piwik no script img

Exprofi Eigenrauch über Fußball„Ein rosarotes Gebilde“

Der ehemalige Profi Yves Eigenrauch über seine bedingte Liebe zum Spiel, den Verlust von Authentizität im Fußballbusiness und kalkuliertes Sprechen.

Hat nie vom Profifußball geträumt: Der Ex-Schalker Yves Eigenrauch Bild: dpa
Peter Unfried
Interview von Peter Unfried

taz: Herr Eigenrauch, Ihre berühmteste taz-Kolumne ging so: „kick ran kick ran kick ran kick ran kick ran“ und so weiter. Beschrieb das die Monotonie des Fußballprofialltags ?

Yves Eigenrauch: Wenn ich mich recht entsinne, war damals im Gespräch, die Sat.1-Bundesligasendung „ran“ umzubenennen. Die mediale Präsenz des Fußballs war bereits recht groß geworden, zuweilen auch bestückt mit Geschichten außerhalb des Platzes. Meine kleine Geschichte sollte auf den Verlust der Unbeschwertheit und der Ideale verweisen.

Im Mittelteil wird in wenigen Sätzen Alltagsleben beschrieben: „Wenn ich dann mittags nach hause komme, erledige ich für meine mutter dinge“.

Richtig. Aber dieses Leben wird umklammert von einer Unmenge „kick ran“. Das sollte die steigende Relevanz der Fußballsendungen illustrieren. Es war ein Grundmotiv aller Kolumnen, den Sport in seiner Bedeutung zu relativieren, aufzeigen, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Das wusste ich anfangs auch noch nicht. Aus der Ferne betrachtet war Profifußball für mich ein rosarotes Gebilde.

Was änderte Ihre Meinung?

Die Eindrücke, die ich durch das Privileg bekam, drin zu sein.

Im Interview: Yves Eigenrauch

Jahrgang 1971, war von 1990 bis 2002 Fußballprofi bei Schalke 04. Er hat in 236 Spielen für die Königsblauen vier Tore geschossen. Seine Leibesübungen-Kolumne „Leben in Funnyland“ erschien 58-mal zwischen September 1999 und März 2002.

Wie kamen Sie rein?

Der damalige Bielefelder Trainer Ernst Middendorp hatte mich schon als A-Jugendlichen im Oberligateam eingesetzt. Nach dem Wechsel zu Schalke spielte ich bei Trainer Aleksandar Ristic zunächst keine Rolle, und das völlig zu Recht. Ich hatte große Probleme, meine Leistung abzurufen. Dass ich ins Team kam, war einem Zufall geschuldet.

Was passierte?

Vor dem letzten Hinrundenspiel in Nürnberg im Dezember 1991 spielten einige Spieler in der Mittagspause Backgammon, statt zu ruhen. Ristic warf diese Spieler sofort aus dem Kader. So wurde auf der linken Außenverteidigerseite ein Platz frei. Ich fiel fast in Ohnmacht, aber dann habe ich offenbar okay gespielt, und wir gewannen 1:0. Danach habe ich eigentlich immer gespielt, wenn ich nicht verletzt war.

Sie schafften den Durchbruch als Profiteur eines autoritären Drills, den Sie selbst sicher ablehnten?

Völlig falsch. Ich lehne den Drill nicht ab. Es gibt in jedem Betrieb einen, der bestimmt. Das finde ich auch in Ordnung. Solange ich der Meinung bin, dass es okay ist, wie das läuft, kann ich mitmachen. Wenn ich das nicht mehr finde, dann muss ich halt aufhören. Das habe ich auch gemacht. Ab Mitte der 90er Jahre sah ich die Entwicklung des Fußballs zunehmend skeptischer. Das betraf auch die Art des Umgangs miteinander.

Ist Groll geblieben?

Überhaupt nicht. Ich war ein Glückskind. Ich habe mich bemüht und es funktionierte auch halbwegs, aber ich war immer der Meinung, dass ich nicht die Ballsicherheit und die technischen Qualitäten für die Bundesliga hätte.

Sie kokettieren?

Überhaupt nicht. Ich habe das so gesehen, schon wissend, dass ich Qualitäten wie Schnelligkeit und Engagement hatte. Ich habe im ersten A-Jugend-Jahr sogar zwischenzeitlich aufgehört, weil ich dachte, ich verpasse was.

Sie träumten nicht den Fußballstar-Traum aller deutschen Jungs?

Ich träumte nie vom Profifußball. Ich spielte um des Spielens willen. Später fand ich eher das Trainieren nett, und das Spielen hat mir nicht so viel Spaß gemacht.

Warum nicht?

Die Erwartungshaltung war hoch, und ich habe mich selbst zu sehr unter Druck gesetzt.

Noch mal, Herr Eigenrauch: Jeder normale Mensch träumt davon, im WM-Finale das Siegtor zu schießen.

Quatsch.

1998 hat der damalige Bundestrainer Berti Vogts Sie in die Nationalmannschaft berufen und vor einem Brasilien-Spiel der Weltpresse vorgestellt.

Ja, war nett. Da fragte mich einer, was ich von den „saturierten Spielern“ hielte. Ich kannte den Begriff gar nicht und musste erst mal nachfragen, was saturiert ist. Ich hatte damals so ein kleines Heft, in das ich Fremdwörter reinschrieb, die mir nicht geläufig waren. Was ich nicht verstand, war, warum man einen Spieler nominierte, der nach einem Dreivierteljahr Verletzungspause gerade mal ein vernünftiges Spiel gemacht hatte.

Das „vernünftige“ Spiel ist in der Fußballgeschichte als Ihr größtes archiviert: Sie spielten mit Schalke ein Jahr nach dem Uefa-Cup-Sieg erneut gegen Inter Mailand und schalteten Ronaldo aus, damals der beste Stürmer der Welt.

Wir waren relativ gut und der Genannte hat relativ bescheiden gespielt. Ich war das eine oder andere Mal ein bisschen schneller.

War das wirklich noch klare Manndeckung?

Wir haben in Mann-Zuordnung gespielt, ja.

Der Trainer sagte: Du deckst den Ronaldo.

Genau. Es war professioneller als in den 70ern oder 80ern, aber ganz und gar nicht vergleichbar mit heute. Ich habe mich früher gescheut, von Leistungssport zu sprechen. Heute kann man das. Fußball hinkt, auch was den zeitlichen Aufwand angeht, sicher weit hinter Turnen oder Basketball hinterher, aber im Vergleich zu den 90ern ist alles viel weiter.

Funktionierte Ihr Schalker Team mit klarer Hierarchie auf dem Platz?

Ich würde das nicht Hierarchie nennen. Spieler werden mit ihren Stärken und Schwächen eingebunden. Hierarchie ist für mich das Ansehen, das man im Kader hat. Klar, braucht es auch sportliche Stärke. Aber Hierarchie bildet sich durch sportliche Stärke und Charakter.

Deshalb war Lothar Matthäus ein großer Leader?

Sicher gibt es auch viele, die sich vornehmlich über den sportlichen Erfolg definieren. Aber mir kam es auch immer darauf an, wie man sich einbringt.

Herr Eigenrauch, bisher taten Sie so tough, und nun idealisieren Sie?

Ich tue überhaupt nicht tough und ich idealisiere auch nicht. Das ist meine Überzeugung. Es mag viele geben, die das als Ideal sehen, aber glauben, damit nicht weiterzukommen, und sich deshalb anpassen. Das verstehe ich auch in der Gesellschaft nicht. Die Leute sprechen immer von sozial und fair sein. Aber was sie machen, entspricht dem nicht.

Wäre es nicht ironisch, wenn der soziale und flach hierarchische Fußball, der „linke Fußball“ der Gegenwart beim FC Bayern München praktiziert würde?

Ich glaube nicht, dass Bayern oder Borussia Dortmund wirklich flache Hierarchien sind. Was anders ist als früher, sind nur die Formen des Umgangs und der Vermittlung. Es fühlt sich für die Spieler „eingebundener“ an, aber letztlich fallen die Entscheidungen, wo sie immer fielen.

Früher rannte Wimmer sich kaputt und Netzer spielte den langen Ball, heute arbeiten selbst bei Bayern alle gleich hart und alle spielen alle die gleichen kurzen Pässe.

Was hat das mit Hierarchie zu tun? Über die sportliche Qualität zeichnet sich in so einem Team keine Hierarchie ab, denn die Spieler sind ja alle exzellent. Dennoch wird der eine oder andere in der Hierarchie höher stehen, weil er eben noch andere Qualitäten einbringt. Das ist aber bei den anderen Teams auf niedrigerem Niveau auch so. Das Gefälle der sportlichen Qualität innerhalb eines Teams war früher viel größer. Das ist der entscheidende Unterschied.

Noch Anfang des Jahrtausends pöbelten Chefs wie Effenberg oder Kahn herum. Das galt als Führung. Steht der Bayern- und DFB-Kapitän Philipp Lahm nicht für zeitgemäß flaches, moderierendes und dienendes Führen?

Ich bitte Sie. Mir geht es um Authentizität. Die ist völlig verloren gegangen. Es gibt nur noch kalkuliertes Sprechen. Furchtbar! Ich fand es gut, wenn Fußballer sagten, was sie dachten. Das waren im Zweifelsfall auch Egoisten. Aber sie haben es gemacht, weil sie meinten, es machen zu müssen. Aus einem inneren Antrieb heraus. Unabhängig von der Frage, ob es richtig oder falsch, sozial oder egoistisch war.

Der Bayern-Spieler Thomas Müller wird von Medien geliebt, weil er immer für einen Spruch gut ist. Er überschreitet aber nie die Grenze, hinter der echte Kritik anfängt.

Das ist dann in Ordnung, wenn ein Spieler das sagt, was er für sich selbst vertritt. Es ist nicht in Ordnung, wenn er etwas anderes sagen wollte. Ich finde es schade, dass so viele in der Bundesliga eine Riesenpanik haben, etwas Falsches zu sagen, und die Vereine jede Kommunikation zwischen Spielern und Medien steuern wollen. Die Vereine sollten nicht alles gleichschalten.

Wie sehen Sie die fachliche Entwicklung des deutschen Fußballs?

Was soll ich dazu als Nicht-Interessierter sagen? Ich gehe nicht ins Stadion, das habe ich früher auch nicht gemacht. Fußballspielen war in Ordnung, aber Fußballkucken finde ich mit wenigen Ausnahmen langweilig. Was ich mich frage: Wie lange dauert es noch, bis die Leute ausgequetscht sind?

Wen meinen Sie?

Auch wenn Fans mal boykottieren, sind sie ja in kürzester Zeit wieder da. Ohne dass sich etwas geändert hat.

Warum ist das so?

Ich glaube, dass das Gros der Leute im Grunde Unterhaltung will. Man könnte es Alltagsflucht nennen. Das andere ist den meisten vielleicht auch zu anstrengend, da müsste man sich ja beteiligen.

Man verweigert den Leuten doch bewusst eine Beteiligung.

Ja, klar. Sonst funktioniert ein großer Wirtschaftsbetrieb nicht. Dazu gehört, dass Fans eben nichts zu sagen haben, sondern nur ihre Meinung äußern können. Dazu sollte man stehen. Deshalb ist Bayern mir sympathisch, weil die dazu stehen, ein Business-Betrieb zu sein. Und auch Red Bull Leipzig. Da ist klar, worum es geht.

Sie könnten etwas verändern.

Nein, das kannst du nicht. Du bist dann nur der „Alternative“ – oder der, der irreales Zeug labert. Ein Fantast, ein Träumer.

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • Der Yves ist ein toller Typ! ( wohnt ja auch, wo ich wohn:) ) Peter Unfried, da musste gar nicht nachhaken, wenn der Yves wat sacht. Dann is dat nämlich so! Und gute Fotos macht er auch.

  • R
    ridicule

    Schön.

     

    Gewiß - Yves Eigenrauch ist eine mild autoritär strukturierte Persönlichkeit;

    so what! - wer nicht?

     

    aber er zeigt gekonnt dem Herrn Interimisten,

    einem verquasten le chefle Peter Unfried, schnörkellos,

    wo der Hammer hängt.

    Danke.

     

    Die Wahrheit ist halt auf dem Platz;

    auch nach 30 Jahren Leibesübung:

    Doon is'n Ding, snacken könnt wi all.