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Wissenschaftler über Familienpolitik„Wahlfreiheit wurde nicht untersucht“

Wissenschaftler rebellieren gegen Ministerin Kristina Schröder (CDU): Sie stelle Ergebnisse verzerrt dar, um eine inkonstistente Politik zu rechtfertigen.

Inkonsistent aber durchaus vorhanden: die politische Agenda Kristina Schröders. Bild: dpa
Bernd Kramer
Interview von Bernd Kramer

taz: Herr Bonin, Sie sind sauer auf Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU). Warum?

Holger Bonin: Mein Institut hat zusammen mit anderen Forschungseinrichtungen die Familienpolitik der Regierung evaluiert. Das Bild fällt sehr differenziert aus. Wie Kristina Schröder die Ergebnisse interpretiert, hat mich dann doch sehr überrascht.

Haben Sie ein Beispiel?

Die Ministerin interpretiert das Ehegattensplitting als Beitrag zur Wahlfreiheit. Für mich ist unklar, wie unsere Ergebnisse diesen Schluss nahelegen sollen. Untersucht haben wir, ob das Ehegattensplitting die Vereinbarkeit von Beruf und Familie befördert. Diesem Ziel wirkt das Ehegattensplitting eher entgegen, weil es einen Anreiz dafür schafft, dass Frauen dem Erwerbsleben fernbleiben.

Kristina Schröder hält dagegen. Sie argumentiert: Die Politik gibt die Ziele vor. Die Wissenschaft kann nur Hinweise darauf geben, welche Mittel diesem Ziel angemessen sind.

Genauso sind wir vorgegangen: Das Ministerium hatte konkrete Kriterien benannt, nach denen wir die familienpolitischen Leistungen der Regierung untersuchen sollten. Wahlfreiheit war keines davon.

Im Interview: Holger Bonin

Jahrgang 1968, ist Professor für Volkswirtschaftslehre und Sozialpolitikforscher am Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim.

Was waren die Kriterien, nach denen Sie evaluiert haben?

Ein Kriterium lautete: Inwiefern tragen die einzelnen Maßnahmen dazu bei, die Geburtenziffer zu erhöhen? Jetzt will Kristina Schröder davon nichts mehr wissen und sagt, für mehr Geburten zu sorgen sei nicht Aufgabe der Familienpolitik. Stattdessen ist auf einmal die Rede von Wahlfreiheit.

Darf Wahlfreiheit denn kein Ziel der Familienpolitik sein?

Die Zielvorgaben sind Aufgabe der Politik. Allerdings habe ich den Eindruck, dass die Wahlfreiheit einfach nur beschworen wird, um eine inkonsistente Politik zu rechtfertigen. Die eine Leistung soll Müttern die Erwerbstätigkeit erleichtern, eine andere schafft einen Anreiz, zu Hause beim Kind zu bleiben. Beide Ziele widersprechen sich, aber man kann einfach behaupten, sie dienten dem übergeordneten Ziel der Wahlfreiheit.

Rechnen Wissenschaftler nicht damit, dass die Politik Ergebnisse nach Gusto interpretiert?

Das kommt darauf an. In der Arbeitsmarktpolitik habe ich das bislang in der Schärfe noch nicht erlebt. Ein Beispiel: Wir haben den Ausbildungsbonus untersucht, eine Subvention, um schwer vermittelbare Jugendliche in die Lehre zu bringen. Unsere Studien haben gezeigt, dass das nicht viel bringt. Inzwischen wurde der Bonus wieder abgeschafft. Ich habe durchaus das Gefühl, mit meiner Arbeit etwas bewegen zu können.

Ist die Familienpolitik einfach noch nicht so weit?

Es ist eine positive Sache, dass die Politik überhaupt eine Gesamtevaluation familienpolitischer Leistung in Angriff genommen hat. Und ich habe den Eindruck, dass die Ministerien unsere Ergebnisse durchaus zur Kenntnis nehmen und sie für die Arbeitsebene durchaus von Bedeutung sind. Es wäre aber wünschenswert, wenn auf der Basis der Studienergebnisse nun eine Debatte über den Reformbedarf begänne.

Wie geht die Politik mit für sie missliebigen Studienergebnissen um?

In den Verträgen findet sich in der Regel eine Freigabeklausel. Das Ministerium muss der Veröffentlichung zustimmen. Unser Institut hat sich verpflichtet, nur Aufträge anzunehmen, wenn die Veröffentlichung gewährleistet ist. Bisher war das kein Problem. Die Frage ist nur, wie prominent eine Studie von der Politik öffentlich gemacht wird.

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10 Kommentare

 / 
  • F
    friedbert

    Eine Geburtenförderungspolitik von Frauen

    mit abgeschlossener Berufsausbildung

    ist keine faschistoide Politik, sondern bei dem

    Wahnwitz der Freihandelsmanie, Zeitarbeit uvm. eine Notwendigkeit.

     

    Es brächte für die Frauen eine klare

    Lebenstruktur, in der sie nicht mehr

    den besten Moment abwarten müssen mit

    den optimalsten Partner und der maximalsten

    Arbeitsplatzsicherheit.

    Geburten und Kinder wären endlich offiziell als

    staatlich angesehenen Dienst für die Gesellschaft

    anerkannt.

    3- 4x Kinderkriegen in Karriereberufen wird damit

    nicht mehr obszönisiert oder verpönt.

    Schwangerschaftslohn(1500€ für die Zeit der Schwangerschaft), Kleinkinderziehungsgeld(1250€),

    und ein bis zwei Berufsaktualisierungssemester(1250€)

    schaffen Nachfrage in erhaltenswerten ländlichen

    Regionen fernab von Smog und mit Pestizidverbot,

    aber mit Hebammenbetreuung, Massagen, Sport und

    Bioernährung.

     

     

    Viele Faktoren heutzutage hängen nicht allein von

    den potentiellen Müttern der jungen Generation ab,

    die Weltwirtschaftssituation, die Unternehmenskulturen, die Abgabezwänge, Mietentwicklungen, das Bildungsniveau der Partner,

    die Sozialkultur.

    Der Staat hat selbst durch die Monopolisierung von

    Bildung und Erziehung auch erhebliche soziale

    Schäden mit verursacht( sichtbar an der Zunahme

    psychischer Krankheiten durch destruktive

    Sozialisierungsprozesse, Drogen-, Gifte-, Alkohol-

    konsum von Kindern und Eltern).

    Durch dieses Übergangsgeld bekommen die Frauen

    während der Überbrückungsphasen den wichtigen Rückhalt, den ihre Partner vielfach durch prekäre

    Arbeitsverhältnisse usw. nicht mehr bieten können.

    Nur bei ausreichend guter Entlohnung der Mütter während der Gebär-und Kleinkindphasen ist überhaupt

    die Möglichkeit einer gesunden Ernährung, gesunder

    Lebens-und Wohnumstände und partnerschaftliche

    Stabilität gegeben. Gerade diese Phase

    ist entwicklungsentscheidend!!!

    Da jeder dieser schwangeren Frauen gleich wertvoll

    ist, sollten sie für die gleiche Arbeit den gleichen

    staatlich finanzierbaren LOHN(nicht Almosen) bekommen, um auch nicht vom Partner finanziell

    abhängig zu sein. Das wäre wahre Emanzipation!!!

     

    Auf die Nachkommen kommen gewaltige Herausforderungen

    zu, deshalb müssen ihr Startbedingungen möglichst

    perfekt sein!

    Das Programm ist finanzierbar!!!

  • S
    sand

    Familienpolitik wird also von Herrn Bonin nur nach wirtschaftlichen Nutzen evaluiert.

     

    Nutzen für wen ?

     

    Würden unsere Eliten vom Ehegattensplitting proftieren,stände es bestimmt nicht zur Disposition.

     

    Desshalb, mehr Progessionsstufen und höhere Steuern über der jetzigen Progressionsgrenze, damit künftig alle neoliberalen Mietmäuler und wirtschaftnahe Experten in den Genuss des Progressionsausgleich kommen.

  • I
    Irmi

    Was waren die Kriterien, nach denen Sie evaluiert haben?

    Ein Kriterium lautete: Inwiefern tragen die einzelnen Maßnahmen dazu bei, die Geburtenziffer zu erhöhen?

     

    Sind unsere Frauen Gebärmaschinen, oder sind unsere Frauen käuflich, wegen ein paar € mehr in der Tasche sollen sie Kinder in diese unsichere Welt setzen ?

     

    kaum oder irre teuere Kitas

    Studium nur für Reiche möglich

    Jugendarbeitslosigkeit,

    Niedrigstlöhne

    1 € Jobs

    Aufstocker

    hohe Arbeitslosigkeit weil zu viel Einwanderungen

    Hartz IV

    Gnadenbrot vom Sozialamt nach deren Gutdünken

     

    KAUM RENTE ZUM ÜBERLEBEN REICHT NICHT MAL ZUM STERBEN

     

    Mieten unbezahlbar,

    Strom unbezahlbar,

    Benzin unbezahlbar

    Luxusgüter wie ein Auto nur noch für die Reichen

    zu viele Steuerabgaben

    Am Wirtschaftwachstum teilhaben ???

    Einwanderung aus allen nur möglichen Armutsländern

     

    habe sicher einiges noch nicht aufgezählt

     

    Das alles soll Frauen und Männer dazu bringen Kinder in die Welt zu setzen ???? Das soll die Zukunft unserer Kinder sein ??????? Am Dauertropf eines nicht sehr freundlichen, Menschen unwürdigen angeblich sozialen System hängen bis man endlich sterben darf ????

  • H
    Hasso

    Die CDU macht alles richtig!? Woher sonst die 41% ? Es sei denn, die Wähler sind vertrottelt. Die Einnahmen steigen und das soziale Gewissen schläft ein. Die Einnahmen werden künftig sinken- und was dann. Aber Merkel lächelt- "bis alles in Scherben fällt".

  • AU
    Andreas Urstadt

    Disponibilitaet konstellativ, genau das macht Kristina Schroeder richtig.

     

    Bonin hat gar nicht versucht sie zu verstehen, geht aber an die Oeffentlichkeit, Begruendungspunkte sammeln, erreichen tut er s, fuer Kristina Schroeder.

  • S
    Sören

    Niemand unterstellt Familienministerin Schröder "blöd" zu sein. Es geht darum, dass sie die Ergebnisse der Studie so umdeutet, dass sie in ihr ideologisches Raster passen, und ihrer eigenen Politik ein gutes Zeugnis ausstellen.

     

    Sie hat es in ihrer Amntszeit nicht geschafft, Wahlfreiheit für Eltern zu erreichen, weil nicht genug Betreuungsplätze da sind. Es war lange klar, dass der Bedarf über den 35% liegt, die man angenommen hat. Außerdem sind die Kosten tw. so hoch, dass es sich für Frauen nicht lohnt bspw. zunächst mit Teilzeit-Arbeit zu beginnen.

     

    Hier werden Menschen von der Politik darum betrogen, ihren Lebensweg zu gehen, wie sie das möchten. Es wäre der richtige Weg, den Bericht als Basis zu nutzen, um die Familienpolitik neu auszurichten. Das Ehegattensplitting ist lange überholt, und dient den Konservativen dazu, ihr 1950er-Jahre Weltbild zu pflegen.

     

    Die Wahl von Fr. Schröder war eine der schlechtesten Personalentscheidungen von Kanzlerin Merkel überhaupt. Sie hatte sich vorher kaum mit diesen Themen beschäftigt; ihr fehlt das Standing in der Partei und ihr fehlt offensichtlich Lebenserfahrung. Kein Wunder, wenn man mit 25 in den Bundestag gekommen ist.

  • A
    anke

    Tja, sie hat es eben auch nicht ganz leicht, die Bundesfamilienministerin. Wären Familien so etwas Einheitliches wie DIE deutsche Wirtschaft, hätte sie es leichter.

     

    Eine "inkonsequente Politik" jedenfalls konnte man dem früheren SPD-Kanzler Schröder nicht vorwerfen. Der Mann hat ganz genau gewusst, was er will: Sich und seinesgleichen auf Kosten seiner Wähler einen Vorsprung verschaffen. Frau Schröder weiß es nicht. Das behaupten jedenfalls die, die sich wünschen, dass ausnahmslos alle Familien (oder doch wenigstens eine erkennbare Mehrheit davon) allein an ihren ganz persönlichen Erkenntnissen entlang zum Glück finden.

     

    Der Totalitarismus in seiner noch halbwegs humanen Variante (Silke Mertens: "Demokratie [ist], wenn das Volk alle vier Jahre wählen darf. Zwischendurch herrschen sie [Anm.: Mursi und Erdogan])" ist also offenbar nicht tot zu kriegen. Auch nicht außerhalb der Politik, und schon gar nicht unter halbwegs intelligenten Leuten. Irgenwie verstehe ich das sogar...

     

    Auch für mich hat es zunächst so ausgesehen, als sei "die Familienpolitik" aktuell "noch nicht so weit". Inzwischen sehen ich es anders. Ich fürchte, dass Christina Schröder nur deswegen den Vorreiter gibt, weil Frau Merkel und ihre Jungs ganz gern mit einer eigenen 50%-Plus-Mehrheit regieren (und aus einer so gesicherten Position heraus ihre Klientelpolitik betreiben) möchten. (Gerhard Schröder hat in seiner hemdsärmeligen Art zwar nicht zum Kanzler getaugt, dafür jedoch offenbar zum abschreckenden Beispiel.) Aber das, nicht wahr, muss man ja nicht unbedingt erkennen wollen. Schon überhaupt nicht, wenn man ein "rebellieren[der]" Auftragnehmer sein möchte.

  • AU
    Andreas Urstadt

    Bonin stuetzt sich bei der Evaluierung auf Modelle, die immer Friktion verursachen. D h Erfebnisse sind immer asymptotisch. Fuzzy logics etc werden gar nicht verwendet, die Untersuchung erfolgt mit dem Wunsch groesstmoeglicher Kontrolle.

     

    Was untersucht wird sind Regulationsmechanismen. Zielorientierung ist dabei wenig hilfreich.

     

    Kristina Schroeder interpretiert entlang von Disponibilitaet und damit ganz anders. Sie achtet auf die Regulation und das Regulative. Und das tut man eher auf Basics als auf Zielen. Disponibilitaet wird von Bonin oder der taz dagegen als Inkonsistenz oder inkonsistente Politik verstanden.

     

    Interessant ist aber, dass Kristina Schroeder eine andere Sicht hat als die Evaluierung. Dazu waere es wirklich klug, wenn der Evaluierungsberg tatsaechlich von ihr so interpretiert wurde.

     

    Bemerkenswert ist wie Bonin et al arbeiten. Modelle. Stichproben. Kristina Schroeder hat einen hoeheren EQ.

     

    Bonin partikularisiert und kann das Partikularisierte dann nur noch zusammen zaehlen.

     

    Disponibilitaet haette untersucht werden koennen, nicht mit Modellen, ueber Basics und Regulation. Man haette die Arbeit dann eher kulturwissenschaftlich nennen koennen.

     

    Das Greifen zu Modellen arbeitet mit zu hoher Normativitaet.

     

    Das Interessante an den Vorwuerfen sind die Alternativen.

  • AU
    Andreas Urstadt

    Basics, nicht Ziele.

     

    Zielorientierung foerdert vor allem Foerderung, Mittel, etc. Ich sehe Wissenschaftler, die ihr intellektuelles Kapital verschwinden sehen. Selbstlos ist der Prof hier ganz und gar nicht.

     

    Diplom-Soziologin Kristina Schroeder kann gar nicht so bloed sein wie hier versucht wird darzustellen.

     

    Die vom Prof geforderte Transparenz bedeutet Eigenwerbung. Feedback bekommt die Ministerin inkl von Betroffenen. Wer hier Hierarchie einfuehrt ist der Professor, ohne Wahlfreiheit.

  • A
    Antares78

    -Ehegattensplitting schafft sehr wohl die Vereinbarkeit von Broterwerb und Familie.

    Daher gibt es auch viele, die Teilzeitjobs annehmen.

     

    -wenn es jemandem somit erleichtert, mehr für den eigenen Mittelpunkt des Lebens - also Kinder, Partner/in - da zu sein, ist dies umso besser.