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Kommentar Syrische FlüchtlingeDeutschland muss nur wollen

Ines Kappert
Kommentar von Ines Kappert

Als eine Art Pausenfüller kocht nun bis zum von den USA angeführten Angriff auf Syrien die Flüchtlingsdebatte in Europa hoch. Endlich!

Auch für sie wäre in Deutschland noch Platz: Syrische Flüchtlinge im Irak. Bild: ap

N och vor wenigen Wochen wollte keiner mehr über Syrien reden. Die meisten MeinungsmacherInnen ließen das Land im „Bürgerkrieg“ versinken. Doch dann kamen die Bilder von den Chemiewaffenopfern, und die allgemeine Hartherzigkeit wich einer gewissen Betroffenheit. Assad müsse bestraft werden.

Dass er den Westen als Hüter der Menschenrechte und der roten Linien des US-Präsidenten so gar nicht ernst nahm, das störte dann doch. Ein begrenzter Militärschlag galt und gilt als sicher. Aber da der Zeitpunkt noch unklar ist, kocht nun als eine Art Pausenfüller die Flüchtlingsdebatte hoch. Endlich.

Rund sechs Millionen Syrer sind laut UNO auf der Flucht, etwa zwei Millionen konnten das Land verlassen, darunter knapp eine Million Kinder. Letzteren Islamismus zu unterstellen und mit diesem Argument jede Hilfe zu verweigern fällt dann doch schwer. Folglich ist seit einigen Tagen von der „größten humanitären Katastrophe“ im 21. Jahrhundert die Rede.

Und was macht das reiche Deutschland? Wenig, und das heißt: zu wenig. Die bereits gestellten rund 15.000 Asylanträge von SyrerInnen bescheidet es grob gesagt positiv und wird außerdem noch 5.000 Flüchtlinge für zwei Jahre aufnehmen.

8.000 neue Einwohner auf einen Streich

Angesichts der Not in Syrien und der Kapazitäten hierzulande sind diese Zahlen lächerlich gering. Doch der Bund kam mit ihnen gut durch die Öffentlichkeit. So brüstete er sich so ungeniert wie weitgehend ungestört, gemeinsam mit Schweden das EU-Land zu sein, das die meisten Syrer aufgenommen habe.

Just Schweden macht den Deutschen jetzt diesen guten Ruf wieder streitig. Das kleine Land erteilt allen bereits eingereisten SyrerInnen das Recht, so lange zu bleiben, wie sie wollen. Auf einen Streich akzeptiert man 8.000 neue EinwohnerInnen. Rechnet man diese Zahl auf die Einwohner hoch, dann müsste Deutschland rund 70.000 SyrerInnen aufnehmen. Umgehend. Davon sind wir hier Lichtjahre entfernt.

Trotzdem zeigt die aktuelle Entwicklung: Sobald die Medien aufhören, nur über Kriegsszenarien zu fabulieren und alle Rebellen unterschiedslos zu Islamisten zu erklären, wächst der Druck auf die Behörden, menschlicher zu handeln. Es ist schlicht Unfug zu behaupten, Deutschland könne leider gar nichts tun.

Jederzeit und ohne in Not zu geraten, kann es ein Drei- bis Vierfaches an syrischen Flüchtlingen aufnehmen und mit einer Arbeitsgenehmigung versehen. Das Land muss nur wollen.

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Ines Kappert
Gunda-Werner-Institut
leitet seit August 2015 das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung.   Mich interessiert, wer in unserer Gesellschaft ausgeschlossen und wer privilegiert wird - und mit welcher kollektiven Begründung.   Themenschwerpunkte: Feminismus, Männlichkeitsentwürfe, Syrien, Geflüchtete ,TV-Serien.   Promotion in Allgemeiner und Vergleichender Literaturwissenschaft zu: "Der Mann in der Krise - oder: Konservative Kapitalismuskritik im kulturellen Mainstream" (transcript 2008).   Seit 2010 Lehrauftrag an der Universität St. Gallen.
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8 Kommentare

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  • S
    Starost

    "Deutschland muss nur wollen."

     

    Deutschland muss überhaupt nichts.

  • GS
    Günter Scholmanns

    Wenn es ja nun nicht ausgerechnet Frau Kappert wäre, deren journalistische Integrität hier ständig von sehr, sehr vielen taz-Lesern angezweifelt wurde, die hier schon wieder, uns Integrität erwartende taz-Lesern präsentiert wird. Im Allgemeinen allerdings, ist jedem der Not anmeldet, jederzeit zu helfen. Eine von den Sachen, für die ich mit Selbstverständlichkeit Steuern zahle.

  • Z
    Zahlen

    Mit den Zahlen ist das so eine Sache. In Deutschland lebten Mitte 2013 rund 45.000 Syrer. 5.000 werden jetzt aufgenommen, Monat für Monat kommen gut 1.000 Asylbewerber dazu, über den Familiennachzug könnten es auch einige 1.000 werden (Nordrhein-Westfalen will 1.000 nehmen, Baden-Württemberg 500 etc.). Ende des Jahres werden dann knapp 60.000 Syrer in Deutschland sein, vielleicht auch mehr. Von den hochgerechneten 70.000 ist das nicht soooo weit weg. Und das reiche Deutschland zahlt dreistellige Millionenbeträge zur Unterstützung der Nachbarstaaten Syriens. Selbst der UNHCR hat die führende Rolle Deutschlands (und Schwedens!) bei der Hilfe für Syrien hervorgehoben (Pressemitteilung vom 18. Juli, einfach mal googeln).

  • K
    Kimme

    Die Flüchtlinge sind am besten in ihren Nachbarländern untergebracht, da hier die sprachliche und kulturelle Barriere zur Integration sehr niedrig ist.

    Der Versuch Menschen aus Kulturen, die mit einer völlig anderen Sozialisation und einem komplett unterschiedlichen Verhältnis zur Gleichberechtigung, Gewalt, Religion etc. aufgewachsen sind zu integrieren, wird zwangsläufig nach hinten losgehen. Deswegen sind sie bei den Nachbarstaaten wesentlich besser aufgehoben. Finanziell sollte man die aufnehmenden Nachbarländer aber ordentlich unterstützen.

     

    @Sahidic

    Menschen aus Jugoslawien sind den Nordeuropäern deutlich ähnlicher in Bezug auf Kultur und religiöser Tolleranz. Ihr Vergleich ist mehr als krumm.

     

    @Tibati und Michel

    Ihren Aussagen stimme ich zu.

  • T
    tibati

    Was kurzfristige Nothilfe angeht, da hat die Autorin recht. Wenn es aber letztlich um Einwanderung geht, sollte man endlich ein funktionierendes Integrationskonzept entwickeln. Ansonsten kann ich eine langfristige Aufnahme nicht befürworten. Wenn es nicht gerade um akute Flüchtlingsnot geht, dann hat das Thema durchaus auch andere Facetten (Kommunen, die nicht wissen, wie sie Wohnraum beschaffen sollen; die nicht wissen, wie sie die Krankenkosten diverser EU-Zuwanderer bezahlen sollen; abgehängte Jugendliche aus bildungsfernen Familien in erschreckender Zahl, die 2-3 jährige Bildungsrückstände schon am Ende der Grundschule haben, Überalterung, Staatschulden etc..). Wir sollten schon einigermaßen sichergehen, dass die kommenden Genartionen all unsere Großzügigkeit uns selbst und anderen gegenüber auch zahlen können.

  • S
    Sahidic

    Danke Frau Kappert für diesen Artikel!! Sie sprechen mir aus dem Herzen! Ich bemühe mich seit zwei Jahren immer wieder um die Aufnahme syrischer Flüchtlinge. Vergeblich! Die Botschaften in den Jordanien und Libanon bearbeiten Visas erst viele Monate später. Es ist einfach lächerlich, wie die Bundesregierung sich verhält. Im Jugoslawien-Krieg haben wir über 300.000 Kriegsflüchtlinge aufgenommen. Warum jetzt nicht?

  • M
    Michel

    Daß das Argument, die Rebellen seien oder sind Islamisten, ins Feld geführt würde, um keine (weiteren) Flüchtlinge aufzunehmen, ist mir neu. Von wem kommt es.

    Gleichwohl ist es Unsinn. Ob sie nun vor Asad flüchten oder vor den Terroristen ist einerlei. Sie flüchten vor Gewalt. Und wenn Asad erst gestürzt ist, werden noch weit mehr Menschen flüchten. Denn dann geht die Tragödie erst so richtig los.

  • G
    Gast

    Mein Gott, was geht es uns deutschen doch gut!

    Gebt den Menschen doch Asyl und helft ihnen!