: Die Geschäfte entwickeln sich im Krisengebiet
Im Irak geht es drunter und drüber. Dennoch engagieren sich auch Berliner Firmen. Die einen frischen alte Kontakte auf und liefern Stromaggregate. Andere knüpfen geschützt durch Bodyguards und gepanzerte Limousinen neue Beziehungen vor Ort, oder sie schulen irakische Fachkräfte in Berlin
von Sebastian Krüger
Terror, Kriminalität und Entführungen sind düsterer irakischer Alltag. Trotzdem engagiert sich die deutsche Industrie beim Wiederaufbau. „Der Irak verfügt zwar über eigene Ressourcen“, sagt Jochen Clausnitzer, Referatsleiter Nah- und Mittelost beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag, „doch langfristig ist das Land auf internationale Hilfe angewiesen.“ Mit anderen Worten: Gute Geschäfte stehen in Aussicht – auch für Berliner Mittelstandsunternehmen.
Das Berliner Unternehmen mit der größten Irakerfahrung ist Heinkel Umwelttechnik in Reinickendorf. Sein Chef ist ein Musterbeispiel für Mittelstandsmanager: Ein Mann um die 50, dunkler Anzug, kerniger Blick. Seine Name: Axel Kraft. Im Konferenzzimmer hängt der schematische Aufriss eines Propellerflugzeugs – seine Wurzeln hat das Unternehmen im Flugzeugbau: Die Heinkelmaschine He 111 war der Standardbomber der deutschen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg.
Heute produziert Heinkel ausschließlich zivil: unverwüstliche Minikraftwerke zur Stromherstellung. In Deutschland stehen die Aggregate in den Kellern vieler Gebäude bereit, um bei Stromausfall sofort loszusurren. In Bagdad, wo der Strom 18 Stunden am Tag ausfällt, surren sie nonstop: in Krankenhäusern, Schulen oder Verwaltungsgebäuden.
Heinkel-Strom ist schon lange im Nahen und Mittleren Osten präsent, die Berliner Aggregate sorgen überall in der arabischen Welt für Elektrizität. Auch im Irak wurden glänzende Geschäfte gemacht, bezahlt aus dem Oil-for- Food-Programm – unter strenger Aufsicht des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, wie Axel Kraft betont. „Das war unproblematisch und vor allem sicher“, erinnert er sich. Doch nach dem Einmarsch der US-Armee war Schluss: „Uns sind Aufträge in Höhe von 40 Millionen Euro entgangen – die Verträge waren bereits unterschrieben!“
Jetzt werden mühsam alte Kontakte aufgefrischt und neue geknüpft. Besonders stolz macht Axel Kraft, dass Anfang 2005 die Deutsche Botschaft in Bagdad mit einem seiner Aggregate ausgerüstet wurde, mit Hilfe lokaler Fachkräfte. Berliner sind nicht vor Ort, der Manager hebt beide Hände, als fühle er sich selbst bedroht. Zwar engagiert er sich vor allem im kurdischen Norden des Irak, wo die Sicherheitslage bislang weniger prekär zu sein schien. Doch die deutsche Archäologin Susanne Osthoff wurde in der Nähe des nordirakischen Erbil entführt. Axel Kraft macht schon seit Kriegsausbruch einen großen Bogen um das Zweistromland. Er besucht allenfalls Messen in Kuwait oder Dubai.
Arndt Fritsche dagegen liebt das Risiko. Blondes Kurzhaar, darunter ein freundliches Gesicht, aus dem beigefarbenen Pullover guckt ein artiger Hemdkragen. Nur dass er Kette raucht, trübt die Erscheinung, die auch ein wohlbestallter Jurist abgeben könnte. Fritsche ist ein Pionier. Als Chef der Agentur „Capital Executive Consulting“ beackert er persönlich das von Bomben zerfurchte irakische Feld für die deutsche Industrie. Neunmal war der 38-Jährige in diesem Jahr schon in Bagdad. Auch durch die Entführung der Archäologin lässt er sich nicht beirren: Fritsches nächste Reise nach Bagdad soll in wenigen Tagen beginnen.
Für den Transfer vom Flughafen zum Hotel mietet sich der Berliner eine schwer bewaffnete Söldnertruppe: 2.000 Dollar pro Nase kostet die teuerste Taxifahrt der Welt im gepanzerten Konvoi. Aus dem Heck des letzten Jeeps ragt ein 40-Millimeter-MG. „Nähert sich ein Auto auf unter 100 Meter, bekommt es eine Salve in den Motorblock. Fährt das Auto weiter, nehmen es die Jungs ganz unter Feuer.“ Fritsche wirkt ruhig, raucht und redet, als ob er einen Actionfilm nacherzählt.
Durch die Stadt am Tigris jagt er in einer dunklen Limousine. „Geschwindigkeit kann Leben retten“, sagt Fritsche zwischen zwei Zigarettenzügen. In Bagdad hat er stets eine Marakow-Pistole dabei. „Nützt zwar nichts bei einem Anschlag, trotzdem fühle ich mich sicherer.“ So hechtet er von einem Hochsicherheitstrakt zum nächsten, knüpft Kontakte, pflegt Beziehungen, schließt Verträge. Angeblich haben sich schon 17.000 irakische Fach- und Führungskräfte bei seiner Consulting-Agentur registriert. Damit verfügt er über die größte Liste dieser Art überhaupt – das macht Fritsches Agentur zu einem begehrten Ansprechpartner für deutsche und internationale Unternehmen. Sein Antrieb für dieses höllische Engagement: das König-Midas-Prinzip: „Der Irak ist eine Goldgrube. Dort klappt alles, wirklich alles. Ich habe noch nie so viel Erfolg gehabt! Eine Branche besonders hervorzuheben, wäre ungerecht. Telekommunikation, Krankenhaustechnik, Konsumgüter – alles läuft bestens.“
Khalid Kallow steht Direktinvestitionen im Irak skeptisch gegenüber. Der gebürtige Iraker ist Chef von TeCNet, einer Telekommunikationsfirma, die im High-Tech-Park Adlershof ansässig ist. Nach dem Krieg hat er irakische Zementfabriken mit moderner Kommunikationstechnologie ausgerüstet – sein Beitrag zum Wiederaufbau seiner Heimat. Doch dass deren Wiederaufbau schnell vorangehen könnte, hält er für eine Illusion: „Im Irak herrscht Chaos und Anarchie, was heute aufgebaut wird, ist morgen zerstört.“
Inzwischen setzt er statt dessen auf Nachhaltigkeit und engagiert sich in der seit September laufenden „Ausbildungsinitiative Irak“, die finanziell von der Bundesregierung unterstützt wird. Bislang sind sechs deutsche Firmen daran beteiligt. Irakische Fachkräfte werden nach Deutschland eingeladen. Unternehmen, die wieder oder erstmals in den irakischen Markt einsteigen wollen, machen sie mit der neuesten Technik vertraut. Die Bundesregierung finanziert die Flüge der Iraker, deren Versicherung und einen Englischkurs. Unterkunft und Ausbildung vor Ort tragen die hiesigen Unternehmen. TeCNet hat in diesem Jahr zwölf irakische Ingenieure weitergebildet.
„Daraus ergeben sich oft langfristige Kooperationen“, sagt DIHK-Referent Clausnitzer. Aber er schätzt auch das Engagement von Geschäftsleuten wie Axel Kraft und Arndt Fritsche. „Unsere irakischen Partner beobachten sehr genau, wer sich jetzt, in dieser prekären Sicherheitslage, für das geschundene Land engagiert.“ Vor Arndt Fritsches risikoreichen Bagdad-Reisen hat er großen Respekt. „Durch seine persönliche Präsenz zeigt er seinen Verhandlungspartnern, dass er es ernst meint. Das schätzt man dort sehr.“
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