Ordnungdienst vs. Obdachlose: Vertreibung im Dunkeln
Der Bezirkliche Ordnungsdienst verscheucht eine bulgarische Familie mit Kindern von der Alster, die dort im Zelt übernachten wollte.
Bestimmt kein Einzelfall, doch diesmal gibt es Zeugen: Der Bezirkliche Ordnungsdienst (BOD) des Bezirksamtes Mitte hat am Mittwochabend nach Einbruch der Dunkelheit eine obdachlose bulgarische Familie mit Kindern an der Alster vertrieben. Sie wollten neben der Kennedybrücke in einem Zelt übernachten, dort standen auch andere Zelte. Die BOD-Männer verlangten von der Familie per Platzverweis, das Terrain zu verlassen.
Augenzeuge des Vorfalls ist auch Sascha geworden, Verkäufer des Straßenmagazins Hinz&Kunzt, der selbst unter der Kennedybrücke „auf Platte geht“, also dort übernachtet. „Die vom Ordnungsdienst haben gesagt, wenn die Familie nicht verschwindet, würden sie das Zelt selber abreißen und ihr die Kinder wegnehmen“, berichtet Sascha bei Hinz&Kunzt-Online, Er hatte die Familie schon zuvor kennengelernt. Die Familie hätte sich sehr gut um die Kinder gekümmert. Nach dem Vorfall und dem Abbau des Zeltes seien die drei Erwachsenen verschwunden, während die Kinder mit der Großmutter in einem kleinen Behelfszelt unter der Kennedybrücke übernachten mussten. Eine Alternative für die Familie habe der BOD zuvor nicht aufgezeigt.
Die Vertreibung von Obdachlosen aus Öffentlichen Räumen und dem Stadtbild hat Tradition - zumindest an touristischen Knotenpunkten:
Der Zaun: Um Obdachlose und übernachtende Punks von der Kersten-Miles-Brücke nahe den touristischen Landungsbrücken fernzuhalten, ließ der damalige SPD-Bezirksamtsleiter Markus Schreiber im September 2011 einen Zaun bauen. Nach heftigen Protesten musste das 18.000 Euro Teil wieder demontiert werden.
Das Hausrecht: Um die Obdachlosen und Trinker vom Bahnhofsvorplatz zu vertreiben, den Touristen auf dem Weg in die Hotels queren, hat der SPD-Senat am Hauptbahnhof das Hausrecht der Bahn-Security übertragen. Die kann jetzt Menschen unten den Vordächern mit Platzverweisen wegschicken.
Bezirksamtssprecher Norman Cordes räumt ein, dass die abendliche Vertreibung „sicherlich nicht human“ gewesen sei. Die BOD-Mitarbeiter wären wohl gerade auf Streifengang gewesen, als sie die Familien angetroffenen hätten. Dann sei die Situation aus dem Ruder gelaufen, so dass die Polizei kommen musste, sagt Cordes. Er gibt aber zu bedenken, dass es zu dieser Situation eine Vorgeschichte gibt. Der BOD habe die Familie mit ihrem Familienzelt bereits am Freitag angetroffen und aufgefordert, sich aus dem öffentlich sichtbaren Bereich zu entfernen und unter die Brücke zu ziehen, wo jedoch kein Platz mehr ist. „Grundsätzlich ist das Übernachten in Parkanlagen nicht erlaubt und schon gar nicht mit Zelten“, sagt Cordes. Es solle aber kein Präzedenzfalls geschaffen werden. Unter der Kennedybrücke würde das Campieren von Obdachlosen allerdings geduldet. Böse Zungen behaupten, das Ganze diene dazu, dem Tourismus-Standort Hamburg das Image einer sauberen und intakten Stadt zu verpassen. „Man kennt das: Aus den Augen, aus dem Sinn“, sagt der Obdachlose Sascha.
Für Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer bleibt der Vorgang immer noch ungeheuerlich. „Es kann nicht angehen, eine Familie in der Nacht ohne Alternative wegzuschicken – die Familie ist in einer Notlage in der Parkanlage gelandet“, sagt Karrenbauer. Man könne javielleicht sagen, dass sie tagsüber von der Fläche, die man von der S-Bahn aus einsehen kann, weg müssten, „dann müsste ihnen aber eine Alternative aufgezeigt werden“, verlangt Karrenbauer.
Es müsse einfach zur Kenntnis genommen werden, dass es immer mehr Familien gebe, die auf der Straßen leben, erläutert Karrenbauer. Und auch die verschiedenen BODs registrierten, dass immer mehr Osteuropäer im Freien übernachten. „Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass Familien auf der Straße leben“, warnt Karrenbauer. „Alle Obdachlosen müssen das Recht auf eine Unterkunft haben.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des FInanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen
Kränkelnde Wirtschaft
Gegen die Stagnation gibt es schlechte und gute Therapien