Jahrestag des Tiananmen-Massakers: Hongkong hält an Gedenken fest
150.000 Menschen trotzen dem strömenden Regen und gedenken des Massakers in Peking vor 24 Jahren. Auf dem chinesischen Festland wird symbolisch protestiert.
BERLIN taz | Während in der Volksrepublik China wieder jedes öffentliche Gedenken an die blutige Niederschlagung der studentischen Demokratiebewegung vor 24 Jahren verhindert wurde, haben in der autonomen südchinesischen Metropole Hongkong wieder Zehntausende für Demokratie in China demonstriert. Die jährliche Gedenkdemo an das so genannte Tiananmen-Massaker von 1989 ist dort längst zu einem wichtigen Stimmungsbarometer im Verhältnis der einstigen Kronkolonie zu Peking geworden.
Mit Regenschirmen und Kerzen trafen sich am Dienstagabend im Victoria-Park wieder ganze Familien und Freundeskreise zum Gedenken an die Opfer des Massakers, darunter viele, die erst nach 1989 geboren wurden. In den letzten Jahren wurden auch immer mehr Teilnehmer vom chinesischen Festland beobachtet.
Die Veranstalter hatten wie im Vorjahr auf 180.000 Teilnehmer gehofft, doch verhinderte dies der starke Regen. Laut South China Morning Post sprachen die Veranstalter jetzt von 150.000 Teilnehmenden, die Polizei von 54.000. Der Gedenkprotest musste wegen des starken Regens sogar eine Stunde früher beendet. Werde. Damit wurde auf die Übertragung einer Rede des im taiwanischen Exil lebenden früheren Pekinger Studentenführers Wang Dan verzichtet.
In diesem Jahr hatte es in Hongkongs Demokratiebewegung erstmals einen Aufruf zum Boykott des traditionellen Protests gegeben. Er fand jetzt unter dem Slogan „Liebe für das Land, Liebe für die Menschen“. Damit sollte laut dem Vorsitzenden der verantwortlichen „Hongkonger Allianz zur Unterstützung der patriotischen demokratischen Bewegungen in China“, Lee Cheuk Yan ausgedrückt werden, dass man China auch lieben könne, ohne die alleinregierende Kommunistische Partei zu lieben.
Als antichinesisch diskreditiert
Doch verwahrten sich Anhänger einer Unabhängigkeit Hongkongs gegen diesen Slogan wie auch Menschen, die mit einem chinesischen Patriotismus nichts am Hut haben. „Wir möchten nicht, dass der Slogan falsch verstanden wird und Menschen glauben, wir wollten ihnen einen Patriotismus auferlegen“, sagte Lee, der zugleich Hongkongs unabhängigen Gewerkschaftsbund führt und einer der wichtigsten Abgeordneten der Demokratiebewegung im Stadtparlament ist.
Mit dem Streit ist die Demokratiebewegung letztlich Pro-Peking-Kräften auf den Leim gegangen, die seit Jahren versuchen, sie als antichinesisch zu diskreditieren. Führer der Demokratiebewegung versuchen deshalb oft ihrerseits, Peking-nahe Politiker in ihrer Vaterlandsliebe demonstrativ zu übertreffen. Der Nationalismus, für den Hongkongs Rückgabe an China 1997 eine wichtiges Symbol ist, ist eine starke Legitimationsgrundlage für den Herrschaftsanspruch der Kommunistischen Partei Chinas.
In der Volksrepublik hatte der Menschenrechtsaktivist Hu Jia in den letzten Tagen dazu aufgefordert, am 4. Juni schwarz zu tragen. Zugleich scherzte er, dass sich wohl künftig Käufer schwarzer T-Shirts amtlich registrieren lassen müssten, eine Anspielung an die Zensurversuche des Internets.
Dies war am Dienstag weit strenger überwacht als in den Vortagen. Mit dem Foto eines Mannes vor einer Kolonne gelber Quietscheentchen spielten chinesische Internetnutzer auf ein Foto an, das 1989 um die Welt gegangen war. Es zeigt den so genannten „Tank man“, einen Bürger mit Aktentasche, der sich todesmutig allein einer Panzerkolonne in den Weg stellte und diese für einige Sekunden auf ihrem Weg zum Tiananmen-Platz aufhielt.
Verweigerte Aufarbeitung
Das Bild ist in China tabu, aber vielen aus der damaligen Zeit bekannt. Das Bild vom Quitschentchen und der Begriff wurden auch bald zensiert. Die auf dem Foto verwendete übergroße Plastikente war vor einigen Wochen von einem Künstler im Hongkonger Hafen installiert worden und zu einem beliebten Fotomotiv avanciert.
In der Nacht vom 3. auf den 4. Juni 1989 schlug Chinas Volksbefreiungsarmee im Zentrum der chinesischen Hauptstadt einen wochenlangen Protest nieder, der von Studenten ausgegangen war. Sie hatten den zentralen Tiananmen-Platz besetzt und Demokratie gefordert. Damals starben Schätzungen zufolge mehreren hundert bis 3.000 Menschen.
Die KP-Führung bezeichnete die Proteste später als „konterrevolutionären Aufstand“ und verweigert sich seitdem einer Aufarbeitung der damaligen Ereignisse. Kurz vor dem Jahrestag wird die Überwachung von Dissidenten verstärkt und die Medien und das Internet noch stärker zensiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen