Highlight Veneto: „Made in Italy“?
Die Leder verarbeitende Industrie: eine Kernmarke Italiens. Sie stand immer für Erfahrung, hohe Qualität, modische Kreativität. Was blieb davon?
Eine hastige Bewegung fährt durch die Gruppe. Auf dem Boden ausgebreitete Tücher werden zusammengerafft, Handtaschen und Geldbörsen in Sporttaschen gestopft. Kontrollgang der Finanzpolizei. Die Straßenhändler entschwinden mit ihren Bündeln in alle Richtungen, der kleine Platz an der Strada Nuova wirkt plötzlich verlassen, obwohl Touristen und Einheimische weiter ihrem Tagesgeschäft nachgehen.
Auf Venedigs Straßen sind es in der Regel afrikanische Händler, die gefälschte Taschen der Nobelmarken anbieten. In den Geschäften verkaufen dagegen oft Chinesen venezianische Masken, Muranoglas oder Lederwaren. Ob Straße oder Laden, das meiste der feilgebotenen Artikel ist made in China, auch wenn „Made in Italy“ draufsteht.
Manche Geschäfte werben sogar damit, dass sie „garantiert keine in China hergestellten Produkte“ verkaufen. Doch längst haben die Chinesen, längst hat die Globalisierung Venedig und andere Teile Italiens im Griff. Und es trägt selbst dazu bei.
Vicenza: Rundgang zu den Häusern und Werken Andrea Palladios in Begleitung von Dottore Attilio Pollini, einem pensionierten Ingenieur, der historisch versiert ist und hervorragend Deutsch spricht. info@vicenzae.org
Maser: Enrico Tirindelli bietet Fahrradtouren zu den Palladio-Villen in Elmo und Maser an: www.tosee.it Der Agriturismo SantAndrea in Maser hat Zimmer und eine Cantina mit Prosecco-Weinen.
San Vito dAltivole: In dem Dorf hat sich der italienische Architekt Carlo Scarpa zwischen Dorffriedhof und der Grabstätte der Industriellenfamilie Brionein eigenes Grab- und Denkmal gesetzt. Scarpa hat auch den Erweiterungsbau der Gipsoteca des Bildhauers Canova in Possagno verantwortet, der wiederum Klassizismus mit klassischer Moderne zusammenbringt.
Die Reise wurde unterstützt vom Consorzio turistico diVicenza (www.vicenzae.org) sowie des Consorzio turistico della Marca Treviso (www.marcatreviso.it).
Chinesische Läden zur Geldwäsche
Etwa 20 Prozent der venezianischen Geschäfte dürften sich in chinesischer Hand befinden, schätzt Roberto Zuttion, der nahe der Piazza San Marco das Lederwarengeschäft Kalimala betreibt. Bei ihm findet man keine eleganten Pumps, sondern flache Schuhe, solide gearbeitet.
Die Läden der Chinesen dienten vorwiegend der Geldwäsche, meint er, denn die 4.000 bis 5.000 Euro Miete, die ein kleiner Laden im Durchschnitt monatlich koste, könnten sich sonst gar nicht amortisieren. Nach Farben und Größen sortiert liegen sie dort: Handschuhe oder Handtaschen, mehr oder weniger gleichen Zuschnitts, in Orange, Grün, Blau, große Taschen, kleine Taschen, Handyetui oder Geldbörse farblich passend dazu. Ein Überangebot, billig und von Laden zu Laden gleich.
„Es wurde in der Vergangenheit viel zu wenig für den Schutz des Labels ,Made in Italy‘ getan“, sagt Zuttion. Er gehört zu den Venezianern, die dem Ausverkauf der Stadt etwas entgegensetzen wollen und sich im Kulturzirkel ARCI engagiert. Er ist ein Handwerker neuen Typs, gut ausgebildet, gut vernetzt.
Auch die großen Firmen und Namen hätten das Spiel mitgespielt. Sie lassen in großen Teilen in Asien produzieren. „Es reicht, am Ende in Italien den Henkel oder das Label anzubringen, dann darfst du deine Tasche als ’Made in Italy‘ bezeichnen“, erklärt Zuttion. Inzwischen gebe es zwar Kontrollen der Finanzpolizei, „aber die kontrollieren ja nur die armen Straßenverkäufer“.
Trotzdem. Roberto Zuttion, der das Lederhandwerk an der berühmten Scuola del Cuoio in Florenz gelernt hat, kommt mit seinem Laden über die Runden. „In Venedig haben wir ja Glück, hier kann man wenigstens noch etwas machen“, sagt auch Anna Gerotto, eine Venezianerin, die gerade mit Venicefactory.com einen Internethandel für lokal hergestelltes Kunsthandwerk auf die Beine zu stellen versucht. Das Glück – das sind die Russen, die Chinesen, die Koreaner, die nach Venedig kommen, Geld haben und ausgeben. „In den Dörfern und Städten der Umgebung bricht dagegen alles zusammen“, sagt Gerotto. Gerade weil es in Italien traditionell viele kleine Familienunternehmen gebe, „diese Struktur trägt nicht mehr, ganze Branchen brechen weg“.
Venetien Zentrum der Lederverarbeitung
Italiens Lederfabrikation ist weltberühmt. Taschen, Schuhe, italienischer Schick. Neben der Toskana ist Venetien das Zentrum der Lederverarbeitung. 20 Millionen Touristen kommen im Jahr nach Venedig, doch nur ein Bruchteil davon steigt an der Stazione Santa Lucia in einen Regionalzug, um für lächerlich wenig Geld nach Treviso oder Vicenza zu fahren. Ein beachtliches Gefälle zwischen der Stadt Venedig und ihrem Hinterland, der Region Veneto mit ihren sieben Provinzen.
Während an der Riviera del Brenta, einer weiteren Provinz Venetiens, seit Dogen Gedenken Damen- und Herrenschuhe hergestellt werden, geht es im Städtchen Montebelluno in der Provinz Treviso rustikal zu. Bergstiefel, Wander- und Sportschuhe sind das Markenzeichen der Region. Und das Mekka der Sportwelt außerdem, denn mittlerweile werden hier auch Skier und Skischuhe produziert. Eine kleine Erfolgsgeschichte, die mit Leder begann und sich längst davon gelöst hat.
„Schuhe waren eine Anschaffung fürs Leben“, erklärt Aldo Durante, der seit 1984 das Museo dello Scarpone e della Calzatura Sportiva leitet. Das Museum, in einer Villa auf einem Hügel außerhalb von Montebelluna untergebracht, zeugt vom bäuerlichen Ursprung der Schuhe und des Schuhmacherhandwerks. Modelle, die schwer am Menschen gehangen haben dürften; Utensilien des Schuhmacherhandwerks; auch der Übergang vom Leder zum Plastik in der Welt des Sportschuhs wird gebührend gewürdigt. „Plastik lebt“, sagt Durante und zeigt auf die zerbröselte Sohle eines Laufschuhs aus den 70er Jahren. „Leder dagegen stabilisiert sich. Schuhe aus Leder sind auch in 20 Jahren noch da.“
Die Villen von Andrea Palladio
Die Skischuhe, die das Unternehmen Nordica herstellt, kommen heute ganz ohne Leder aus. „Es gab zur richtigen Zeit eine Intuition des Wandels“, stellt Marketingchef Antonio Lauro rückblickend fest, früh erkannte man, dass der Sport- und Outdoorsektor ein wachsender Markt war. Mittlerweile gehören zur Unternehmensgruppe Tecnica nicht nur Nordica und Dolomite, sondern auch international bekannte Namen wie Bladerunner, Moon Boot und Lowa. Neben der Schuhfirma Geoxx ist Tecnica der größte Arbeitgeber der Region. Seine Ski- und Wanderschuhe lässt das Unternehmen in Osteuropa produzieren, nur Soft- und Fitnessschuhe werden in Asien hergestellt.
„Vor 20 Jahren waren wir die Schweiz Italiens“, sagt Enrico Tirindelli. Vom großen Boom in Venetien zeugen hier und da protzige Neubauten, die den Übergang von der Stadt aufs Land verunstalten. Der Mittdreißiger hat sich als Natur- und Wanderführer der Provinz Treviso selbstständig gemacht. „Hier gibt es noch viel zu entdecken“, sagt er. „Wir haben alle Zutaten, man muss sie nur zusammenbringen.“ Das hügelige Land ist grün, hier wächst der berühmte rote Radicchio von Treviso, ist die Prosecco-Rebe Glera zu Hause.
Tirindelli bietet Radtouren zu den Villen Andrea Palladios an. Die Bauten des Renaissance-Architekten thronen in der Landschaft, als seien sie einem Renaissance-Gemälde entsprungen. Die Villen, die Palladio den Patrizierfamilien entwarf, waren Landsitz und Wirtschaftsbetrieb, repräsentativ und funktional: Vom Hauptgebäude aus gehen Fenster in alle Himmelsrichtungen, sodass sich einerseits die Landschaft bewundern und andererseits die links und rechts abgehenden flacheren Wirtschaftstrakte mit der Arbeiterschaft beaufsichtigen ließen.
Andrea Palladio hat Dutzende dieser Privathäuser entworfen, die meisten stehen in den Veneto-Provinzen Brenta, Treviso und Vicenza. Vicenza ist die Stadt Palladios, hier hat er lange gelebt, viel gebaut. Die dominante Basilica an der großen Piazza; Stadthäuser, das Teatro Olimpico.
In der Altstadt liegt das Büro des Designers Cleto Munari. Seit Kurzem entwirft auch er Handtaschen – „ein interessanter Markt“, meint er. „Ich entwerfe ohne Rücksicht auf den Markt, ich bin eh an der Grenze zur Kunst“, sagt der jugendlich wirkende 82-Jährige, der eine geblümte Samthose und eine auffällige Brille zu seinen kurzen weißen Haaren trägt. Sein Markenzeichen sind geografische Muster à la Mondrian, bei seinen Handtaschen ist es die Schnalle, ein Auge. „Das Wichtigste sind die Details“, sagt Munari. Heutzutage sei eine Handtasche ein Statussymbol. „Frauen geben dafür richtig Geld aus“, sagt Munari.
Zukunft im Luxussegment
Er schätzt die lokale Tradition des italienischen Lederhandwerks. Die Besten der Besten, sagt er. Die großen Firmen ließen hier produzieren, „weil es Techniken gibt, die man woanders nicht kennt“. Als verhielte es sich heute nicht umgekehrt, als ließen die großen Firmen nicht in Übersee produzieren, weil es dort viel billiger ist. Es sei denn, man besetzt – wie Cleto Munari – den Luxussektor.
Auch die Geschwister – Fratelli – Nuti haben sich in diesem Segment spezialisiert. In einem Vorort von Vicenza haben Ilaria und Federico Nuti ihr Outlet und Büro. Die Firma stammt noch vom Großvater. Heute gibt es keine Angestellten mehr. Die Geschwister arbeiten mit kleinen lokalen Handwerksbetrieben zusammen. Davon gibt es immer weniger. „Die Leidenschaft schwindet“, sagt Ilaria Nuti.
Seit 2005 macht sie mit ihrem Bruder ihre „eigene Sache“, ganz ohne Hilfe – „das Internet hilft“. „Wir haben eine Nische besetzt: Luxus“, sagt die dunkelhaarige Frau, die selbst wie ein edles Geschöpf aussieht. Fratelli Nuti arbeiten ausschließlich mit exotischen Materialien: Kroko, Strauß, Leguan und Python. Selbst im Outlet kostet eine Nuti-Tasche immer noch stolze 1.700 Euro. „Auch im Trainingsanzug muss sich eine Frau mit einer Handtasche gut angezogen fühlen“, gibt Ilaria Nuti zu bedenken.
Die Häute kommen aus aller Welt
Fratelli Nuti ist ein hochklassiger Zweileutebetrieb, der auf Exklusivität setzt. Oscar Sport in Montebelluna ist das popelige Gegenteil, einer dieser kleinen Betriebe, deren mögliches Verschwinden Ilaria Nuti so bedauert. Früher gab es dort 800 kleiner Betriebe (jetzt sind es noch 300), die auf Leder und Lederverarbeitung spezialisiert waren. Oscar Sport stellt Fellschuhe her, im Büro steht das Modell „Dopo-Ski“ (Après-Ski“), das in Osteuropa sicher gut ankäme und etwas aus der Zeit gefallen wirkt. Nicht ganz: Kate Middleton führte in diesem Frühjahr das Oscar-Modell Giada aus.
Oscar Breda hat das Geschäft vom Vater Franco übernommen; der Alte schneidet zu, der Jüngere sucht bei den Gerbern die Felle aus. „Mein Vater hat zu viel Mitleid“, sagt Oscar Breda, „wir wollen ja so wenig wie möglich wegschmeißen.“ Jedes Fell besitzt eine andere Färbung, einen anderen Strich. Franco Breda sitzt da, in der Werkhalle bei den Arbeitern, die wie er alles von Hand machen. Zuschneiden, nähen, pressen, kleben. 22 Angestellte hat die Firma noch, früher waren es mal an die 60.
Die Qualität des Leders steht und fällt mit der Gerberei, sagen die Bredas. Arzignano, etwa 20 Kilometer außerhalb von Vicenza, ist der historische Gerberdistrikt Venetiens. Etwa 90 Prozent der italienischen Produktion findet hier statt – 482 Gerbereien gibt es in der Region. Ein Handwerk mit Industriecharakter, und ein dreckiges und stinkendes noch dazu. Eins der größten Unternehmen ist die Rino-Mastrotto-Gruppe.
Die Häute kämen aus aller Welt, erklärt Manager Albert Atrofini bei einer Werksführung, die besten stammten aber aus Europa und die schönsten aus dem Piemont.
Nach ihrer Ankunft werden die Rohhäute mit Chromsalz gewaschen – dadurch nehmen sie eine bläuliche Färbung an. Je nach Verwendungszweck wird es entsprechend behandelt, gefärbt, imprägniert. Naturfarben? „Es gibt nur natürliche Effekte“, sagt Atrofini. Die Tannine seien zu teuer. „Aber man kann alles imitieren. Je natürlicher das Leder aussieht, umso empfindlicher ist es und desto haltbarer muss ich es machen.“
Marktführer in der Lederbranche ist weltweit längst China, auch wenn Italien mit etwa 60 Prozent Marktanteil EU-intern führt. Wer in diesen Zeiten überleben will, setzt auf Luxus oder gute Handarbeit. Wie Paolo Brocca. Ein Einzelgänger, Handwerker alten Schlags. Seit vierzig Jahren führt er die Bottega Artigianale di Pelleteria e Rettile im Corso Fogazzaro in Vicenza. „Es gibt kaum noch solche wie mich“, sagt er. Die Preise seiner Handtaschen verhandelt Paolo Brocca. „Ich arrangier mich“, sagt er sibyllinisch. Zwischen 100 und 200 Euro kosten seine Taschen, schlichte Stücke, mehr Handwerk als Kunst. Sein Laden ist zugleich sein Atelier. „Dort sind meine Leder“, sagt er, „und dort meine Maschine. Das ist alles, was ich brauche. Es gibt kein Geheimnis.“ Und bald keine Läden mehr wie die von Signore Brocca.
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