollten, ist somit die erste Gewalt (auch wenn sie vermutlich in geringer Form statt fand) von den Demonstranten ausgegangen.

     

    Leider war weder der Schreiber (Journalist wäre zu hoch gegriffen) noch ich oder meine Vorkommentatoren bei dem Aufmarsch anwesend und somit verbietet sich eigentlich eine seriöse Bewertung ob die Gewalt verhältnismäßig war oder nicht, da dies nur die Anwesenden vor Ort beurteilen können. Fragt man diese ergeben sich genau zwei Meinungen, je nachdem auf welcher Seite sie bei der Demo standen. Jedoch zeigen meine eigenen Erfahrungen von Antinazidemos, bei denen ich als Demonstrant mitmarschiert bin, dass solche Gewalt häufig von einem kleinen Teil der Demonstranten ausgeht, die provozieren, randalieren und vereinzelt auch Gegenstände auf Polizisten schmeißen. Irgendwann, wenn es denn zuviel geworden ist, rückt die Polizei vor und löst das Ganze aus, was ein paar ganz Militante Gegner dann als Anlass nehmen Steine zu schmeißen und Mülltonnen anzuzünden. Das es auch bei der Polizei Vollidioten gibt, ist denke ich unbestritten. Aber bitte immer vorsichtig mit solcher Generalverurteilung und Hetze gegen den Menschen in Uniform.

  • S
    selbst

    @ mitleser:

     

    fassen wir die Fakten tatsächlich nochmal zusammen:

     

    - "Eine selbsternannte Berliner Refugees Revolution Bus Tour [...]".

    Was ist der Kritikpunkt, dass sich die Gruppe selbst einen Namen gibt? Soll sie warten bis ihnen ein Titel verliehen wird?

     

    - "Offenbar haben nicht nur diese Asylbewerber und ihre sattsam bekannten Unterstützer grundlegende Probleme mit Recht und Gesetz [...]"

    Geerade in Deutschland sollte man angesichts des letzten Jahrhunderts gelernt haben, dass nicht alles, was momentant "Recht und Gesetz" ist, auch eine moralische Begründung hat. Die von Ihnen angesprochene Residenzpflicht isz einzigartig in Europa, in dieser Form gab es sie nur im Apartheitsstaat Südafrika.

    In Ihrer Logik wäre z.B. Nelson Mandela, Mitglied des ´selbsternannten´ ANC, ein Verbrecher und hätte bei seinen unangemeldeten Demonstrationen niedergeknüppelt werden sollen. Das wurde er ja auch, was von Ihnen demzufolge begrüßt wird.

     

    Statt reflexhaft auf alles drauflos zu hacken, was nicht ´Recht und Gesetz´ entspricht, sollte man vielleicht vom chauvinistischen "Mitleser" mit Tunnelblick zum "Mitdenker" werden, für den der Mensch und nicht das Gesetz im Mittelpunkt steht. Informieren Sie sich einfach mal über die Mittel, mit denen ein im Grundgesetz festgeschriebenes Recht, das Recht auf Asyl, ausgehebelt wird, wie die, die es hierher schaffen, behandelt werden, wie Menschen, die gegen dieses Unrecht auf die Straße gehen, kriminalisiert, misshandelt und - wie z.B. von Ihnen - diskreditiert werden. Diese Aktivisten verdienen meinen vollen Respekt und meine Hochachtung, dass sie für Schutzbedürftige Menschen auf die Straße gehen.

    Ein Mitdenker und Mitfühler

  • D
    D.J.

    Seien wir nicht naiv. Es geht doch diesen so genannten Unterstützern nicht um die Asylbewerber. Diese werden von ihnen doch nur missbraucht, um ihre deutsch-pubertären Revolutionsphantasien zu befriedigen. Ein Sch...spiel.

  • F
    Falmine

    @ Mitleser

    Was wäre denn groß passiert, wenn die Demonstranten die Straße eine Stunde blockiert hätten, um dann weiter zu ziehen?

    Genau, gar nichts!

    Von der Polizei erwarte ich, dass sie jederzeit die Verhältnismäßigkeit wahrt.

    Ich bin eine gesetzestreue Staatsbürgerin. Umso stärker empfinde ich jetzt mit zunehmendem Alter die staatlichen Organe selbst als größte Bedrohung in diesem Lande. Das ist doch furchtbar!

  • M
    mitleser

    Fassen wir die Fakten noch mal zusammen:

    Eine selbsternannte Berliner Refugees Revolution Bus Tour mit Asylbewerbern, von denen etliche seit Monaten vorsätzlich ihre Residenzpflicht verletzen, macht Halt vor der Flüchtlingsunterkunft in Neumünster.

    Es kommt zu einer nicht genehmigten Demonstration, die mit einer Straßenblockade und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte endet.

    Offenbar haben nicht nur diese Asylbewerber und ihre sattsam bekannten Unterstützer grundlegende Probleme mit Recht und Gesetz, sondern auch der Kommentarschreiber, der hier auf die Tränendrüse drückt und dieses rechtswidrige und provokative Verhalten von illegal in Deutschland umherreisenden Demonstranten in grotesker Umkehr von Ursache und Wirkung als „Kriminalisierung der Aktivisten“ noch zum heldenhaften Widerstandskampf umdeutet.