Entscheidung des Jugendamts: Schulschwänzerin muss ins Heim
Weil sie kaum zum Unterricht ging, kam die 15-jährige Ana ins geschlossene Mädchenheim. Die Eltern dürfen sie nicht sehen. Sie kämpfen um ihr Kind.
HAMBURG taz | Am Vormittag des 16. September kamen fünf Polizisten in die Wohnung der Münchner Familie Wendler und nahmen die 15-jährige Tochter Ana mit auf die Wache. Dort konnte ihre Mutter Rabea sie noch einmal sehen, bevor Ana ins geschlossene Mädchenheim Gauting (Kreis Starnberg) kam. Erst waren den Eltern nur Briefe, dann wurde ein 10-minütiges Telefonat erlaubt. „Sie hat nur geweint“, sagt die Mutter. Der Tochter gehe es sehr schlecht.
Ana ging seit anderthalb Jahren nur sporadisch zum Unterricht. „Sie hat trotzdem gute Noten geschrieben, musste aber vom Gymnasium abgehen, weil sie ein schlechtes Beipiel gibt“, berichtet Wendler. Ihr Kind habe keine Drogen genommen und sei nicht kriminell gewesen. Rabea Wendler und ihr Mann, die ein Café führten, hatten wenig Zeit für den Teenager.
Die Wendlers haben ihr Café nun verkauft. Die Mutter arbeitet nur noch halbtags, damit sie sich um die Schulprobleme der Tochter kümmern kann. „Sie hat neue Freunde und sich um 180 Grad gewandelt“, berichtet Wendler. Ana wollte das Abitur machen. Nur hatte sie zum Sommerferienende noch keinen Schulplatz.
Doch in der Zwischenzeit leitete das Jugendamt einen Antrag auf „geschlossene Unterbringung“ für ein Jahr ein. Eine Gutachterin wurde bestimmt. Sie stellt eine Störung bei dem Teenager fest. Ana sehe zwar ein, was sie falsch mache, habe aber „kaum Unrechtsgefühl“. Das Kind benötige „über einen langen Zeitraum die Beziehungskonstanz innerhalb eines engen pädagogisch und therapeutisch qualifizierten Rahmens“, schreibt die Gutachterin und empfiehlt das Mädchenheim.
Abgeschottet von der Außenwelt
Ein harter Schritt. Normalerweise kommen Kinder erst in eine offene Jugendwohnung. Dazu wären Ana und ihre Eltern auch bereit, wie sie in der Anhörung am 3. September beteuern. Doch das Familiengericht folgt dem Gutachten. Die Familie erhält den Beschluss erst einen Tag nachdem Ana fort ist.
Sie lebt nun in Gauting, einem Mädchenheim mit 42 geschlossenen Plätzen, abgeschottet von der Außenwelt. Die Wendlers haben den Familienanwalt Tom Heindl beauftragt. Sie wollen das Gutachten anfechten und Beschwerde gegen den Beschluss einlegen. Doch auch der Anwalt darf das Mädchen nicht besuchen. Das Einsperren des Kindes wegen solch einer Lappalie gefährde das Kindeswohl, sagt Heindl. „Hier sind Eltern, die ihr Kind wirklich lieb haben.“
Besorgniserregend sind auch die Briefe der jungen Frau. „Ihr sollt mich unbedingt rausholen“, schreibt Ana am 3. Oktober. Sie fühle sich wie ein Zombie. „Ich will nur noch sterben, bin müde, habe keine Kraft mehr.“ Aus den zunächst vier Wochen sind mittlerweile sechs Wochen Besuchssperre geworden. Das teilte das Heim der Mutter am Mittwoch mit.
Zukunft offen
„Wir haben eine gewisse Eingangsphase. Das Mädchen soll sich an das Setting gewöhnen“, wirbt Heimleiter Bernhard Stadler um Verständnis. „Die Zeit ist nötig, um eine Beziehung zu den Mädchen aufzubauen“, ergänzt die zuständige Teamleiterin.
Rabea Wendler ist überzeugt, dass ihre Tochter falsch in dem Heim ist. Wenn es ums Schulschwänzen gehe, müsste man viele Jugendliche einsperren.
Auch Heimleiter Stadler deutet an, dass Ana unter Umständen nicht mehr lange bleibt. „Wir werden bald ein Hilfeplangespräch haben“, sagt er. Wenn man dann das Gefühl habe, das Mädchen sei sehr zum Schulbesuch motiviert, „sehe ich keine weitere Indikation für eine geschlossene Unterbringung“. Das zuständige Münchner Sozialreferat äußert sich aus Datenschutzgründen nicht zu dem Fall.
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