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Journalistenplätze im NSU-ProzessTürken klagen um drei vor zwölf

In letzter Minute hat die Zeitung „Sabah“ Beschwerde gegen die Platzvergabe im NSU-Prozess eingereicht. Hat sie Erfolg, verschiebt sich vielleicht der Prozessauftakt.

Will aus erster Hand über den NSU-Prozess berichten: die türkischsprachige Zeitung „Sabah“. Bild: dpa

SAARBRÜCKEN taz | Es war ein Rennen gegen die Zeit. Um drei Minuten vor Mitternacht reichte der Kölner Anwalt Ralf Höcker am Freitagabend die 28-seitige Verfassungsbeschwerde der türkischen Zeitung Sabah sowie eines Sabah-Journalisten ein. Auch türkische Journalisten sollen über den NSU-Prozess berichten können, der am 17. April am Oberlandesgericht (OLG) München beginnt.

Erst am Donnerstagabend hatte Sabah den Auftrag an den renommierten Medienrechtler Höcker vergeben. Schnell wurde Höcker deutlich, dass ihm für die Eingabe in Karlsruhe nur rund 24 Stunden Zeit bleiben, denn am Samstag wäre eine Monatsfrist abgelaufen. Schließlich richtet sich die Klage im Kern gegen die Sicherheitsverfügung des Vorsitzenden OLG-Richters Manfred Götzl vom 4. März. Darin war bestimmt worden, dass die 50 Plätze für Journalisten ausschließlich nach der Reihenfolge der Anmeldung vergeben werden.

Höcker hält dieses „Windhund-Verfahren“ zwar grundsätzlich für zulässig, es dürfe in einem Prozess wie diesem aber nicht das einzige Kriterium sein. Vielmehr hätte es für die „ausländischen Medien“ ein eigenes Kontingent geben müssen, um sicherzustellen, dass auch sie über den Prozess berichten können. Obwohl es um eine Mordserie gegen türkisch- und griechischstämmige Kleingewerbler geht, hat bisher kein einziges türkisches oder griechisches Medium einen sicheren Platz im Prozess. Das angewandte Verfahren habe die Pressefreiheit und den Gleichheitssatz verletzt, weil es ausländische Medien benachteiligte, argumentiert Höcker.

Interessant ist, dass Sabah in diesem Zusammenhang als „ausländisches Medium“ bezeichnet wird. Immerhin wird die deutsche Ausgabe der türkischen Zeitung in Mörfelden-Walldorf produziert. Nach Angaben des stellvertretenden Chefredakteurs Ismail Erel wird Sabah in Deutschland von rund 50 Redakteuren und Korrespondenten erstellt, die überwiegend in Deutschland aufgewachsen sind. Rechtlich sei dies aber nicht relevant, erklärte Höcker auf Nachfrage: „Die Zeitung wird von türkischen Journalisten für ein türkisches Publikum in türkischer Sprache produziert.“ Außerdem werde das türkische Mutterblatt die Berichte über den NSU-Prozess auch in der Türkei veröffentlichen.

Manche wurden vorab informiert

Sabah klagt aber nicht nur gegen das Vergabeverfahren an sich, sondern auch gegen Unregelmäßigkeiten bei dessen Bekanntmachung. Die entsprechende Mail des OLG ist bei manchen Medien (etwa der taz) am 5. März um 8.56 Uhr angekommen. „Sabah hat die Mail dagegen erst um 9.15 Uhr erhalten“, moniert Anwalt Höcker. Außerdem hätten manche Medien, die beim OLG nachfragten, vorab erfahren, dass am 5. März zwischen 8 und 9 Uhr eine Mail verschickt werde.

„Nur wer das wusste, konnte sich an diesem Morgen ganz auf die Akkreditierung konzentrieren“, kritisiert Höcker. Wann sich Karlsruhe mit der Verfassungsbeschwerde beschäftigen wird, ist noch offen. Höcker hat aber zugleich eine einstweilige Anordnung beantragt, damit die Verfassungsrichter noch vor Prozessbeginn entscheiden.

Zumindest wenn die Sicherheitsverfügung von Richter Götzl für verfassungswidrig erklärt wird, käme dies auch anderen türkischen Medien zugute. Möglicherweise müsste dann sogar der Prozessauftakt am 17. April verschoben werden. Höcker hofft allerdings, dass eine Karlsruher Entscheidung letztlich gar nicht erforderlich ist, weil sich das OLG kurzfristig doch noch bewegt und selbst eine Lösung für die türkischen Medien findet.

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12 Kommentare

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  • R
    routier

    Nehmt Euch mal das geschriebene von LEX LEGIBUS zu Gemüte.

    ciao

  • B
    boateng

    @ Reptile

    Soviel Realität und Aufklärung wollen wir hier nicht haben, schämen Sie sich.

    Pfui

  • R
    Reptile

    Bitte kommt mal ALLE wieder runter. Wenn man sich klar macht, wie der Prozess der Platzvergabe abgelaufen ist, wie die dt. Presselandschaft aussieht und was die meisten Juristen in gehobener Stellung für Menschen sind (sein müssen), ist die ganze Angelegenheit gleich weitaus weniger spektakulär:

     

    1) Die Email ging garantiert nicht aus böser Absicht zeitversetzt raus. Vielmehr ist es so, dass die "Sabah" aufgrund von Größe, Bedeutung und natürlich der Ausrichtung des Blattes, für gewöhnlich keine Journalisten ans OLG schickt und daher wohl auch nicht Teil des offiziellen Emailverteilers ist. Die arme Sekretärin...

     

    2) Die Journalisten der grossen Blätter sind sehr gut vernetzt. Das gehört zum Handwerk. Gut möglich, dass die Journalisten bei der "Sabah" ebenso gut vernetzt sind...aber offensichtlich nicht mit diesem OLG. Davon abgesehen, hat nicht das OLG die Journalisten informiert (aktiv), sondern die Journalisten haben beim OLG angefragt (passiv). Das hätte die "Sabah" dann übrigens genauso machen können. Korrekt wäre gewesen überhaupt keine Informationen heraus zu geben, aber wir sprechen hier ja immerhin über Menschen...

     

    3) Richter müssen durchsetzungsfähige, selbstbewusste Menschen sein. Besonders bei solchen Prozessen gibt es jede Menge Versuche der Einflussnahme und Störung der Ordnung. Der Richter hat in meinen Augen das Recht alles dafür zu tun, einen geordneten Ablauf des Verfahrens zu gewährleisten. Nichts (mit Ausnahme von spektakulären Erkenntnissen über die NSU, die nicht zu erwarten sind) wäre peinlicher, als eine Verschleppung des Prozesses.

     

    Liebe Grüße vom Reptil

  • W
    Wahrheitssager

    @Maritn :klar du bist für die Integration. Wenn die alle Deutschlanlied singen. Du kannst ruhig aussprechen, dass du ein Braunebrühe bist.Deutschland kann ja von Norwegen eine Scheibe abschneiden.

     

    Sie waren bei dem Prozes von eurem Freund (Massenmörder)vorbildlich. Mann muss nicht alles neu erfinden, kann man auch von den Nachbaren abkopieren. Es ist ja keine Sünde. Auch nicht schande.

  • G
    gleicherfreund

    @ wüstenratte: und diese deustchen regeln sehen so aus, dass man gewissen medien informationen gibt (morgen kommt eine mail, zwischen 8 und 9 uhr) und enderen eben nicht

  • W
    Wüstenratte

    Wenn ich mich recht erinnere haben wir keine Zeitung die in ihrem Slogan immer fordert "Deutschland den Deutschen", aber die Hürriyet hat dort stehen "Die Türkei den Türken".

     

    Ein besonderes Demokratieverständnis, eine nationale Eigenheit, alles klar. Dann müssen sie auch damit leben das sie aus Deutschland berichten wollen, und dann aber nach deutschen Regeln.

  • B
    bull

    Haben die Deutschen nach dem massiven Einmischen im Fall Marco in das türkische Justizwesen etwa erwartet die Türken würden sich zurücknehmen?

    Mir war damals schon klar das bei nächstbester Gelgenheit der Hammer zurückkommt.

    Das einzig traurige an dieser Angelegenheit ist wie wenig der Tod von 8 Türken durch Nazis in Deutschland die Stimmung so gegen diese NPD aufgebracht hat dass dieses Pack sich nicht mehr auf die Strassen trauen kann.Ich bin wahrhaft mehr als enttäuscht von meinen Mitbewohnern in diesem Land.Nichts gelernt aus der Geschichte,sich aber als wahnsinnig intellegent verkaufen wollen.

  • C
    christianWULFF

    Lieber Maritn!

    Aha Diskussionen rütteln an den Grundfesten der Demokratie. Dann sind Diktaturen ja die wahren Demokratien. Denn nur da verbietet sich jegliche Diskussion über Gerichte und ihre Entscheidungen.

     

    Und eingereichte Klagen beim Verfassungsgericht sind ein Angriff gegen die Unabhängigkeit von gerichten.

    Sie haben ja nicht gegen Integration. Schön für Sie.

    Sie sollten nach Sachen auswandern, da gibt es Gerichte ganz nach ihrem Geschmack

  • M
    matthe1

    Wir sind ein eigenständiger Staat (!?!)und sollten uns keine Vorschriften machen lassen -Punkt_.

    Genau so machen es die anderen Länder auch, besonders die Türkei !!

  • M
    Maritn

    Diese leidige Diskussion rüttelt an den Grundfeilern unserer Demokratie. Die Unabhängigkeit der Gerichte wird hier untergraben. Ein Auswahlverfahren hat Gewinner und Verlierer. Wie weit soll es noch kommen?

    Klagen demnächst die Muslime um die Hälfte der Eintrittskarten bei einem Fussballspiel, weil eine entsprechende Mannschaft in Deutschland spielt?

    Um nicht den falschen Eindruck zu erwecken möchte ich ausdrücklich betonen, das ich für die Intergration bin. Dies geht aber nur gemeinsam und kann nicht auf dem Rücken unserer Demokratie erfolgen.

  • LL
    Lex Legibus

    Komisch ist, dass oft von einer Verfassungsbeschwerbe gesprochen wird. Das ist kaum noch möglich. Allenfalls wäre eine Einstweilige Anordnung möglich. Diese ist im Verfassungsrecht und öffentlichen Recht gleichermaßen möglich. Generell hätte das Oberlandesgericht nach StPO und GVG den Prozess in einer größeren Halle verlegen können. So wie damals beim Prozess um den "Soldatenmord von Lebach". Damals war das OLG Saabrücken zuständig und verlegte den Prozess in die Saarlandhalle, damit genügen Platz für alle das ist.

    Interessant sind wohl die Gründe, warum München den Prozess nicht in eine größere Räumlichkeit verlegen möchte. Entweder man will den Prozess wirklich medial so "klein" wie möglich halten oder sie kennen das Gerichtsverfassungsrecht nicht so gut. Wie auch immer: Es kann nicht sein, dass immer nur Springer, Spiegel und Co in den ersten Reihen sitzen und andere Journalisten sich hinten anstellen. Das ist ein Problem, welches seit Jahren besteht. Muss man als Journalist gleich dort angestellt sein, um eine Chance für eine Gerichtsreportage zu schreiben, die auf fundierten Relationen beruht oder geht es auch anders? Generell sollten die freien Journalisten besser berücksichtigt werden. Es kann nicht sein, dass nur wegen ein paar Türken so ein Faß aufgemacht wird. Erstens: Die meisten Getöteten sind ja de iure auch Deutsche gewesen. Zweitens: Seit wann interessieren sich die Türken auf einmal für die Dönermänner aus dem Frankenland? Würde ein Deutscher Journalist sich beschweren, dann würde es mal wieder keinen Interessieren, weil die etablierten Medien ja froh sind, keine Konkurrenz bzw. abgeschwächte Konkurrenz von den Freischreibern erhält. Irgendwo muss auch mal Schluss sein bzw. man sollte mal dieses Gedankenspiel publizieren.

  • R
    Robert

    "Das OLG bat 1.2.2013 darum vor dem Erlass der Sicherheitsverfügung(einschließlich der Frage der Akkreditierung) von "diesbezüglichen Anfragen Abstand nehmen zu wollen". Im Vorteil waren nun die Medien, die diese Bitte ignorierten und regelmäßig anfragten. Wenn bereits am 4.3.2013 mündlich über den Startschuss für die Akkreditierung informiert wurde, bedeutet dies, dass ein "Windhundrennen" veranstaltet wurde bei dem nur die Teinehmer rechtzeitig in der Startbox stehen konnten, die vorher von der Rennleitung über den Beginn des Wettkampfs informiert wurden."

    (der Freitag:Akkreditierungsanfragen für NSU-Prozess)

     

    Seit wann wusste die taz,deren Akkreditierungsgesuch um 8:58 im Postfach der Justizpressestelle landete vom Startschuss des OLG am 5.3.2013?