Richtungsstreit bei den Liberalen: Alles Sozialisten außer Mutti
Wo soll's hingehen mit der FDP? Ihr voraussichtlich neuer Chef Christian Lindner will die Partei öffnen. Für Noch-Vize Holger Zastrow geht weiter nur ein Bündnis mit der CDU.
BERLIN dpa | Nach dem Ausscheiden der FDP aus dem Bundestag droht ein Streit über die zukünftige Ausrichtung der Partei. Der stellvertretende Bundesvorsitzende Holger Zastrow sprach sich gegen eine Öffnung der Partei für andere Koalitionspartner außer der Union aus. Dagegen schloss der voraussichtliche neue Bundesvorsitzende Christian Lindner derartige Festlegungen auf mögliche Koalitionspartner kategorisch aus.
Zastrow sagte der Leipziger Volkszeitung, er als liberaler Mensch sehe „nur die Union als einzig denkbaren Koalitionspartner, da Sozialdemokraten, Grüne und Kommunisten allesamt Sozialisten“. Er beziehe sich dabei auf das jeweilige Wertegerüst der Parteien, betonte der Fraktionsvorsitzende im sächsischen Landtag.
Linder argumentierte, inhaltlich müsse die FDP die Partei der wirtschaftlichen Vernunft und einer modernen, menschenbejahenden Gesellschaftspolitik sein. „Es geht um unser eigenständiges Angebot. Ich will mich nicht vor allem von CDU oder Rot-Grün abgrenzen, sondern uns selbst neu definieren“, sagte er der Rheinischen Post. Auf die Frage, ob er künftig Koalitionen ausschließen werde, sagte Lindner: „Wir streben jetzt nur eine Koalition an. Die mit den Bürgern.“
Die FDP will nach ihrem Wahldebakel auf einem Sonderparteitag Anfang Dezember in Berlin eine neue Führungsmannschaft wählen. Einziger Kandidat als Parteichef ist bislang Lindner, der Landes- und Fraktionschef der Liberalen in Nordrhein-Westfalen ist. FDP-Vize will der Kieler Fraktionsvorsitzende Wolfgang Kubicki werden. Die Partei hatte bei der Bundestagswahl am 22. September einen beispiellosen Absturz von 14,6 Prozent vor vier Jahren auf 4,8 Prozent erlebt.
Gerade die sächsische FDP lehnt aber eine Führung unter Christian Lindner ab. Laut der Leipziger Volkszeitung erklärte der Dresdner Kreischef Johannes Lohmeyer, Lindner sei ein „säuselliberaler Leichtmatrose“. André Quaiser, FDP-Chef in Mittelsachsen, warf dem Bewerber vor, 2011 Fahnenflucht begangen zu haben.
Unterdessen ist bekannt geworden, dass die noch amitierende hessische Kultusministerin Nicola Beer neue Generalsekretärin der Bundes-FDP werden soll. Das wurde den Dortmunder Ruhr Nachrichten in Parteikreisen bestätigt. Christian Lindner wolle die 43-jährige Beer in Kürze als seine Kandidatin für den Generalsekretärsposten vorstellen. Die FDP-Parteizentrale verwies auf eine Pressekonferenz dazu am Freitag in Berlin.
Leser*innenkommentare
Tim Leuther
Korrektur: Lindner in NRW nicht 6,1% sondern 5,2%. Das ist aber relativ gesehen auch ein starkes Ergebnis.
Tim Leuther
Die Sachsen FDP hat für die 3,1% die Sie bei der BTW geholt haben -Bundesschnitt 4,8%; Lindner NRW 6,1%- aber eine ganz schön große Klappe.
Gemäßiger Linksliberaler ohne Partei
Gast
Lindner Fahnenflucht? Andere an seiner Stelle wären auf dem Posten in der Bundes-FDP geblieben. Er gab sein Amt auf und hat sich wieder von unten hoch gearbeitet. Dabei hätte er durchaus scheitern können. Wäre die FDP nach Lindners Abgang erfolgreich gewesen, die Wähler mit ihr zufrieden usw., hätte die Öffentlichkiet von Lindner nichts mehr gehört. Nach der sozialliberalen Ära gab es einen großen Bruch in der FDP. Linksliberale stiegen aus und wurden herausgedrängt. "Jungdemokraten" wurden abgeschafft, zu kritisch usw., und durch die Julis, bald mit Westerwelle als Vorsitzender ersetzt. Die feste Bindung an die Union wurde beschlossen. So eine Bindung untergräbt die Demokratie. Das Programm war nur vom Wirtschaftsliberalismus geprägt. Die Partei hatte keine Seele mehr und war zum "Zünglein an der Waage" verkommen. Unter den klassischen Liberalisten gabs ja viele Staatsvisionäre und Philosophen, auch anarchische Linien. Liberale, die sich nur dem Manchester Kapitalismus verschreiben, offiziell nicht einmal eine schwache Marktregulierung anerkennen wollen sind weltfremd. Mehr als Lobbypartei zu sein kommt dann nicht heraus. Lindner ist schon auf einem guten Weg. Ob es reicht, wird sich zeigen.
Nin-Chen
"Leichtmatrose" kommt mir irgendwie bekannt vor.
Werner
Gast
In Deutschland braucht man für den öffentlichen Diskurs eine Partei des Liberalismus. Anders als die Sozialdemokratie und der politische Katholizismus hat der Liberalismus einen rationalen Kern. Die FDP ist nicht das beste Beispiel für den politischen Liberalismus. Liberalismus hatte noch nie eine Heimat in Deutschland. Vielleicht klappt es diesmal.
Pathos
Gast
Die FDP ist deshalb abgestürzt, weil sie sich sozialdemokratisiert hat. Sie hat keinerlei Rückgrat bewiesen und sich von Merkel abkochen lassen. Man hätte jederzeit sagen können: Mist, das Finanzministerium bekamen wir nicht und Euro-Krise, daher keine Möglichkeit der Steuerentlastungen. Wir brauchen mehr %, damit wir gegen eine starke Union überhaupt uns durchsetzen können. Stattdessen hat man sich beerdigt, nur Flaschen in der Front und ein bisschen alibimäßig herumgeschwätzt. Noch mehr Alibi und das im noch linkeren Parteiaufbau: Nein, danke!
Progressiv ist “Links-Liberalismus” nämlich fast zu 0%, entgegen “Rechts-Liberalismus” als die Zukunftsperspektive, die man eigentlich dauerhaft befeuern muss wie dies in den USA gerade auch die US-Demokraten (nur) rhetorischerweise taten.
Deutschland wird immer zukunftsfeindlicher und versinkt in Degressivismus, hinzukommt ein populistischer Linkskurs. Wo vertritt eine FDP informationstechnische Konzeptionen, die dem Land langfristig Chancen geben? Ich will nicht auf irgendeinen Pseudo-Kram raus, den die PC-Konsumpartei der Piraten da “schwarmmäßig” zusammengetrommelt hat, sondern staatsbegleitende Entwicklung.
Und an der Spitze braucht man eine Persönlichkeit, egal ob jung oder alt, die eine Siegermentalität ausstrahlt und gemäß dem Abstiegskampf, indem man sich befindet, nicht einknickend vor irgendwelchen linkspopulistischen Angriffen, um das Überleben der Partei kämpft. In jeder Talkshow muss man polarisieren, und die Werte verkaufen, am besten mit einer “Hoppla, jetzt komm ich”-Einstellung.
Tim Leuther
Warum konnte sich die FDP abkochen lassen? Weil Sie nur eine Koalitionsoption hat. Da muss sie quasi immer machen was die CDU sagt. Egal ob links oder rechs. Egal ob Steuern oder Privatsphäre.
PS: Die FDP hat sich nicht sozialdemokratisiert. Die FDP war die einzige Partei deren 2013er Wahlprogramm rechter war als das 2009er. Alle anderen Parteien sind nach links gerückt.
Z-Day
Gast
Ist das Ironie? Oder bin ich zu blöd ... Die FDP hat sich sozialdemokratisiert?? Wann denn, wie denn? Das waren 4 Jahre Lobbyismus und Neoliberalismus pur.
Das ganze liberale Geschwafel von der Leistung, die sich lohnen muss, funktioniert seit Jahrzehnten nicht mehr - trotz wirtschaftsliberaler Regierungsbeteiligungen durch Lambsdorff et al.
Zastrow ist freilich kein Linkspopulist, sondern eben ein - waschechter RECHTSpopulist.
Und im Übrigen: Werte VERKAUFEN ... merken Sie was?
Simon
Gast
Ja, man trug den gesamten degressiven sozialromantischen Kram der CDU mit. Und nicht wenige finden das auch noch super.
Neoliberalismus, insofern sie überhaupt wissen, was das bedeutet, vertritt die FDP allerhöchstens in Worten.
Die Staatsabgabenquote (Steuern+Abgaben) ist erneut gestiegen. Damit realisieren nicht wenige kaum bis negative Reallöhne, weil irgendwelche Behördenstellen eröffnet werden.
Der Anteil des Staatssektors ist ebenfalls gestiegen, womit der Anteil des Privatsektors gesunken ist.
Seit der sozialdemokratischen Agenda-Reform ist der Staat massiv gewachsen und die Steuern am steigen. Da sollte man sich von scheinbaren Kürzungen und etwas Absenkung des Spitzensteuersatzes nicht lumpen lassen, wenn dieser so früh greift.
Objektive Auslesung der Daten ergeben etwas anderes, als es die Parteien verkaufen möchten, die dein Geld wollen. Oder man ist eben Linken-Fan, dann nimmt man es mit Objektivität eh nicht so genau.
Z-Day
Gast
Die Staatsausgaben verändern ebenfalls seit Jahrzehnten kontinuierlich ihren Charakter. Der Staat tritt selbst zunehmend als Unternehmer ("Dienstleister") auf.
Man muß da ein bißchen aufpassen. Höhere Staatsabgaben bedeuten nicht per se mehr Sozialismus.
Daß Privatisierung von staatlichen Aufgaben und Lobbypolitik (bspw. Pharmaindustrie) zulasten des Steuerzahlers geht und Staatsausgaben unterm Strich nicht wie behauptet senken, sondern erhöhen, widerspricht nicht neoliberalem Selbstverständnis der FDP.
Defacto betreiben alle Regierungsparteien (inkl. FDP) eine Ent-Sozialdemokratisierung.
Kaboom
Gast
Kann man da wirklich ernsthaft unzufrieden sein mit einer Kanzlerin, die es - endlich - fertig gebracht hat, die FDP, diesen Wurmfortsatz der deutschen Parteienlandschaft zu entsorgen?
lichtgestalt
Hier wird es wieder klar:
Der Lindner ist kein Star.
Er war nur Avatar-
Verkäufer für ein Jahr.
Jetzt hat er schönes Haar
und redet Blablabla.
Das kann er wunderbar.
Trinkt aus der selben Quelle
Wie einst Herr Westerwelle
So ist es denn gewiss,
Er ist wohl ein Narziss.
Er kommt mir fast so vor
wie einst Karl Theodor
von und zu Guttenberg:
Ein aufgeblasner Zwerg.
(Atlantikbrücke ist am Werk)