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Musiker über Kleistvertonung„Wir haben Holz gehackt“

Musiker Lars Rudolph über Stoßgebete, psychedelische Erfahrungen mit Kleists Novelle „Die heilige Cäcilie“ und das Stigma des Rhythmus.

„Man sieht Wunder und nimmt an ihnen teil“, sagt Lars Rudolph über Psychedelik. Bild: Promo
Julian Weber
Interview von Julian Weber

taz: Mitte der Achtziger haben Sie in New York gelebt, um Musik mit dem Jazzsaxofonisten John Zorn zu machen. Was haben Sie von ihm gelernt?

Lars Rudolph: Das war so ein Überlebenswille. Alle meine Freunde waren als Fahrradboten unterwegs und sind zehn Stunden am Tag durch New York gefahren, um nachts Musik zu machen. Von Zorn konnte man das Improvisieren mit Sounds lernen: Der hatte damals eine Geräuschphase, in der er mit Jagd- und Vogelpfeifen improvisierte und schnell zwischen diversen Stilen wechselte: Noise, Rock, Soundtracks, jüdische Musik, Jazz, meist zitathaft und mit den Brüchen spielend.

Sind Sie in einem musikalischen Elternhaus groß geworden?

Mein Vater war bei der Marine und wir hatten eine Trompete, die spielte ich und dann ging ich zum Blasorchester, da war ich 13 Jahre alt. Dann gab es „Bitches Brew“ von Miles Davis, mein Bruder hat das Album angeschleppt. Da wusste ich, das will ich auch machen, und habe versucht, diese Soli zu kopieren. Ich war eher der Freejazz-Typ. Deswegen bin ich zu John Zorn.

Damals war nicht nur Metal-Jazz en vogue, es gab ja auch Noise-Rock, das hört man auch in Ihrer Band Mariahilff.

Es gibt diese Einflüsse absolut, aber ich würde eher Psychedelik dazu sagen. Unsere Bandstruktur ist eine ganz andere, wir brauchen Zeit. Ich will eine Band mit rein akustischen Instrumenten. Ich will sehen, wie sich die Musiker verausgaben.

LARS RUDOLPH

geboren 1966 in Wittmund/Ostfriesland, ist Musiker und Schauspieler. Zahlreiche Rollen in Theaterstücken und Filmen, wie „Kühnen 94 - Bring mir den Kopf von Adolf Hitler“ (Christoph Schlingensief, 1994), „Die Werckmeisterschen Harmonien“ (Bela Tarr, 2000) und „Gold“ (Thomas Arslan, 2012). Er lebt in Berlin.

Mit seiner Band Mariahilff hat er zwei Alben aufgenommen. Das zweite „Die Heilige Cäcilie oder die Gewalt der Musik“ (Goldbek/Indigo) ist die Vertonung einer Novelle Heinrich von Kleists. Es wird live aufgeführt an der Berliner Volksbühne am 19. April und am 27. April.

Ihr Bandname Mariahilff ist nicht gerade rocktypisch.

Der gefällt Ihnen gar nicht, oder?

Ich bin hier nicht zum reinen Vergnügen.

Wir sind benannt nach einem Krankenhaus namens Mariahillf. So heißt auch das letzte Stoßgebet. Wenn man an so einen Scheißpunkt im Leben angekommen ist und alle Kräfte mobilisieren muss, ist das selbst wie eine Kraft, die dadurch entsteht, irgendwas zu ändern.

Sind Sie religiös?

Nicht religiös verhaftet. Aber ich habe religiöse Erfahrungen gemacht, die ähnlich waren wie meine psychedelischen Erfahrungen.

Nun haben Sie eine Novelle von Heinrich von Kleist vertont. Ist Kleist eher Pop oder Rock?

Rock.

Das Thema der Novelle basiert auf einer Grenzerfahrung.

Es geht um den Übergang von der Religion auf das weltliche Leben. Es geht um Wahn. Es geht darum, was bewegt Menschen. Durch die Kraft der Musik wird eine Revolution niedergeschlagen. Durch eine Anrührung, durch etwas Höheres. Im 16. Jahrhundert hatte Musik ganz andere Kraft auf Leute, da gab es keine Massenmedien. Da wurde zu Hause Musik gemacht oder in der Kirche.

Was war der Kitzel, die Geschichte einer Märtyrerin aus dem 16. Jahrhundert zu vertonen?

Ich begreife bis heute nicht, was in einem Frauenkörper abgeht, etwa während der Regel, wie die Stimmungsschwankungen zu erklären sind, welche Kräfte Frauen entwickeln können. Analog die Geschichte von Schwester Antonia, die im Koma liegt und gar nicht da sein kann. Dann kommt sie doch und dirigiert einen Umsturz. Und bewirkt, dass vier Brüder irre werden und in Stupor fallen und ein Gebet gen Himmel stammeln.

Bedeutet Musik spielen nicht etwas anderes als Rollen spielen?

Weiß ich gar nicht, ob es wirklich so anders ist. Es geht immer über eine Grenzüberschreitung. Man muss irgendwas ausdrücken, was einem wichtig ist. Und da besteht eine Ähnlichkeit zwischen gutem Schauspiel und guter Musik. Peinlich wird’s, wenn man versucht, Jacques Brel zu sein.

Popmusik hat mit kinetischer Energie zu tun, mit Bewegung. Ihre Musik kommt mir wie das Gegenteil vor.

Es geht auch um etwas anderes als im Pop. Stilistisch ist es in einer Zwischenwelt angesiedelt: weder Hörspiel noch reine Musik. Mariahilff hat als Mandolinenorchester begonnen, mit drei Mandolinen, und einem Bass, ohne Schlagzeug.

Warum nicht?

Wir hatten keinen Bock auf das ewige Stigma der Zeiten. Das ist die Versklavung des Beats.

Ganz zu Anfang auf Ihrem Album hört man Ihre Band beim Holzhacken, das trägt ja schon Züge von Rhythmus.

Wir haben Holz gehackt, bis wir in einen Zustand kurz vor der Ohnmacht geraten sind. Dann erst fängt Musikmachen an, wenn wir schon total fertig sind.

Was bedeutet Psychedelik?

Waren Sie schon mal aus Ihrem Körper?

Durchaus.

Psychedelik ist eine religiöse Naherfahrung. Surreale Wahrnehmungen, Drogenerfahrungen. Es ist eine sehr religiöse Erfahrung. Man sieht Wunder und nimmt an ihnen teil.

Sprechen Sie gerade von etwas Spirituellem?

Nein. Vor den Proben haben wir „Gloria in excelsis Deo“-Versionen gehört, etwa von Patti Smith und Johann Sebastian Bach, und haben das Material entzweigerissen, nicht auf das Lateinische geachtet und uns collagemäßig einzelne Passagen rausgesucht.

Was haben Sie sich vorgestellt, als Sie über die heilige Cäcilie Moritate gesungen haben?

Eine Ankündigung. Das Bild war ein Marktschreier, der im Hof steht und davon erzählt.

Hat das etwas von einer Predigt von der Kanzel?

Das ist natürlich ähnlich. Je nachdem, wie man das deklamiert.

Kleists Text hat mit dem Kampf gegen den Katholizismus zu tun. Was wäre da dran aktuell?

Ich habe großen Respekt vor Religionen. Damit, wie es aufgeführt wird, habe ich aber nichts zu tun. Wenn ich in Kirchen gehe, beschleicht mich ein Gefühl der Rührung. Das war in Istanbul nicht anders, in einer Moschee. Da entsteht etwas anderes als Realität. Was früher die Kirche geleistet hat, machen heute Psychologen. Diese Form der Beichte, des Aussprechens finde ich existenziell wichtig.

Mögen Sie den Showbusiness-Effekt von Religion?

Ich glaube, dass Moral etwas in der Kunst zu suchen hat. Wo denn sonst? Etwa wenn sich jemand hinstellt und sagt, wir leben nicht in einer idealen Welt. Oder wenn jemand sagt, hey, es gibt noch andere Werte und es lohnt sich, für sie zu kämpfen. Ähm, wie war noch gleich die Frage?

Religion als Showbiz.

Gute Predigten sind Gold wert. Wenn es gute Pastoren gäbe – es mag sie ja vielleicht sogar geben –, ist das wie Pop. Wie Iggy Pop, wenn er sich malträtiert.

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