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Ausstellung Journalisten im NSAufstand der Erbsenzähler

Konnten Journalisten in der Nazi-Diktatur Widerstand gegen das Regime „zwischen den Zeilen“ einbetten? Eine Ausstellung untersucht diese Frage.

Der „Völkische Beobachter“ war das publizistische Herzstück der NSDAP Bild: dpa

Großer Aufmarsch der Uniformierten beim Reichsparteitag in Nürnberg. In den Zeitungen, so die Anweisung der NS-Propagandisten, sei „die Zahl der anwesenden SA-Männer generell mit 100.000 anzugeben, die Frankfurter Zeitung berichtete, es hätten 86.000 teilgenommen“.

Ein Beispiel von Widerstand deutscher Schriftleiter – jedenfalls für die Macher einer Ausstellung mit dem Titel „Zwischen den Zeilen? Zeitungspresse als NS-Machtinstrument“, die in den Räumen der Berliner „Topografie des Terrors“ zu sehen ist.

Die Schau solle dazu beitragen, die „noch immer virulenten Mythen zu dekonstruieren“, schreibt der geschäftsführende Direktor der Stiftung Topografie des Terrors, Andreas Nachama, im Ausstellungskatalog. Er misstraut der Darstellung, es habe neben der Parteipresse eine „zwischen den Zeilen“ widerständige gegeben.

Dass sich „manche der Journalisten“ im Dritten Reich bemüht hätten, „abweichende Meinungen und eine differenzierte Ausdrucksweise in die Texte gleichsam einzuschmuggeln“, nennt der Historiker Clemens Zimmermann dagegen für „hinlänglich belegt“. Aber weder Ausstellung noch Katalog legen für diese Behauptung einen Beweis vor. Die SA-Erbsenzählerei kann jedenfalls nicht ernsthaft als Beleg für Widerstand an der Schreibmaschine akzeptiert werden.

Missglückt auch der zweite Beleg für das „Schreiben zwischen den Zeilen“: Nachdem die deutsche Presse auf Anweisung von Reichspressechef Otto Dietrich im September 1942 berichtet hatte, dass der Fall von Stalingrad unmittelbar bevorstehe, mussten die Zeitungen später auf Goebbels’ Befehl zurückrudern: Bald bestand „Gefahr für unsere Truppen“, dem folgten „schwere Abwehrkämpfe“, schließlich sahen sich die deutschen Truppen „von allen Seiten“ angegriffen. „Für einen geübten Zeitungsleser“, so schreibt Peter Longerich im genannten Begleitband, „war es jedoch keineswegs schwierig, die Wahrheit zwischen den Zeilen zu lesen.“

Das mag zutreffen; aber dieses Beispiel zeigt keinesfalls, dass Journalisten die Artikel bewusst so formuliert hätten, dass die Leser die Zensur erkennen konnten. Die Schriftleiter folgten einer verpflichtenden Sprachregelung. Oder saß der Widerstand etwa im Propagandaministerium selbst?

Journalisten als Sprachrohr der Propaganda

Die Wahrheit über die deutsche Presse und ihre Vertreter im NS-Staat unterscheidet sich leider nicht von der anderer Berufsgruppen, deren herausragende Köpfe Journalisten nach 1945 gern der Kollaboration bezichtigten: Beamte, Richter, Ärzte. Selbstverständlich gab es auch unter Zeitungsleuten kritische Köpfe, die das Reich verließen, nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten duften oder sich „freiwillig“ zurückzogen, weil sie nicht Teil des Unterdrückungsapparats werden wollten. Unter Journalisten waren Hermann Schwerdtfeger und Ernst Haenisch solche Figuren, die sich von 1933 an als Bienenzüchter oder Chauffeur und Buchhalter über die Jahre retteten.

Sie erhielten nach 1945 von den Amerikanern Lizenzen für die Heilbronner Stimme beziehungsweise das Oberbayerische Volksblatt in Rosenheim. Wer aber unter Nazi-Führung auf seinem Posten blieb, wer gar dank des Ausscheidens jüdischer oder kommunistischer Kollegen aufstieg, wurde als Journalist ein Rädchen in der Propagandamaschine. Und so trugen auch sie, so schreibt Judith Prokasky, Kuratorin der Ausstellung, im Katalog, „entscheidend zur Stabilisierung“ der Diktatur bei.

Über die „Frage zwischen Bleiben und Gehen“ haben schon der Schriftsteller Uwe Johnson und die Journalistin Margret Boveri lange diskutiert – in den von Johnson herausgegebenen „Verzweigungen“ lässt sich das nachlesen. Boveri veröffentlichte in der von Propagandaminister Goebbels gegründeten Wochenzeitung Das Reich bis zur letzten Ausgabe. Am 22. April 1945 schrieb sie dort über den US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt. Wo, so fragte sie, liegen die Wurzeln des Hasses auf Deutschland? Boveri suchte in Roosevelts Familiengeschichte.

Was Boveri ausgrub, war kein Geheimnis, aber brauchbar: Roosevelts Vater sei Opiumschmuggler gewesen, die Mutter trage den Vornamen Sara, als Kind habe Roosevelt häufig an der Kopfgrippe gelitten. Der Rest des Schmierstücks ist noch unappetitlicher. In derselben Ausgabe rief Goebbels in einem Leitartikel zum „Widerstand um jeden Preis“ auf.

Was bleibt, ist Anpassungsbereitschaft

Der Journalist Karl Silex behauptet in seiner Autobiografie einen „Journalismus auf Schleichwegen“. Er will versucht haben, einen „anständigen“ Journalismus zu bewahren. Als deutsche Soldaten 1941 tief in die Sowjetunion eindrangen, zählte Silex in der DAZ die Gefallenen des Gegners und fragte besorgt: „Wo kamen diese Massen an Menschen und Material nur immer wieder her? Wer hätte sich da noch ausmalen mögen, was uns allen geschehen wäre, wenn dieser Kriegsmaschinerie Zeit gelassen worden wäre, die Vorbereitungen für den Überfall fortzusetzen, […] um dann nach ihrem Plan über uns herzubrechen. (?) Mit der Härte dieser Kämpfe wuchs das Bewusstsein von der Größe der Gefahr, der der Führer am 22. Juni zuvorkam. Unendliche Dankbarkeit gebührt ihm dafür.“

Karl Silex und zahlreiche andere setzten ihre Karrieren nach 1945 fort. Kaum eine der 120 Lizenzzeitungen in den drei Westzonen blieb ohne Personal mit Nazi-Erfahrung. Das Recycling gelang gut, die bewährten Kräfte bewiesen erstaunliche Anpassungsbereitschaft. Vielleicht sollten wir von Journalisten nicht mehr als durchschnittliche Standhaftigkeit erwarten. Gustav Freytag wusste das lange vor 1933. Er ließ seinen „Helden“ im Theaterstück „Die Journalisten“ sagen: „Ich habe bei dem Blumenberg gelernt, in allen Richtungen zu schreiben. Ich habe geschrieben links und wieder rechts. Ich kann schreiben nach jeder Richtung.“

Die Ausstellung: „Zwischen den Zeilen? Zeitungspresse als NS-Machtinstrument“. Bis 20. 10. 2013 in Berlin, im Auditorium der „Topografie des Terrors“

Der Autor: Peter Köpf veröffentlichte 1995 das Buch: „Schreiben nach jeder Richtung. Goebbels-Propagandisten in der westdeutschen Nachkriegspresse“ bei Ch. Links

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2 Kommentare

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  • C
    Cometh

    Richtiger wäre:

     

    "Vielleicht sollten wir von anderen nicht mehr als die eigene Standhaftigkeit einfordern."

     

    Dann wäre aber beschämte Ruhe im Wald und so manche Zeitung würde nur noch Kochrezepte veröffentlichen.... Es ist das Geschäftsmodell der Journalistik zu verkürzen und zu verknappen.

     

    Schade ist, dass bei all der Aufschreierei die tatsächlich Schlimmen, die nur verarschen und ausbeuten, und dazu zähle ich u.a. auch den lustigen Gregor, die Erbprinzessin Sarah und den Multimillionär Steinbrück mühelos davonkommen.

  • T
    Tom

    "Vielleicht sollten wir von Journalisten nicht mehr als durchschnittliche Standhaftigkeit erwarten."

     

    Wer käme denn auf die Idee? Teile der Journaille sollten eventuell mal ihre Flughöhe überprüfen. Wer in letzter Zeit vielleicht mal eines der ehemaligen Nachrichtenmagazine oder jemals eine Tageszeitung im tiefschwarzen Teil Bayerns aufgeschlagen hat, käme kaum auf die Idee die Worte "Journalist" und "Standhaftigkeit" im selben Atemzug zu gebrauchen.