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Winfried Kretschmann in der „sonntaz“„Die Menschen wollen Heilige“

Winfried Kretschmann sprach mit der „sonntaz“ über Erwartungen an Politiker, nervende Journalisten und Merkels Handy.

„Ich bin ein Provinzpolitiker.“ Winfried Kretschmann beim „Närrischen Staatsempfang“ 2013 in Stuttgart. Bild: dpa

Die taz hat Baden-Württembergs grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann ist zum Gespräch getroffen. Ein offener Austausch, bei dem wir Journalisten gar nicht gut wegkommen. Es ging aber nicht nur um Medienkritik, sondern auch um den aufgeheizten Politbetrieb in Berlin, die Kurzatmigkeit des grünen Parteirats und Krisenpolitik per SMS. Lesen Sie hier einige der stärksten Aussagen.

Winfried Kretschmann über...

... Journalisten und Klischees: „Medien haben die Tendenz, eine gigantische Klischeemaschine zu sein. Wenn man diese Klischees nicht erfüllt, können Journalisten damit schwer umgehen. Die gleichen Klischees werden wieder und wieder durchgenudelt.“

... über Journalisten und ihre Eile: „Die Alternative für Politiker ist oft: Entweder ich sage etwas, auch wenn ich wenig weiß. Oder ich recherchiere, denke nach und komme in den Medien nicht vor. Wenn ich das zum Prinzip mache, bin ich bald weg vom Fenster.“

taz
sonntaz

Das Gespräch mit Winfried Kretschmann und viele andere spannende Geschichten lesen Sie in der sonntaz vom 23./24. März 2013. Am Kiosk, eKiosk und im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz

... über Journalisten und den neuen Papst: „Ich musste kürzlich den neuen Papst kommentieren. Obwohl ich den früheren Erzbischof von Buenos Aires gar nicht kannte. Ich wusste überhaupt nicht, wer das ist. Wenn ich, der politische Oberkatholik der Nation, nichts zum neuen Papst sage, denken viele: Der hat was gegen den. Auch zu schweigen wird ja sofort wieder interpretiert. Deshalb muss ich die deutung des Schweigens mitdenken.“

... über Journalisten und Interviews - auch wenn es jetzt sehr unangenehm für uns wird: „Dieses zusammenhanglose Zitieren aus Interviews erzieht uns Politiker zu etwas Falschem. Wenn wir dreimal erlebt haben, dass uns aus dem Zusammenhang gerissene Sätze um die Ohren gehauen wurden, biegt man in die Spur gestanzter Phrasen ein.“

... Berlin: „Ich bin ein Provinzpolitiker, mich hat es nie nach Berlin gezogen. Dieses Kurzatmige ist sehr präsent in Berlin. Und es wird immer schlimmer durch Smartphones und all diese wunderbaren Geräte.“

... die zwei Jahre, die er im Parteirat der Grünen saß: „Ich war wirklich froh, als ich davon wieder erlöst war. Der Horizont war nach rückwärts eine Woche, nach vorne 14 Tage.“

... Angela Merkel und ihr Handy: „Sie ist eine Politikerin der Krisen, eine Krisenmanagerin. Wer weiß, was unsere Bundeskanzlerin will? Wohin will sie? Niemand weiß es. Dazu passt das Medium: in der Krise schnell handeln, reagieren, moderieren. SMS passt zu diesem Regierungsstil und zu Merkels Politikertypus.“

Warum Winfried Kretschmann den Zeiten nachtrauert, in denen es noch nicht mal Fax-Geräte gab, was er zur Glaubwürdigkeit des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück sagt und warum Politiker keine Vorbilder sein müssen, erzählt Kretschmann im Gespräch der aktuellen sonntaz. Am Kiosk, eKiosk und im Wochenendabo. Für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz

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7 Kommentare

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  • L
    lowandorder

    Na - mail im netten kettendtrudel abhanden gekommen? 2.0

     

    Luftblasen bewegen ist ja ganz unterhaltsam, menschelnd und

    hie und da zum Schmunzeln.

     

    Aber - von guter britisch-taffer Journalismustradition

    ist das leider Lichtjahre entfernt.

    Als Labour nicht nur draufstand schleuderte Neil Kinnock dem

    Interviewer wutentbrannt das Mikro ins Gesicht, seinem Parteifreund,

    so hatte der Ihn an den Eiern.

     

    Eure Frage wäre doch u.a. gewesen:

    " Was reitet Sie eigentlich, eine Delegation des

    SS-Massakers von Sant' Anna di Stazzema, einen Enrico Pieri,

    nicht zu empfangen und einen offensichtlich insuffizienten

    Justizminister Stickelberger zu decken?"

    Denn ich gehe davon aus, daß Kretschmann die

    bodenlose Begründung des Herrn Oberstaatsanwalt Häussler,

    "die Tötungen seien nicht grausam im Sinne des StGB gewesen,

    bekannt war.

     

    Statt dessen bringt ihr ein papistisches IkonenFotto,

    das jeder aufgeklärten Gazette Hohn spricht.

  • WM
    Wolfgang M. Müller

    Bitte sagt es dem lieben Herrn Kretschmann:

     

    Wenn er sich selbst durch den "Rost fallen" lässt (siehe Interview), benutzt er die schreckliche Sprache des Unmenschen. 60 Jahre scheinen nicht auszureichen um solche Verstzstücke auszurotten.

     

    Schade, er war mir immer so sympatisch!

     

    Wwolfgang M. Müller aus Dülmen grüsst ins Schwabenland.

  • A
    axel

    ...und außer dem ach so "menschelnden" kretschmann, den uns die taz nahebringen will, auch noch fragen und antworten zum lehrerstellenabbau, sozialabbau, stuttgart 21, schwarz-grün??

  • L
    Liane

    Welch eine Selbstinszenierung!! ich brauche weder Heilige noch Helden, aber ich habe zunehmend den Eindruck, dass unsere neuen Adligen gerne Gottest Stellvertreter auf Erden wären!!! unfehlbar und so!!!

    wie hat Brecht noch gesagt: wenn eine Land Helden braucht , dann ist es arm dran (meine Worte!)

    aber das ich fordere, dass Politker sehr wohl Vorbild sein müssen, sein sollten, sich dessen bewusst sein sollten... witzig: von mir -dem gemeinen Volk- erwartet er Vorbild-Funktion von sich weist er das zurück???

    Ich mag die Bouelevardisierung der Politiker nicht: dem armen gebeutelten Politiker: NEIN, sie haben einen Job, kriegen viel Geld dafür, eine Super-Absicherung........ und da darf ich keine Forderungen stellen?

    Sie greifen in mein Leben ein! ich darf ihrs aber nicht kritisieren?

    Sie bestimmen und ich muss einfach folgen, und wenn ich das nicht tue sind sie "zutiefst getroffen"?

    Sie nehmen öffentlichen Raum ein, also unser aller, udn ich muss betteln?

    Sie wollen einen Landtag renovieren und ich frage seit Jahren wozu brauchen wir den?

    158 Abgeordenten, plus unglaubliche viele neue Stellen... die moderne Form der Arbeitsbeschaffungsmassnahme, leider misschen die sich dauernd in den Alltag ein!!!!!

  • J
    Jon

    Was sich Bürger von Politikern wünschen ist bestimmt kein Heiligenschein aber konsistentes politisches Handeln. Dass Kretschmann mit seinen offenen Worten gut ankommt ist sicher nützlich für ihn und die Grünen bis ins konservative Lager hinein, doch wird das kaum reichen um dauerhaft zu überzeugen.

    Wie zu erwarten hängt die S21-Sache der grün-roten Regierung wie ein Klotz am Bein, untergräbt grüne Glaubwürdigkeit und schafft einen Dauerkonflikt mit dem Koalitionspartner. Doch dies geschieht nicht unverschuldet. Klare Worte vor der Wahl und unklares Rumgeeiere nach der Wahl sind nie ein gutes Mittel um politisch zu überzeugen.

    Das liegt auch nicht nur an Kretschmann, sondern an den Grünen selbst, die politisches Gelaber all zu oft bereits für politisches Handeln halten. Manchmal hat man den Eindruck, dass sich die Grünen immer noch in der Opposition wähnen, was natürlich angesichts des unsäglichen Koalitionspartners auch nicht verwundert.

    Das S21-Projekt ist ein einziger Murks, wird voraussichtlich nie fertiggestellt, wird unverantwortliche Summen kosten und an den Grünen wird der Makel haften bleiben, es nicht beizeiten gestoppt zu haben. Da hilft auch Kretschmanns Pochen auf die längst nicht mehr legitime Volksabstimmung nicht, hier ist klare politische Führung, kontroverse Entscheidung und Standhaftigkeit gefragt. Jetzt vor der Bundestagswahl lässt die SPD keine Koalition mit den Grünen platzen und so könnte man schon mal die Machtfrage stellen. Es geht bei diesem Projekt ja nicht um Meinungen, sondern um harte Fakten und die sprechen allesamt gegen das Projekt. Es ist nicht gerade ein Zeichen politischer Durchsetzungsfähigkeit sich von einem abgehalfterten Koalitionspartner am Nasenring durch die Manege führen zu lassen. Das untergräbt Kretschmanns Glaubwürdigkeit nachhaltig und das Vertrauen in grüne politische Veränderung im Land gleich mit. In Gorleben sind die Grünen bereits aus dem Bündnis geflogen und hier in Stuttgart wird das auch irgendwann passieren. Wenn die Grünen aber die Basis in den Bürgerinitiativen und -bewegungen verlieren, verlieren sie auch ihre Wählerbasis.

  • M
    mia

    Ich konnte das komplette Interview bislang noch nicht in Gänze lesen, verfolge aber den Politiker Kretschmann und sein Handeln kontinuierlich und mit großem Interesse. Sollte die Überschrift des Interviews exemplarisch sein für Kretschmanns Grundaussagen, müsste man konstatieren, dass der Mann ein ganz Ausgebuffter des postdemokratischen Politikbetriebs ist - eine Liga besser als Merkel: hier die "Expertin/Krisenmangerin", da -noch einen Status tiefer gestapelt in diesem bühnenreifen Staats-Theater-Spiel - der "Provinzpolitiker", bescheidener als der neue Papst. Denn es ist im Grunde natürlich völliger Quatsch, dass die Menschen Heilige (als Politiker) erwarten (sollte er das ernsthaft selber glauben, müsste man erwidern, dass er wohl ein bisschen zu viel und die falschen Zeitungen liest). Sollte es jedoch so sein, dass heutezutage bereits als heilig gilt, wer als Politiker die Lebens-Interessen seiner Wähler vertritt und sich darüber hinaus im Wesentlichen an den Geist von Recht und Gesetz hält, dann, aber nur dann, hätte er natürlich Recht.

  • M
    Michael

    Ich habe mich über dieses gute Interview, das Herr Kretschmann da gegeben hat sehr gefreut. Er hat formuliert, was ich mir schon seit längerem denke.

    Schade, das hier online die Interviewfragen nicht wiedergegeben worden sind, die haben die Aussagen insofern hervorragend unterstützt, als an ihnen das völlige Unverständnis der Interviewer abzulesen war und das die Aussagen von Herrn Kretschmann den Horizont der Journalisten offenbar weit überschritten.