Internationale Funkausstellung IFA: Wer konsumiert, muss sich nicht sorgen
Datenschutz, Geheimdienste, Verschlüsselung: Auf der Elektronikmesse im ICC spielt das alles keine Rolle. Die Besucher sind glücklich, solange die 3-D-Videowand nur groß genug ist.
Auf die Schlagwörter Datenschutz, Internetsicherheit und Überwachung antwortet die junge Frau im Info-Häuschen der Internationalen Funkausstellung (IFA) verdutzt: „Einen Stand oder Vorträge? Ich suche mal eben auf Google.“ Denn in ihrem System findet sie leider gar nichts.
„In der digitalen Welt funktioniert bis in die tägliche Kommunikation hinein kaum noch etwas ohne das Netz“, sagte Bürgermeister Klaus Wowereit der Nachrichtenagentur dpa am Donnerstag. Der Ausspähskandal um den US-Geheimdienst NSA mache aus seiner Sicht den Datenschutz zu einem wichtigen Thema der IFA. In den ICC-Messehallen dreht sich dagegen alles um Unterhaltung.
Die rund 1.500 Aussteller präsentieren Elektronik und Zubehör von Computeruhren über Solarheizungen bis hin zu als Bibel getarnten Handytaschen. Um die Besucher bei Laune zu halten, gibt es Gewinnspiele, Podiumsdiskussionen und die im Sommergarten singenden Sportfreunde Stiller. Die IFA ist eine Konsummesse, auf der die neuesten Attraktionen gezeigt werden, die demnächst im Laden zum Verkauf stehen. Stände, die mit erhobenem Zeigefinger über Produktionsbedingungen, Rohstoffknappheit oder Datenschutz informieren, gibt es nicht.
Nur Gunde Ziegelberger im knöchellangen Rock möchte aufklären. Mit einer wahrsagerähnlichen Kugel misst die Frau vom Bundesamt für Strahlenschutz die elektromagnetische Strahlung der Besucherhandys. Die sogenannte spezifische Absorptionsrate (SAR), die am Anfang eines Anrufs hochschnellt, bis die Verbindung steht, und dann abnimmt, liegt in ihren Messungen unter dem Grenzwert. Nur manche Handys, die zu oft heruntergefallen sind, regulieren die SAR nicht. Dann bleibe der Wert den ganzen Anruf über hoch, erklärt Ziegelberger.
Conrad Müller hört der Doktorin lange zu. Sorgen um die mögliche Langzeitwirkung der Strahlen macht sich der Besucher im Anzug jedoch nicht. „Da könnte man sich ja genauso ständig um BSE und Giftstoffe Gedanken machen. Da dürfte man ja gar nichts mehr.“
Auf der IFA geht es ums Verkaufen. 1924 eröffnete die erste Große Deutsche Funkausstellung Berlin mit 180.000 Gästen. Dieses Jahr werden an den sechs Messetagen bis Mittwoch rund doppelt so viele Besucher erwartet. Besonders beliebt sind die Errungenschaften der Fernsehgeräte: Die Zuschauer stapeln sich vor einer 3-D-Videowand. Mit Plastikbrillen starren sie auf die Werbefilmchen eines Elektronikkonzerns. Die große Attraktion ist jedoch die nächste Bildschirm-Generation: Ultra- statt nur High Definition (HD). Viermal so viele Bildpunkte sollen eine noch höhere Auflösung bringen. Allerdings funktioniert die Technik bisher nur für Kinofilme, denn die Fernsehsender produzieren höchstens in Standard-HD.
In der Haushaltsabteilung werden Tablet-PC und Smartphone zum Herrscher über Licht und Geräte des Hauses. Spezielle Schalter im Stromkabel verknüpfen die einzelnen Haushaltsgeräte mit einem Steuerungsserver. Eine Verbindung zum Internet reicht aus, um die Geräte via Smartphone zu bedienen. Das macht das System angreifbar, wenn es ein Hacker darauf abgesehen hat. Und wem das Handy mit der Steuerungs-App geklaut wird, verliert – wenigstens kurzzeitig – auch die Kontrolle über seinen Kühlschrank.
Am Stand der Firma, die die Technik vertreibt, reagiert ein Mitarbeiter auf das Thema Sicherheit pampig: „Die Menschen stellen ihr halbes Leben ins Internet, und dann beschweren sie sich, wenn jemand ihr Licht ausschaltet.“ Gesichert sei das Haushaltsnetzwerk auf dem Server durch ein Passwort, das sich der Benutzer selbst aussuchen kann „Wenn Karl sich das Passwort ’karl1‘ aussucht, ist er selbst schuld“, sagt der Anbieter.
Am Stand einer Antiviren-Softwarefirma fragen Besucher, wie sie sich nicht nur vor Hackerangriffen und Viren, sondern auch der NSA schützen können. „Man kann nichts dagegen tun“, antwortet der Mitarbeiter offen und ehrlich. „Dienste wie die NSA saugen sich die Daten an höheren Knotenpunkten.“ Auf Servern nämlich, wo Unternehmen wie Facebook und Google die Daten der Nutzer speichern.
Viele Besucher der Messe sind überzeugt, sowieso schon lange überwacht zu werden: „Das fängt beim Einkauf an, wenn man mit der Kunden- oder Payback-Karte zahlt“, sagt Julia Heine. Die Besucherin arbeitet im Marketing. „Jetzt sind die Menschen vielleicht kurz hochgeschreckt, aber auch das ebbt wieder ab.“
Zwar funktioniert in der „digitalen Welt“ die tägliche Kommunikation kaum noch ohne Netz, da hat Wowereit recht. Wer aber auf der IFA die Themen Datenschutz und Überwachung vermutet, der rechnet auf einer Spielemesse auch mit einem Stand über die pädagogischen Einflüsse von Ballerspielen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um Termin für Bundestagswahl
Vor März wird das nichts
Bewertung aus dem Bundesinnenministerium
Auch Hamas-Dreiecke nun verboten
SPD nach Ampel-Aus
It’s soziale Sicherheit, stupid
Einigung zwischen Union und SPD
Vorgezogene Neuwahlen am 23. Februar
Energiepläne der Union
Der die Windräder abbauen will
Wirbel um Berichterstattung in Amsterdam
Medien zeigen falsches Hetz-Video